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«Wie macht sie sich denn?«, fragte der Gastgeber, plötzlich wieder aufgeräumt, indem er seinen Rücken behaglich am Sitzpolster zurechtschob.

«Wie bitte?«

«Meine Frau.«

Tom fürchtete, die Flammen könnten zu sehen sein, die von innen an seine Gesichtshaut schlugen. Er griff sich ans Kinn, um wenigstens einen Teil dieser seiner durchleuchteten Haut zu überdecken. Hermanns aber schien nichts aufzufallen, er hörte.

«Gut«, sagte Tom.»Sehr gut. Sie ist, sie spielt mit viel Gefühl. Sie macht große Fortschritte«, sagte er, was die Wahrheit war oder das, was er dafür hielt, und sich doch wiederum anhörte wie eine ungeheuerliche Lüge.

Hermanns aber schien erstaunt, offenbar hatte er anderes erwartet.»Tatsächlich?«, sagte er und wiegte den Kopf.»Schön«, sagte er,»sehr schön«, und er lächelte langsam, indem er aber die Augenbrauen zusammenzog und gleichzeitig anhob über der Nasenwurzel, als hörte er eine bittersüße Passage eines Mahler-Adagios. Wieder wurde er nachdenklich. Das Nachdenken füllte ihn ganz aus, so sehr, dass es durch seine Augen nach draußen drang und auch Tom einhüllte, der ebenfalls ganz nachdenklich wurde. Es wurde geschwiegen und nachgedacht. Hermanns fixierte dabei seinen Fuß, der in feinstem Leder steckte und elegante Kreise beschrieb. Tom sah auf den Tisch hinab und stellte sich vor, wie Frau Hermanns’ schlanke weiße Hand schon oft darübergestrichen und einen Gebäckkrümel oder auch ein Hundehaar entfernt hatte.

«Wissen Sie«, sagte Hermanns zu seinem Schuh,»sie ist viel allein. Oft viele Tage allein. «Er sagte es, wie man etwas über einen Menschen sagt, der gestorben ist und aber auch schon wieder lange tot ist, wie man jetzt feststellt, was einen erstaunt. So spricht er über seine noch lebende Frau, dachte Tom, aber er tut es immerhin im Präsens.

«Natürlich hat sie die Hunde, aber die Hunde«, Hermanns lachte nachdenklich,»sind natürlich keine Kinder!«

Natürlich nicht, dachte Tom, sagte es aber nicht, da er nicht wusste, ob Kommentare seinerseits überhaupt erwünscht waren.

«Ich muss ja viel reisen«, sagte Hermanns.»Schon immer viel reisen, wissen Sie, und seit die Kinder aus dem Haus sind, ihre eigenen Wege gehen, wie man so sagt, ist es hier recht still geworden.«

Tom wusste nicht, inwiefern das, was sein Gastgeber sprach, für die Ohren seines Gastes oder allgemein für die Luft, für die Erdatmosphäre, die ihn umgab, bestimmt war, aber da er nun einmal da war und auf der Welt war, genauer: in der Sofagruppe der Hermanns’ war, hörte er, was sein Gastgeber sagte, und es war viel. Die Kinder nämlich, so Hermanns, gaben zwar vor, eigene Wege zu gehen, aber in Wirklichkeit seien sie noch immer, nach wie vor, ja mehr denn je auf die Eltern angewiesen,»auf unseren gesellschaftlichen Background angewiesen«, sagte er, und Tom wusste nicht, ob Hermanns nun wieder allgemein redete, ob es sich um das Kind im Allgemeinen handelte oder um die eigenen persönlichen Hermannskinder, als er sagte:»Da hat man Kinder aufgezogen, hat auch so manches Opfer ihretwegen gebracht, und dann merkt man es irgendwann eben nur noch an den Bankauszügen, dass man überhaupt Kinder gehabt hat.«

«Aber sie waren doch erst Weihnachten da«, warf Tom in den Raum, und der Satz wurde vom sportlichen Hermanns sofort aufgefangen wie ein Ball, aber verwundert angesehen und in der Hand herumgedreht.

«Sie kommen schon seit Jahren nicht«, sagte er. Und wie er darauf komme, denn mit Udo, dem Sohn, herrsche,»nennen wir es Funkstille«, er nehme sich gerade, wie es der Sohn ausdrücke, eine Auszeit, um sich selbst zu finden, zitierte Hermanns den Sohn, indem er, begleitet von einer fragenden Handbewegung, dessen Tonfall offenbar nachzuahmen versuchte, und Patrizia, die Tochter, habe immer unglaublich viel zu tun. Sie sei so etwas Ähnliches wie eine Schauspielerin, was aber natürlich ein weiter Begriff sei, Schauspielerin, was man eben so unter einer Schauspielerin verstehen könne, sagte Hermanns,»jedenfalls macht sie Theaterperformances, oder wie man das nennt, in irgendwelchen New Yorker Kellern und hält es für Kunst«, sagte er.»Aber gut«, sagte er,»Sie sind ja auch Künstler, ich dagegen bin nur Geschäftsmann!«

