Trotz ihrer schwerfälligen, plumpen Linien war die Aorai in der schwachen Brise leicht zu führen und der Kapitän brachte sie dicht unter Land, bevor er unmittelbar außerhalb des Soges der Brandung beidrehte. Das Hikueru Atoll ragte kaum aus dem Wasser, ein Ring feinen Korallensandes, dreißig Meter breit, mit mehr als dreißig Kilometern Umfang, der zwischen einem und anderthalb Metern über der Hochwassermarke lag. Auf dem Grund der riesigen, glasklaren Lagune wimmelte es von Muscheln, und vom Deck des Schoners aus konnte man über den schmalen Ring des Atolls hinweg die Taucher bei der Arbeit sehen. Doch die Einfahrt der Lagune war zu eng, selbst für einen Handelsschoner. Bei günstigem Wind mochte ein Kutter durch den gewundenen und seichten Kanal schlüpfen, aber die Schoner hielten sich außerhalb und schickten ihre kleinen Boote hinein.
Die Aorai setzte geschickt ein Boot aus, und ein halbes Dutzend braunhäutiger, nur mit knallroten Lendentüchern bekleideter Seeleute sprang hinein. Sie ergriffen die Riemen, während auf dem Achterdeck am Steuerruder ein junger Mann in der weißen Tropenkleidung stand, die ihn als Europäer auswies. Aber das Erbe Polynesiens verriet sich im Goldton seiner hellen Haut und ließ goldene Lichter und Flecken im blauen Schimmer seiner Augen tanzen. Er war ein Raoul, Alexandre Raoul, der jüngste Sohn der reichen Marie Raoul, in deren Adern ein Viertel weißes Blut floss und die ein Flottille von einem halben Dutzend Handelsschoner ähnlich der Aorai besaß und befehligte. Durch einen Strudel unmittelbar vor der Einfahrt hindurch, dann hinein und über die kochenden Wasser zweier gegenläufiger Strömungen kämpfte sich das Boot voran bis in die spiegelglatte Ruhe der Lagune. Der junge Raoul sprang heraus auf den weißen Sand und schüttelte einem hochgewachsenen Eingeborenen die Hand. Der Mann hatte eine mächtige Brust und gewaltige Schultern, aber der Stumpf seines rechten Armes, aus dessen Fleisch der verwitterte Knochen mehrere Zentimeter weit herausragte, zeugte von der Begegnung mit einem Hai, die seinen Tagen als Taucher ein Ende gesetzt und ihn zu einem Speichellecker gemacht hatte, der um kleine Gefälligkeiten betteln musste.
»Hast du schon gehört, Alec?« waren seine ersten Worte. »Mapuhi hat eine Perle gefunden – und was für eine Perle! Eine, wie sie nie zuvor auf Hikueru gefischt worden ist, nicht einmal in den Paumotus, in der ganzen Welt nicht. Kauf sie ihm ab. Er hat sie noch. Und denk daran, dass ich dir zuerst davon erzählt habe. Er ist ein Narr und du wirst sie billig bekommen. Hast du ein bisschen Tabak übrig?«
Raoul ging über den Strand direkt zu einer Hütte unter einem Pandanusbaum. Er war der Frachtmeister seiner Mutter, und seine Aufgabe bestand darin, die gesamten Paumotus nach dem Reichtum an Kopra, Perlmutt und Perlen abzuklappern, den sie erzeugten.
Er war noch nicht lange Frachtmeister, dies war erst seine zweite Reise in dieser Funktion, und er litt insgeheim große Sorge wegen seiner mangelnden Erfahrung im Beurteilen von Perlen. Aber als Mapuhi diese Perle vor seinen Augen enthüllte, gelang es ihm, seine Verblüffung zu verbergen und einen gleichmütigen, geschäftsmäßigen Ausdruck beizubehalten.
