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«Sehen Sie, so ist es in der Welt«, sagte Holler und schnitt Wegener wohl den letzten Satz ab.»Es passt nichts zusammen. Nur dass wir das nicht einsehen können, weil wir immer alles aufgeräumt und ordentlich haben müssen, und dann muss Ihr Leopard eben in die Hölderlin-Schublade rein, und in die Bebop-Schublade gehört aber auch noch der und der, und wenn wir nicht jede Minute sagen können, jaaaa, das kenne ich, das hat doch der und der auch schon gemacht, das ist doch wie beim Dings, und der Dingsbums hat das doch damals in der Dings-Epoche auch schon darauf und darauf bezogen, als Querverweis auf den Soundso und unter Berücksichtigung der Dings-Tradition und mit Hinweis auf das na, das, oder? …«Er hatte vergessen, was er eigentlich hatte sagen wollen. Er nahm einen Schluck Wein und begann wieder zu trommeln.

Wegener beobachtete Holler.

«Auch die Musik ist doch eine Abfolge von Beziehungen und von analogen Strukturen«, sagte er.

Holler hörte auf zu trommeln.

«Selbst wenn sie Freejazz machen, achten doch die Musiker aufeinander.«

«Das behaupten sie nur«, sagte Holler und sank etwas ein. Der Weinfleck auf dem Tischtuch hatte die Form einer Stadt angenommen.»Fulda«, sagte er plötzlich,»da ist ja Fulda!«, und überlegte, was er eigentlich hier machte. Wieder betrachtete er Lutz Wegener, dann Hedda, dann wieder Wegener und so weiter, stellte erstaunt fest, dass sie aber auch wirklich zusammenpassten wie zwei Daimler-Benz-Montage-Teile. Er dachte, dass es die Höflichkeit gebot, ihnen noch ein wenig Gesellschaft zu leisten.

Wegener sprach jetzt über den Mond als uraltes poetisches Symbol, beispielsweise bei Hölderlin, aber auch bei Leopardi, und vieles könne man alleine aus diesem Mond herauslesen und eben doch miteinander vergleichen, berichtete Wegener, dessen hellbeige Erscheinung in Hollers Vorstellung aber immer heller wurde, nach und nach verblasste und verschwand, so dass nur die Stimme im Raum stehen blieb und Hedda und Holler so gut wie allein waren. Also legte er unter dem Tisch seine Hand auf ihr Knie.»Der Mond-Topos«, sagte die Stimme. Holler fühlte Heddas Nylon-Strumpfhose. Die Stimme sagte:»Weltalleinsamkeit. «Hedda sprang auf, ging hinter dem Tisch hin und her. Dann setzte sie sich wieder, schlug ihr Bein über, trommelte mit den Fingern darauf, genau am Rand ihres Rockes, auf ihrem langen Bein, das in einem braunen Halbstiefel endete.

«Da haben Sie also über den Mond promoviert, wie schön«, sagte Holler.»Und jetzt machen Sie Werbung, oder?«

«Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um genau zu sein.«

«Ist das nicht dasselbe wie Werbung?«, fragte Holler.

«Es ist Kommunikation im weitesten Sinn. Es kommt ja doch schließlich auf den Inhalt an. Wenn Sie also so wollen, bewerben wir Kunst. «Wegener entfernte mit der Handkante ein Stäubchen vom Tischtuch.

Holler nickte tief.»Kommunikation«, wiederholte er gedehnt. Er lehnte sich zurück.»Es macht ja nichts«, sagte er. Er lachte plötzlich.

«Sie machen doch sicherlich auch Werbung für Ihr Quartett, oder?«, fragte Wegener in einem Lächeln, das sich etwas versteift hatte.

«Klar«, sagte Holler.»Wir machen ja auch Kaufhausmusik!«Er schnippte einen Parmesankrümel mit dem Zeigefinger über den Tisch.

Wegener zuckte mit dem Kopf, als hätte er nicht richtig verstanden.

«Vergessen Sie’s«, rief Holler.»Ich bin bloß richtig froh, dass ihr euch gefunden habt! Auf das Mysterium der Liebe, prost«, aber sein Glas war leer, alle anderen Gläser auch, und niemand schenkte nach. Sie saßen um diesen runden Tisch wie die Abdrücke dreier Amphibien in einem Stein. Und Holler fühlte sich eigentlich wohl darin. Er hatte den Verdacht, dem Beginn von etwas beizuwohnen, und das ist immer ein schönes Gefühl.

