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Darüber stand» Accessoires«.

Obwohl er sich nicht besonders für Accessoires interessierte, ging er, nachdem die innenstehende Verkäuferin auf ihn aufmerksam geworden war, hinein, strebte mit der größten Entschlossenheit auf die Ladentheke zu und deutete auf eine Uhr in der Form eines Eis, die allerdings, wie man ihm entgegen seiner Annahme erklärte, keine Eieruhr, sondern eine ganz normale Uhr, ein sogenanntes Wohnaccessoire, sei.»Egal«, sagte er. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas gekauft hatte, schon gar nicht ein Wohnaccessoire. Er wusste auch nicht, ob das Wohnaccessoire ein sinnvoller Kauf war oder nicht, aber nachdem er gezahlt hatte und die immer lächelnde Verkäuferin mit schnellen Fingern die Wohnuhr in eine nach DDR aussehende geblümte Papiertüte gesteckt und über die Ladentheke zu ihm herübergereicht hatte, fühlte er sich für einen Augenblick fast glücklich, denn er hatte wieder eine Funktion in der Welt. Er war ein Kunde.

Die Tüte mit dem Wohnei baumelte tickend neben seinem Bein, als er in den Hinterhof zurücklief, wo die Arbeiter noch immer arbeiteten. Ein Vogel hämmerte sein metallisches Pfeifen, aber er konnte ihn nicht sehen, nur die schwarzen, reglosen Zweige des Baums vor der weißen Glätte des Himmels. Er rauchte, warf den Stummel auf die Erde. Mit der Spitze des Schuhs schabte er darauf herum, es gab ein sandiges Geräusch. Sofort zündete er sich wieder eine Zigarette an und wandte sich erneut an den Arbeiter mit der blauen Mütze. Ob er eine Zigarette wolle. Er arbeite, sagte der Arbeiter. Wie lange er denn noch müsse. Bis es dunkel sei, man müsse fertig werden, sagte der Arbeiter unwillig.

Als Holler darüber nachzudenken begann, was im Einzelnen dunkel bedeutete, denn im Februar war es meistens irgendwie dunkel, nur nahm die Dichte des Dunkels gegen Abend hin zu, näherte sich das Klacken hochhackiger Schuhe. Er warf den Zigarettenstummel in eine Pfütze. Hedda bog in den Hof, und er hörte sie einen Augenblick, bevor er sie sah. Sie aber bemerkte ihn erst, als sie schon fast an ihm vorbei war. Ihr Entsetzen war physisch wahrnehmbar, ließ ihn kurz schwanken, aber vielleicht war es auch der Lufthauch, der entstand, als sie so dicht an ihm vorüberwehte und dann abrupt stehen blieb.

«Was machst du hier?«

Holler betrachtete das kleine Dreieck zwischen Heddas Schlüsselbeinknochen, das er gut kannte, das sich, wie er sehen konnte, beim Atmen auf und ab bewegte. Früher hatte er es oft geküsst. Langsam stieg er mit seinem Blick nach oben.

«Ich ziehe um, das wollte ich dir mitteilen«, sagte er schließlich, über seinen Einfall selbst erstaunt.»Du hast noch ein paar Sachen bei mir vergessen. Ich war in der Gegend, und ich dachte, ich schaue mal rein.«

Hedda schien verwundert, nickte aber kurz, indem sie das Kinn mit einer kleinen Bewegung in die Höhe warf.»Verstehe«, sagte sie, senkte dann den Kopf.

«Du«, sagte sie lang gedehnt, was kaum wie Sprache, eher wie ein Ausatmen klang,»hast schon eine neue Wohnung?«

«Ja, aber ich habe die Adresse vergessen«, sagte er.

Hedda unterdrückte ein Lächeln.»Warum hast du mir nichts gesagt?«

«Du hast ja nicht gefragt.«

Sie sah zu Boden.»Du hast dich rasiert«, sagte sie und schien den Boden zu meinen, der sich aber sicher nicht rasiert hatte.

Holler fürchtete, sie würde, wenn es ihm nicht sofort gelänge, sie in ein interessantes Gespräch zu verstricken, sich umdrehen, eventuell im Gehen kurz die Hand heben, mit den Fingern in der Luft winken auf Höhe ihres Kopfes, den schwingenden Rücken ihm zugewandt, womit sie ihn früher, noch bevor sie ein Paar geworden waren, regelmäßig zu entzückter Verzweiflung gebracht hatte, ihn, der noch minutenlang nach ihren Filmstarabgängen in diejenige Richtung gestarrt hatte, in der sie verschwunden war. Jetzt sah er sie gegenüber stehen und gleichzeitig bereits davongehen, als gestrichelte Kontur, die ihren Körper verließ und zum Haus hinüberging. Schon hörte er die Schritte, aber sie entfernten sich nicht, sondern wurden lauter unter dem Bogen der Einfahrt. Der Gang eines Fremden.