Tom, der seinen Rücken streckte, denn eine eingesunkene Körperhaltung schien ihm angesichts der Situation unangemessen, befühlte mit seinen neben den Oberschenkeln liegenden Händen die Struktur des Sofastoffes, indem er mit den Fingernägeln die feinen Rillen nachfuhr, aber so, dass es Hermanns nicht merkte. Sein Gastgeber schwieg jetzt und beobachtete durch das Fenster, wie auf den Garten die Dämmerung herabsank. Dabei veränderte sich die Breite der Augenspalten ständig, als wollte er seine Sehschärfe prüfen.»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er mit einem kurzen Seitenblick in diejenige Richtung, in der er offenbar seinen Gast vermutete,»ich habe ganz bestimmt nichts gegen Kunst, sicher nicht. Ich liebe Kunst, ich finde sie wunderbar, Kunst ist ein Luxus«, er schlug ein Stäubchen von seinem Knie,»und Luxus, ich bitte Sie, ist wunderbar! Ich bin sicher der Letzte, der etwas gegen Luxus einzuwenden hätte, das dürfen Sie mir glauben!«

Tom nickte. Während er mit den Fingernägeln die Sofarillen nachfuhr, überlegte er, warum die Klavierschülerin ihm erzählte, dass die Kinder Weihnachten zu Hause gewesen seien und Spiegelreflexkameras und Pullunder geschenkt bekommen hätten, wo sie überhaupt nicht da gewesen und die Geschenke bestenfalls mit der Post erhalten haben, warum sie nicht ehrlich mit ihm sein kann, denn er ist es ja auch. Er ist immer ehrlich mit ihr, sie ist es nie. Ihren Mann kann er das schlecht fragen. Ihr Mann, der mit schmalen Augen in die Dämmerung hinausstarrte, schien zu überlegen und zu überlegen, und dann, weil er genug überlegt hatte, sagte er, dass die Kunst, die seinetwegen ja ruhig existieren solle, die ja seinetwegen machen könne, was sie wolle, dass diese Kunst aber in der Lage sein müsse, sich selbst zu finanzieren.»Alles andere ist doch Humbug«, sagte er laut. Es könne ja nicht, sagte er immer noch laut, angehen, dass man sich von seinen Eltern durchfüttern lasse,»von den Eltern, die ja sooo materialistisch sind«, sagte er,»die ja außer Geld gar keine anderen Werte haben, ja diese anderen Werte nicht einmal mehr kennen, sich diese Werte ja nicht einmal mehr vorstellen können, weil sie sie verraten und verkauft haben«, so die Tochter Patrizia, so ihr Vater, und so könne es doch nicht angehen, dass diese Tochter Patrizia auf Kosten des bösen, bösen Geldes, des verabscheuten Elterngeldes, in New Yorker Kunstkellern rumhample und gesellschaftskritische und antimaterialistische und antiamerikanische Kunst mache und andererseits aber das Geld der Eltern immer gern genommen und nie abgelehnt habe.»Oder?«, fragte er direkt in die Augen seines Gastes hinein. Tief trieb er seinen gletscherblauen Blick in dessen Pupillen, dass es sich daraufhin im Gast ganz eisig anfühlte.

«Ich weiß nicht«, sagte der.

«Ach«, sagte Hermanns.

«Wenn sie was Sinnvolles mit dem Geld anfängt«, sagte Tom und versuchte, kühn zu werden.»Es ist ja ohnehin vorhanden, ist ja ohnehin da.«

«Ach so«, sagte Hermanns, verwundert offenbar über des jungen Gastes Kühnheit. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, indem er die Handflächen unter die Achseln klemmte. Er blinzelte mehrere Male, als müsste er die Windschutzscheibe seiner Weltsicht reinigen. Dann sagte er» neinnein«. Er lächelte bedauernd über das Unverständnis des Gastes, dieser habe ihn ja falsch verstanden, sagte er bedauernd, denn er meine ja keineswegs, dass Kunst sich am Markt behaupten müsse. Ganz im Gegenteil, sei er, Hermanns, doch der Auffassung, dass sie ein Luxus sei und bleibe, und es gebe ja doch genügend Stipendien, staatliche Fördermittel, und auch sie, die Wirtschaft, wir, die Wirtschaft, sagte er, tue ja seit einiger Zeit viel für die Kunst. Er selbst sei ein Kunstliebhaber, ja ein richtiger Kunstfan. Sie, die Hermanns’, hätten ja sogar ein Opernabonnement und auch für die zeitgenössische Kunst interessiere man sich, und wohl kaum hätte er seiner dilettierenden Frau übrigens einen nagelneuen, obschon kleinen Steinway mir nichts, dir nichts gleich gekauft, wenn er nicht ein richtiger Kunstfan wäre, oder? Wo er doch jetzt schon wisse, dass sie ohnehin in ein paar Monaten wieder keine Lust mehr habe und was anderes machen wolle, und dann stehe der Steinway sowieso in der Ecke herum.