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Tom hatte einen Bissen Brötchen mit Marmelade im Mund, und da er nun in der Kaubewegung innehielt, das Stück aber zu groß war, um es zu schlucken, blieb ihm nichts übrig, als es zunächst zwischen den Backen aufzubewahren und mit der Zunge hin und her zu schieben.

«Du hast was?«, sagte er am Brötchenklumpen vorbei.

«Ich hab den GEMA-Nachwuchspreis bekommen. «Eine längere Pause öffnete sich. Zwei, drei dürre Schneeflocken segelten inzwischen vor dem Küchenfenster hinab.

«Wann?«

«Im Sommer. «Marc sagte es beschwichtigend, wie einer, der über seine schwere Krankheit spricht, aber niemanden beunruhigen will.

«Spinnst du?«Jetzt endlich kaute Tom und schluckte dann.

«Wieso?«

«Warum sagst du mir nichts?«

«Ich hatte dir das Stück gezeigt. ›Das Leben der Dinge‹, beschissener Titel.«

«Warum hast du mir nichts gesagt?«

«Ich weiß nicht. Ich fand es nicht so wichtig.«

«Und warum sagst du es mir jetzt?«

«Es soll hier aufgeführt werden. Im Konzerthaus.«

«Aha. Vielen Dank, ich meine, herzlichen Glückwunsch für die Information. Ich meine, du weißt schon. «Tom, mit einem langen Blick auf die verkalkte blinde Wand der Duschkabine, die neben dem Küchenfenster stand, das ebenso blind erschien an diesem Morgen aufgrund der grauen Düsternis draußen, verschränkte die Arme und verzichtete auf die andere Brötchenhälfte, die in einem Marmeladengeschmiere auf dem Teller lag.»Ich muss los, ich muss zur Hochschule«, sagte er und stand auf.

Als er am Abend wiederkam, hatte er eine Flasche Sekt dabei und ein Päckchen Gras. Marc hatte die Wohnung geputzt, hatte gekocht, Spaghetti Bolognese, und schon im langen Flur, wo sie in Ermangelung eines Kellers die Kohlen lagerten, roch es nach Küchendampf und Wärme.

«Hier«, sagte Tom.»Er ist gekühlt.«

«Danke«, sagte Marc.»Es tut mir leid. Es kam mir … Es ist nicht so wichtig.«

«Ja, ja«, sagte Tom.

Außerdem, sagte Marc, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten, halte er nicht viel von diesen Preisen. Er habe schon einmal einen bekommen, sagte er. Den Kulturpreis der Stadt Bayreuth, der gleichzeitig ein Designpreis gewesen und an zwei Künstler, einen Musik- und einen Designkünstler, zu gleichen Teilen gegangen sei. Es sei einen Abend lang ein grandioser Affenzirkus veranstaltet worden, mit Kommunalpolitikern, Bürgermeister und Honoratioren der Stadt, unter anderem dem Münchner Kulturminister als Highlight, der ihn persönlich begrüßt und seine Kompositionen, die er nicht kannte, gelobt habe, gesagt habe, seinetwegen, Marc Baldurs wegen, sei er hier, worauf er dann in seiner offiziellen Laudatio aber mit keinem einzigen Wort auf Musik eingegangen sei, sagte Marc, sondern ausschließlich auf Design! Nämlich Design sei die Kunst, den Alltag zu verschönern, sei die Kunst überhaupt, habe der Kulturminister, der sich ihm gegenüber als großer Musikfan beschrieben habe, in allen Variationen gesagt, bis man sich anschließend wie wild geworden auf das Buffet stürzte, als hätte man jahrelang nichts gegessen, während nur der Design- und der Musikkünstler irgendwie keinen Appetit gehabt hätten, sagte er, genauso wenig vermutlich wie der Redenschreiber des Ministers, der schlicht und einfach nicht gewusst habe, dass es ein Design- und Musikpreis gewesen sei und es zwei Preisträger gegeben habe, der Arme, sagte Marc und bekam einen Lachanfall.

Tom lachte mit.

«Diese Preise«, sagte Marc, nun wieder ernst auf eine Gabel mit Spaghetti blickend,»sind eigentlich eine Demütigung, sie werden gewohnheitsmäßig von Leuten verliehen, die nicht das Geringste verstehen, also sind sie nie inhaltlich, fördern nie das Talent, sondern immer nur die Eitelkeit, das Talent zur Eitelkeit höchstens«, sagte er und schob die Gabel in den Mund.»Die Begabung zur Eitelkeit«, wiederholte er kauend, die man als förderungswert und einer Komponistenbiographie als zuträglich erachte, was vielleicht letztlich sogar stimme. Tom lachte und hielt es aber für übertrieben.»Ja, ja«, sagte er.