Er überlegte: Ewige Liebe, sagte er sich, verspricht man einander, aber gibt es den Beginn der Ewigkeit? Denn, was beginnt, dachte er andererseits, hört auch wieder auf. Demnach musste sie immer schon da gewesen sein, diese Liebe, die gerade zwischen Lutz Wegener und Hedda Groning zu beginnen schien. Folglich hatte Hedda niemals ihn, Tom Holler, sondern immer schon Lutz Wegener, ihr hübsches Pendant, geliebt, ohne es zu wissen, hatte Lutz Wegener durch seine, Hollers, Person hindurch geliebt sozusagen, wie man durch eine verschmutzte Milchglasscheibe hindurch den Sonnenaufgang bewundert. Und wer konnte es ihr verdenken? Nicht einmal sein Blick ist so besonders fischäugig, wie Holler jetzt feststellte, als Wegener erneut die Brille abnahm, um die Gläser zu putzen, die Augen sind eigentlich groß und schön und blau, erkannte er, mit langen Wimpern, die Hedda sicherlich ganz besonders mochte, wie sie auch seine langen Wimpern zu mögen sich immerhin eingebildet hatte.

«Meinen Sie, es gibt die ewige Liebe?«, rief Holler.»Das frage ich Sie als meinen Nachfolger.«

«Thomas!«, rief Hedda.

Wegener hatte die Brille inzwischen wieder auf der Nase und blickte fischäugig. Hedda war aufgestanden und klimperte mit den Fingernägeln auf dem Tischtuch.

«Setz dich doch, Hedda«, sagte Holler.»Du musst ja nicht stehen!«

Sie setzte sich. Plötzlich schien sie auf ihn zu hören, obgleich sie in den letzten Jahren grundsätzlich das Gegenteil von dem getan hatte, was er vorschlug. Hatte er ans Meer fahren wollen, waren sie in die Berge gefahren. Hatte er das weiße Sofa unters Fenster stellen wollen, hatte sie es aber neben das Bücherregal geschoben. Hatte er Hunde geliebt, so hatte sie eine Perserkatze angeschleppt.

Holler fuhr fort:»Was aber beginnt, muss doch auch ein Ende haben, nicht? Oder hat die Ewigkeit einen Anfang?«Lutz Wegener blickte ihn interessiert an, wie man in ein Terrarium im zoologischen Garten hineinschaut, wo sich bei den Spinnen, Fröschen und Salamandern eigenartige Dinge ereignen.»Tja«, sagte Wegener.»Leopardi würde sagen, die Liebe ist unendlich, nicht aber der Mensch.«

«Das kommt mir unlogisch vor«, sagte Holler, dachte aber sofort, dass Wegener sicher recht hatte. Ein Mensch wie Wegener irrte sich nicht. Ein Mensch, der so einen Anzug anhatte, kein Fältchen, dachte er bewundernd, obgleich er sicher schon den ganzen Tag in ihm unterwegs war. Wenn er selber einen Anzug trug, so zerknitterte er, sobald er ihn anzog. Vermutlich, dachte Holler, hat er nicht einmal Zahnfüllungen.

«Haben Sie Zahnfüllungen?«, fragte er.

Wegener lachte plötzlich, indem seine Schultern sogar mitwackelten.»Wieso interessiert Sie das?«, fragte er.

Aber Holler winkte ab. Auf einmal war er sehr müde. Er erwog, sich auf eines der Sofas zu legen und ein wenig zu schlafen. Er sah Fulda auf dem weißen Tischtuch und daneben Wegeners saubere Hand, aber alles, auch das Sofa, schien sehr weit entfernt. Und in seinen Gedanken tauchte sehr langsam der Italienstiefel aus dem meerblauen Hintergrund der Zukunft auf. Er musste nach Hause, er musste die Flugtickets suchen.

«Thomas!«

Er konnte sich nicht bewegen. Nur sein Blick schleppte sich über den Tisch hinweg bis zur Tür. Also werde ich bleiben, dachte er und lächelte. Noch in Jahrzehnten werde ich also hier herumsitzen, wie man auf einer Party herumsitzt, auf dieser sogenannten Lebensparty, in die, weil von irgendjemandem eingeladen oder mitgenommen, man zufällig und ohne eigenes Verschulden hineingeraten ist, so dass man jetzt schon seit bald vierzig Jahren dasitzt, auf irgendeinem Sofa, in irgendeiner Ecke, und langweilige Gespräche führt und sich zusäuft, ohne sich zum Gehen entschließen zu können, vielleicht in der Hoffnung, es könnte noch besser werden, vielleicht aus Bequemlichkeit, weil es irgendwann sowieso vorbei sein wird und das Licht ausgehen und der große Gastgeber bei Sonnenaufgang die Reste beseitigen wird, vor sich hin summend, vielleicht sogar Schumann. Er lächelte.