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«Holler.«

«Ach ja. «Hermanns schien zu überlegen.»Wieder aus New York zurück? Sie waren doch in New York?«, fragte er, offenbar erfreut darüber, dass irgendwo in seinem Personengedächtnis doch noch ein paar Details herumlagen, die er wider Erwarten gefunden hatte.

«Kalifornien …«, berichtigte Tom und wollte weiter ausholen.

«Ach, richtig«, sagte aber Hermanns, indem er ihm das Wort direkt von den Lippen wegschnitt. In den USA, sagte er, sei er selber für längere Zeit gewesen, nämlich in Boston, wo er studiert habe und wo es ganz fabelhafte Bedingungen gebe für junge Forscher,»ganz andere Forschungsbedingungen«, sagte er,»als bei uns, das reinste Forscherparadies haben Sie da drüben. Ich bin nämlich eigentlich Physiker, müssen Sie wissen, und bin nur durch Zufall im Management gelandet. «Er verschränkte in einer ausladenden Geste die Arme vor seiner Brust.

«Ach«, sagte Tom, das habe er nicht gewusst.

Tja, wie es eben immer so gehe, seufzte Hermanns, und sein Blick zielte knapp an Toms Gesicht vorbei in den Himmel.

Tom wollte sich verabschieden, aber Hermanns redete schon weiter. Im Süden, wo er noch heute Vormittag auf einem Meeting gewesen sei, liege nicht eine Schneeflocke, sagte er nachdenklich. Dann unvermittelt:»Fahren Sie Ski?«Die Augen, gletscherblau, etwas wässrig, stachen dabei in die seinen, aber bevor Tom verneinen konnte, schoss Hermanns’ Blick durch ihn hindurch, als hätte er bereits zu viel Zeit mit ihm verschwendet.

«Wir fahren jedes Jahr zu Ostern«, sagte Hermanns,»ins Engadin zum Skifahren, das sind Farben dort, grandios. Das müssen Sie gesehen haben, das Licht im Engadin, wenn im Tal schon das erste Grün zum Vorschein kommt und oben noch eisiger Winter …«Er beendete den Satz nicht, sondern ließ ihn ins Leere laufen, indem er auf Kopfhöhe ein wenig mit den Fingern wedelte.

Ob er das Engadin kenne?

Nein, das Engadin, sagte Tom, kenne er nicht.

Ein unglaubliches Licht, sagte Hermanns, herrsche dort, und dann der Schnee, und dabei handle es sich doch um nichts anderes, sagte er, als um eine Illusion, um ein Betrugsmanöver von Seiten der Natur.»Die Natur nämlich«, sagte Herr Dr. Hermanns,»sie betrügt uns fortwährend.«

Tom neigte fragend den Kopf, als ob sich durch dessen Verlagerung die darin stattfindenden Arbeitsprozesse beschleunigen ließen.

«Der Schnee erscheint uns blendend weiß«, erklärte Hermanns geduldig,»dabei ist er ja in Wirklichkeit durchsichtig, absolut farblos«, was ihn augenblicklich selber zu überraschen schien, worüber er sich offenbar freute, sich selber mit dem eigenen Wissen immer wieder neu zu überraschen.

Tom hob die Augenbrauen und nickte, als Hermanns weitersprach und sagte, dass die Struktur des Schneekristalls übrigens eine sechsstrahlige sei und aus gefrorenem Wasser bestehe, aus bestimmten, so sagte er, Wasserstoffbrückenverbindungen, wie die Physiker, wir Physiker, sagte er wiederholt, sie nennen, und diese Wasserstoffbrückenverbindungen,»wie wir Physiker sie nennen«, seien natürlich eigentlich durchsichtig, uneigentlich aber, weil das Licht an den Grenzflächen zwischen den Eiskristallen und der sie umgebenden Luft reflektiert und gestreut werde, erschienen sie uns, erscheine der Schnee uns oder das, was wir als Schnee wahrnähmen, als blendend weiß.»Tja«, sagte er.

Tom öffnete den Mund, damit endlich die Verabschiedung, die seit vielen Minuten darin wartete, hinauskönne, beging aber den Fehler, gleichzeitig scheinbar interessiert zu nicken, was Herrn Hermanns dazu animierte, jetzt, wo er schon dabei war, auch noch über das Phänomen des blauen Himmels zu berichten.»Auch der blaue Himmel, den wir so mögen«, sagte er,»ist in Wahrheit nichts anderes als ein besonders schöner Betrug der Natur. Eine beliebte Frage übrigens bei physikalischen Abschlussprüfungen …«Und wieder blickte er sentimental über Toms Kopf hinweg, den er ohnehin überragte.»Ach Gott, ist das lange her«, sagte er und zeichnete dann mit der Fußspitze etwas in den Schnee, das Tom nicht deuten konnte.

