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Der Faden seiner Rede war abgerissen oder abgeschnitten worden von einer unvorhergesehenen Gedankenschere. Er schenkte Whiskey nach und trank schnell. Auch Tom nahm einen großen Schluck zu sich. Sein Kopf wurde heiß, schien sich zu blähen.

Aber Hermanns spann einen neuen Redefaden, während er das Glas in der Hand hielt, in welchem nur noch ein goldener Fleck über den Boden strich in der kreisenden Bewegung, die Hermanns mit seinem Blick verfolgte. Auch habe er ja seinen Kindern alles ermöglicht, auch alles mit der Kunst in Zusammenhang Stehende. Musikunterricht, Tennis, Ballett. Einfach alles habe man ihnen immerzu vorn und hinten reingeschoben, sagte er.»Vielleicht ist es zu viel gewesen«, sagte er, aber das Glas antwortete nicht, und Tom fühlte sich nicht angesprochen.»Vielleicht haben wir ihnen zu viel ermöglicht, haben ihnen keine Widerstände entgegengesetzt, und sie haben sich in der Mittelmäßigkeit eingerichtet, weil sie ja gar nichts haben machen müssen und alles immer nur vorne und hinten reingeschoben bekommen haben«, sagte er und trank das Glas aus, das daraufhin leer war, aber noch immer nichts antwortete.

«Und das haben wir jetzt davon«, sagte er,»dass wir immer nur das Beste für unsere Kinder wollten, immer noch wollen«, sagte er,»der eine macht gar nichts, und die andere macht Kunst!«, sagte er.»Der eine fängt ein BWL-Studium an, und darin verliert er sich angeblich und fängt an sich zu suchen, sich selbst zu suchen«, (wieder die Handbewegung),»wie er sagt, und die andere bildet sich ein, Schauspielerin sein zu können und Kunst machen zu können, dabei kann sie es nicht und ist aber zu schwach, es sich einzugestehen. Dass es einfach nicht reicht, dass die Begabung nicht ausreicht!«Unvermittelt änderte sich sein Ton:»Dabei wünsche ich es ihr so«, sagte er nun in einem lauten Flüstern,»mein Gott, ich wünsche es ihr ja so!«Er sank etwas ein, presste seinen Daumen auf die Nasenwurzel, bevor sich sein Oberkörper wie von einer Schnur gezogen wieder streckte und seine Hand blitzartig nach vorn schnellte und hohl auf die Tischplatte klatschte, dass es ein hallendes Geräusch gab.»Mein Gott, das ist doch Kasperltheater, das alles! Kalter Kaffee!«

Hermanns fasste sich, indem er Whiskey nachschenkte und nachtrank. Dabei habe er, fuhr er, wieder gefasst, fort, im Allgemeinen ja hohe Achtung vor den Künstlern, vor denen, die es schafften, aus eigener Kraft heraus etwas zu tun und damit ihr Geld zu verdienen, hohe Achtung habe er, aber man müsse sich eben auf den Hosenboden setzen. Die Künstler seien ja letzten Endes Unternehmer, wie er selber (er selber sei ja in leitender, daher unternehmerischer Position), also wisse er, was es heiße, aus sich selbst heraus tätig zu sein, zu schöpfen.»Ob sie Business machen oder Kunst, das ist doch am Ende alles dasselbe«, sagte er. Und:»Man braucht eben den gewissen Biss. «Bei dem Wort Biss schloss er seine Hand ruckartig zur Faust, als finge er ein Insekt, und das goldene Uhrband klickte unter seinen Manschettenknöpfen.

Behaglich lehnte er sich zurück, breitete die Arme rechts und links auf der Sofalehne aus. Er erklärte Tom jetzt, dass es ja auch wirklich nicht einfach sei, beispielsweise einem Mitarbeiter, der nicht mehr genug leiste, nahelegen zu müssen, zu gehen, ihm nahebringen zu müssen, dass seine Leistungen den, übrigens ständig wachsenden, Anforderungen nicht mehr genügten.»Dass es nicht reicht, was Sie bringen, muss ich zu x oder zu y sagen, der vielleicht Familienvater ist und natürlich nichts mehr finden wird, so wahr ich ihm gegenübersitze. Das dem x oder dem y ins Gesicht hinein zu sagen«, sagte Hermanns,»das fällt mir oft nicht leicht, eine gesamte Existenz auszulöschen in einer Minute, das dürfen Sie mir gerne glauben«, sagte Hermanns zu Tom, der es gerne glauben wollte.»Aber wir alle sind letztlich doch nur Details im großen Schaltplan.«

Hermanns blickte nachdenklich auf seinen Schuh, der auf und ab wippte. Plötzlich schnellte sein Oberkörper nach vorn, seine Augen waren jetzt Fühler, die sich nach Tom ausstreckten.»Oder?«, sagte er beschwörend.»Was ist wichtig im Leben? Sagen Sie es mir!«

Tom roch das Rasierwasser, das ihm entgegenkroch, presste seinen Rücken ins Polster, während die blauen Hermannsaugen ihn befühlten, und bevor er über den Schwierigkeitsgrad der Fragestellung verzweifeln konnte, sagte er leise:»Liebe, Musik, Freundschaft.«

Die Stille, die nun folgte, war groß, zumal auch» Hey Jude «im Fade-out verklungen und die CD zu Ende war. Hermanns fixierte Tom, hielt ihn mit seinem Blick gefangen, er hätte nicht aufstehen können.