Nach dem Essen setzten sie sich auf die Couch und bauten einen Joint, zur Feier des Tages, wie Tom meinte, des verspäteten Tages. Marc hatte sogar den Ofen im Wohnzimmer angeschürt, das im Winter kaum zu heizen war. Ein riesiger quadratischer Raum umgab sie, mit seiner vertrauten Leere, mit den hohen Decken, dem abgeblätterten Stuck und zwei braun lackierten Flügeltüren.

«Ich wollte dich was fragen«, sagte Marc, indem er sich mit der Hand über die Stirn fuhr und den Kopf in den Nacken drückte.»Spielst du es?«

«Was spiele ich?«

Marc räusperte sich:»Ich hätte gern, dass du es spielst.«

Nur sehr langsam begann Tom zu begreifen.»Du willst, dass ich das Stück spiele? Im Konzerthaus?«

Marc nickte. Tom nicht.»Marc, ich bin Jazzer«, sagte er, obwohl dies seinem Freund bereits geläufig war.»Ich kann nicht nach Noten spielen und schon gar nicht im Konzerthaus! Unmöglich!«, sprach er,»es ist ganz unmöglich. «Er schloss die Augen, und um auch das Thema zu schließen, schüttelte er den Kopf. Obwohl das Konzert erst im Sommer zusammen mit mehreren anderen Aufführungen über die Bühne gehen sollte, fand das erste Treffen mit dem jungen Kammermusikensemble» novus ensemble«(kleingeschrieben), das sich in heroischer Art und Weise auf die Interpretation zeitgenössischer Musik verlegt hatte, bereits einige Wochen später statt. Die Mitglieder des ensembles (kleingeschrieben) saßen stockgerade im Probenraum, und sie dämpften ihre Stimmen, sobald der Komponist den Raum betreten hatte. Tom wunderte sich über den feierlichen, wesentlichen Ernst, der sie umgab, während sie in der Partitur blätterten, diesen kompromisslosen Musikernst, der sie von der Welt des Mainstream und der Welt der Welt überhaupt abschloss und hinaufhob in der Art einer Baggerschaufel.

Ihren Lebensunterhalt allerdings verdienten die meisten von ihnen, indem sie bei Musicalproduktionen einsprangen, bis dieses Einspringen zur regelmäßigen Abendbeschäftigung wurde und sie im Bühnengraben des» Theaters des Westens «herumlungerten wie andere Leute in ihren Fernsehsesseln, nicht ohne das Empfinden einer gewissen Gemütlichkeit, verbunden mit Scham und dem nagenden Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, stattdessen lieber ein gutes Buch lesen zu sollen, beispielsweise. Und dieses gute Buch war die zeitgenössische Musik. Damit (es war die Partitur eines jungen vielversprechenden Komponisten) saß man stockaufrecht an diesem Freitagabend in einem der schallgedämpften Übungsräume der Hochschule in einem Stuhlkreis versammelt, darin Tom, neben ihm Ulrich, ein Jazzschlagzeuger, den er mitgebracht hatte, der die Knie zusammengedrückt hielt, als ginge es um die Einschulung. Gemeinsam blätterte man ehrfürchtig in den Noten. Der Urheber dieser Noten war ein bisschen aufgeregt, was Tom an seinen Wangen erkannte, die etwas gerötet waren, die Augen ständig in Bewegung.

Es sei, erklärte Marc, ein dreisätziges Stück, wobei diese Dreiteilung lediglich ein Zitat der klassischen Konzertform sei, es handle sich ja gar nicht um ein Klavierkonzert, wie sie sofort sehen würden, vielmehr seien alle Instrumente gleichberechtigt. Es komme ihm auf den Zusammenklang, überhaupt auf die Produktion des Klangs an, zumal im ersten Satz, der die Sprache der Dinge illustriere und die Möglichkeiten des Orchesters, des Klaviers und des Schlagzeugs in einer neuen Richtung ausloten wolle. Es müsse technisch klingen, die Streicher spielten über weite Strecken nicht auf den Saiten, sondern indem sie das Holz des Bogens und des Stegs benutzten, viele Pizzicato-Passagen, abgedämpfte Saiten. Die Blechbläser hielten sich ausschließlich an den oberen und unteren Grenzen ihres Tonumfangs auf, was neue Klangereignisse schaffe, er wolle das Material hörbar machen, auch bei Klavier und Schlagzeug, Holz, Metall, Blech. Der Rhythmus hingegen, der elektronischen Popmusik entlehnt, sei eine repetitive Figur, wobei man ausdrücklich auf den Einsatz von Computersamples verzichte, da man den Effekt der Entzeitlichung auch mit dem herkömmlichen Instrumentarium erzeugen zu können meine, durch die Schichtung gerader, treibender Pattern bei minimalen Verschiebungen, weitmögliche Reduktion.