Er nutzte die Pause, um etwas Witziges zu sagen, das aber von Hermanns überhört, wenigstens übergangen wurde:»Jeder betrügt also jeden«, sagte Tom.»Wir betrügen die Natur, sie betrügt uns«, sagte er, hatte aber sofort den Verdacht, dass Hermanns, der mit gespitztem Mund weiterhin die eigene Fußspitze betrachtete, ihn und seine Anwesenheit schon wieder vergessen hatte.

Unvermittelt aber erinnerte er sich seiner und sagte:»Sie kommen doch mit rein auf einen Kaffee?«Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung.»Meine Frau muss ja doch bald kommen.«

Im Wohnzimmer war von Kaffee aber keine Rede mehr, sondern Hermanns schenkte Whiskey aus einer Karaffe in zwei schwere Gläser, in denen Eiswürfel klapperten. Zwei Hunde, Leo und Raffi, legten ihre Mäuler warm auf Toms Knie. Sie schielten zu ihm hinauf und peitschten mit den Schwänzen an die Seiten der Polstermöbel und hinterließen sicherlich auch Dreck.

Gut, dass ihr nicht reden könnt, dachte Tom im Kreis, während er den Whiskey trank. Das Eis klackte ans Glas. Er trank schnell, und sein Gastgeber schenkte bereitwillig nach.

«Musik?«, sagte er. Er sah seinen Gast eindringlich an. Er wirkte selbst wie ein Gast in diesem Sofasitzarrangement.

«Gern«, sagte Tom.

«Was mögen Sie denn?«

«Ach egal«, sagte Tom, dachte aber: Ihre Frau.

Seufzend erhob sich Hermanns und erinnerte an eine männliche Walküre, während er zur Stereoanlage hinüberging, aber es gibt keine männlichen Walküren, aber Hermanns ist eine, dachte Tom.

Die Beatles tönten aus den Lautsprechertürmen, und Hermanns regelte mit einer schmalen Fernbedienung, die er hoch in die Luft hielt, die Lautstärke herab. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, erklärte er, dass er und seine Frau damals, seinerzeit, die Beatles live gehört hätten, noch ehe sie berühmt gewesen seien, was Tom beeindruckte. Aber schon hatte Hermanns das Thema gewechselt oder ausgeweitet ins Allgemeine, indem er das Bein überschlug und auf seine kreisende Schuhspitze hinabblickte und darüber redete, dass die Zeiten damals eben alles in allem ganz andere gewesen seien. Die Zeiten damals seien noch von Begeisterung durchdrungen gewesen, im Gegensatz zu der heutigen Zeit, die ihrerseits nur mehr satt und saturiert und deshalb müde sei und auch träge, so Hermanns, denke er an die jungen Leute von heute.»Keine Überzeugungen mehr«, sagte er und schüttelte bedauernd den Kopf.»Auch was den Musikgeschmack betrifft nicht«, sagte er.

«Und Ihre Kinder?«, sagte Tom, um von sich selbst abzulenken.

Hermanns neigte das Ohr.

«Was hören denn Ihre Kinder so?«

«Ach Gott!«, sagte er.»Reden Sie mit Ihren Eltern über Musik?«Aber er wartete keine Antwort ab, sondern erklärte, dass Kinder im Allgemeinen ihren Eltern nicht das Geringste, so nannte er es, von sich preisgäben, dass Kinder vor ihren Eltern im Gegenteil nichts als vorgefertigte Gemeinplätze über ihr Leben abspulten, ja wiederkäuten, und dass sich die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern aus diesem Grund auf die allgemeinsten Gemeinplätze sowie auf Informationen über Finanzielles, Versicherungsverträge, Bausparverträge und Ähnliches reduziere. Das, was hingegen wirklich laufe, so Hermanns,»das wirst du nie erfahren«, sagte er wie zu sich selbst, aber» so ist es nun mal«, sagte er,»war bei uns damals wohl nicht anders, wenn es auch nicht gerade erfreulich ist.«

Kälte machte sich breit und strich über die Dinge im Raum, die Sitzgruppe, den Tisch, den Hals der Karaffe, deren Verschluss leise klirrte. Das Fell der schlafenden Hunde, die um keinen Preis geweckt werden durften, sträubte sich auf, und ein Schauer überlief auch Toms Rücken. Leise wechselte er die Stellung seiner Beine.

Hermanns aber hatte sich eine andere Fernbedienung genommen, mit der er jetzt die Lichtstimmung zum Gemütlicheren hin nachregelte. Tom staunte, denn eine derartige Fernbedienung hatte er noch niemals gesehen.