«Sie sind sehr jung, nicht?«, sagte er langsam.

«Fünfundzwanzig«, flüsterte Tom, dachte aber sofort, ich hätte nicht antworten sollen, denn dies war keine Frage, sondern eine Aussage fast philosophischer Art, mit meiner Antwort aber habe ich mich als dumm, mindestens als einfach disqualifiziert.

«Genießen Sie es«, sagte Hermanns.»Es wird nicht immer so bleiben. «Noch einen Moment lang hielt er ihn fest, dann gab er ihn abrupt frei, wie man ein gespanntes Seil plötzlich aus den Händen gleiten lässt, und lehnte sich zurück.

«Was zum Knabbern?«, sagte er und erhob sich, ohne die Antwort abzuwarten.

Die Knabbereien, wie er es nannte, die er bereitstellte, nachdem er viele verschiedene Türen verschiedener Schränke und Kommoden geöffnet und es lange gedauert hatte, bis er noch eine passende Schüssel dazu gefunden hatte, waren Marken-Chipsletten / Paprika, und Tom, der sich eigentlich hatte verabschieden wollen, aber nicht von seinem Sessel hatte aufstehen können, so als wäre er bereits mit dem Sitzmöbel verschmolzen, bediente sich davon und aß, bis sie leer waren. Währenddessen sprach der Gastgeber über seine Frau, die abwesende Gastgeberfrau, was den Gast natürlich interessierte, mehr als die nichtsnutzigen Kinder.

Denn da waren sie ja stehen geblieben,»wir sprachen über meine Frau«, sagte Hermanns. Anne sei ja sehr sensibel, sagte er.

Anne. Der Klang dieser beiden Silben fuhr in Toms Inneres wie ein Blitz, der das Fenster eines Hauses durchschlägt, die Stube verwüstet. Er stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund, das Kaugeräusch explodierte zwischen seinen Ohren, übertönte aber nicht den Klang dieses Namens.

Hermanns sei ja froh, sagte er, dass ihr das Klavierspielen Spaß mache, dass es ihr offenbar liege. Die Abwesenheit der Kinder und einer anderweitigen Lebensaufgabe hinterlasse eine Lücke in diesem Haus. Anne sei ja, sagte er, eigentlich Lehrerin, sei Deutschlehrerin gewesen, habe aber nur drei Jahre gearbeitet, bevor die Kinder gekommen seien, und tja, er wisse ja,»Sie wissen ja, wie es dann eben immer so geht«, sagte er und fügte hinzu, dass er selbst ihr aber nie Steine in den Weg gelegt habe. Sie hätte weiterarbeiten können, selbstverständlich, zumindest als die Kinder groß gewesen seien.»Aber dann ging es nicht mehr, es ist einfach nicht mehr gegangen. Es hat sie fertiggemacht, psychisch«, erklärte Hermanns und sah bekümmert durch Toms Schulter und auch noch durch den Sessel hindurch. Er seufzte. Ein bisschen fotografiert habe sie dann, sagte er, ein paar Jahre lang, ganz hübsche Sachen zum Teil, sogar eine Ausstellung habe sie gehabt mit ihren Sachen, sagte er, indem er das Wort Ausstellung mit den Fingern in Anführungszeichen setzte, aber auch das habe sie wieder aufgegeben.»Sie wissen ja, wie die Frauen sind«, sagte er in einem Lächeln. Man verstehe sie übrigens auch dann noch nicht, wenn man mit ihnen schon über zwanzig Jahre verheiratet sei, sagte er, ja man verstehe sie immer weniger, möchte er behaupten, je länger man mit ihnen verheiratet sei. Er, der Physiker, erkläre sich dieses Phänomen ja am liebsten mit den sogenannten Überlagerungszuständen in der Quantenphysik, ja überhaupt mit der Quantenphysik, wo immer alles umso schwieriger und komplizierter werde, je weiter man ins Detail vordringe.»Nichts, junger Freund«, sagte er nach einem kurzen Schweigen,»ist, wie es scheint, sondern alles ist so und gleichzeitig auch anders und ändert sich immerzu, je nachdem, ob und wie Sie es betrachten. Aber wem sage ich das?«, und er sagte es der Blumenvase, die in der hinteren Ecke des Raumes stand.