Hedda wandte den Kopf zur Einfahrt, aus deren Dunkel in diesem Augenblick ein Mann hervortrat. Es war, als ob sich der grauschwarze Hof etwas durch ihn erhellte: Der beige Trenchcoat, das tiefblonde, wellige Haar, die braune Hornbrille machten einen freundlichen, hellen Eindruck. Zwei mit Papier eingewickelte Weinflaschen in beiden Händen, kam der Fremde zielstrebig auf sie zu, was Holler erstaunte, Hedda aber offenbar nicht.

«Ja«, sagte sie, indem sie ihrem Ton eine offizielle Färbung gab. Das hatte sie immer beherrscht, dieses chamäleonartige Wechseln der Tonfarben, dachte Holler fast bewundernd.»Darf ich vorstellen«, sagte sie.»Das ist Lutz Wegener, ein neuer Kollege von der Presseabteilung, Thomas Holler, mein Exmann. «Vor dem letzten Wort hatte sie kurz Luft geholt.

«Zukünftiger Exmann«, verbesserte Tom.

Lutz Wegener, der den Hof durch sein freundliches Erscheinen etwas erhellt hatte, sah nun seinerseits etwas verdüstert aus. Konzentriert schüttelte er Tom Holler die Hand. Er schien zu überlegen. Im Hof wurde augenblicklich viel überlegt, wodurch sich eine längere Gesprächspause hinzog, die, wie Holler annahm, für ihn reserviert war. Die Pause wäre lang genug gewesen, um eine oder gar mehrere Verabschiedungen darin unterzubringen, die Pause war ein langer gläserner Gang, durch den er diesen Hof hätte verlassen sollen, aber er blieb stehen und starrte durch die Leere zwischen Wegener und Hedda auf die Brandmauer. Unter der Reihe der schwarzen Kamine, auf denen bewegungslos die schwarzen Schatten einiger Krähen saßen, las er ein Graffito in weißen Großbuchstaben, das ihm bisher nicht aufgefallen war: ALLET GUTE KOMMT VON OBEN. Wer hat es dorthin geschrieben? Und wie ist er hinaufgekommen, dachte er.

Wegener, in seinem Augenwinkel, wandte den Kopf und schien interessiert die Gerüstholzstapel zu betrachten. Hedda, in seinem anderen Augenwinkel, stand wie gefroren, aber an der leichten Bewegung ihres Umrisses erkannte er, dass sie einatmete, den Mund öffnete, um, weil etwas geschehen musste, nun ihrerseits eine Verabschiedung zu äußern. Bevor jedoch das Wort fallen konnte, das endgültige Vorhangwort, hob er die Hand und deutete nach oben und sagte» dort«, woraufhin sich alle Köpfe zur weißen Schrift wandten. So gewann er Zeit. Als Hedda ihn mit leeren, nicht einmal fragenden Augen anblickte, sagte er:»Tja dann. Es wird nicht lange dauern.«

DER LUTZ-WEGENER-ABEND

In einer lockeren Reihe liefen sie schweigend über den Hof zum Wohnhaus hinüber. Wegener ging neben Holler, wodurch auch dieser überstrahlt wurde von der hellen Gesamterscheinung des neuen Kollegen, die ein wenig beeinträchtigt wurde höchstens durch den Umstand, dass er hinter seinen nicht gerade dünnen Brillengläsern etwas fischäugig blickte, dachte Holler, was aber auch als Anzeichen von Intelligenz durchgehen konnte bei Hedda. Und er gönnte es ihr. Er würde ihr niemals vorgehalten haben, hör zu, aber dein neuer Macker hat irgendwie Fischaugen, dazu ist er verdammt kurzsichtig, überleg es dir gut, ob du mit so einem wirklich Kinder herstellen willst, denn darum geht es dir ja doch letztendlich, um die Kinderfabrikation, etwas, das er selber immer kategorisch abgelehnt hatte, da er, wie er ihr von Anfang an erklärt hatte, niemanden, und am wenigsten ein ahnungsloses Kind aus seinem heimischen Nichts herauszerren und ungefragt als ein weiteres Spielfigürchen auf das Brettspiel dieser Welt setzen würde, aber andererseits, sagte er sich, gab es einfach Menschen, die Loftwohnungen und Kinder haben mussten, aber es ging ihn nichts an. Er würde komplett aus Heddas Leben verschwinden wie ein Sack alter Kleider, den man endlich zum Roten Kreuz gibt.