Denn der Anblick der Perle hatte ihn wie ein Schlag getroffen. Sie war so groß wie ein Taubenei, makellos rund und von einem Weiß, das in opalisierenden Lichtern aller Farben zu schillern schien. Sie war lebendig. Nie zuvor hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Als Mapuhi sie in seine Hand fallen ließ, war er überrascht von ihrem Gewicht. Das zeigte, dass es eine gute Perle war. Er sah sie sich durch ein Taschenvergrößerungsglas genauer an. Sie war ohne Makel oder Fehler. Ihre Reinheit schien geradezu aus seiner Hand in die Atmosphäre auszustrahlen. Im Schatten leuchtete sie von innen heraus, schimmernd wie ein sanfter Mond. Sie war von derart durchscheinendem Weiß, dass er sie fast nicht entdecken konnte, als er sie in ein Glas Wasser fallen ließ. An der Art, wie sie geschwind und gerade zu Boden sank, erkannte er, sie war von ausgezeichnetem Gewicht.
»Nun, was willst du dafür haben?« fragte er mit gut gespielter Nonchalance.
»Ich will –« begann Mapuhi und hinter ihm, sein eigenes dunkles Gesicht einrahmend, nickten die dunklen Gesichter zweier Frauen und eines Mädchens zustimmend zu seinen Wünschen. Ihre Köpfe waren vorgereckt, erfüllt von unterdrückter Ungeduld, ihre Augen glitzerten begehrlich.
»Ich will ein Haus,« fuhr Mapuhi fort. »Es muss ein Dach aus verzinktem Eisenblech haben und eine achteckige Pendeluhr. Es muss zehn Meter lang sein und rundum eine Veranda haben. In der Mitte muss es einen großen Raum haben, mit einem runden Tisch im Zentrum und der achteckigen Pendeluhr an der Wand. Es muss vier Schlafzimmer haben, zwei zu jeder Seite des großen Raums, und in jedem Schlafzimmer müssen ein eisernes Bett, zwei Stühle und ein Waschtisch stehen. Hinter dem Haus muss eine Küche sein, eine gute Küche, mit Töpfen und Pfannen und einem Herd. Und du musst das Haus auf meiner Insel errichten, auf Fakarava.«
»Ist das alles?« fragte Raoul ungläubig.
»Es muss auch eine Nähmaschine dabei sein,« ergriff Tefara das Wort, Mapuhis Frau.
»Nicht zu vergessen die achteckige Pendeluhr,« fügte Nauri, Mapuhis Mutter hinzu,
»Ja, das ist alles,« sagte Mapuhi.
Der junge Raoul lachte. Er lachte lang und herzlich. Aber während er lachte wälzte er insgeheim im Geiste arithmetische Probleme. Er hatte in seinem Leben noch kein Haus errichtet und seine Vorstellungen vom Hausbau waren nebelhaft. Während er lachte, überschlug er die Kosten der Fahrt nach Tahiti zur Materialbeschaffung, die Kosten der Baustoffe, der Rückreise nach Fakarava, der Anlandung der Fracht und des Hausbaus selbst. Es kam auf viertausend französische Dollar, einschließlich eines Sicherheitsspielraums – viertausend französische Dollar waren das Äquivalent von zwanzigtausend Francs. Unmöglich. Wie sollte er den Wert einer solchen Perle bemessen? Zwanzigtausend Francs waren eine Menge Geld – zumal vom Geld seiner Mutter.
»Mapuhi,« sagte er, »du bist ein großer Narr. Nenn einen Preis in Geld.«
Aber Mapuhi schüttelte den Kopf und die drei Köpfe hinter ihm verneinten im Gleichklang.
»Ich will das Haus,« sagte er. »Es muss zehn Meter lang sein und rundum eine Veranda –«
»Ja, ja,« unterbrach ihn Raoul. »Ich weiß Bescheid über dein Haus, aber es geht nicht. Ich gebe dir eintausend Chile-Dollar.«
Die vier Köpfe verneinten im Chor.
»Und einhundert Chile-Dollar in Waren.«
»Ich will das Haus,« begann Mapuhi.
»Was hast du von einem Haus?« wollte Raoul wissen. »Beim ersten Hurrikan wird es weggefegt. Das weißt du doch. Captain Raffy sagt, das es gerade jetzt sehr nach einem Hurrikan aussieht.«
»Nicht auf Fakarava,« sagte Mapuhi. »Dort liegt das Land viel höher. Auf dieser Insel hier schon. Jeder Hurrikan kann Hikueru hinwegfegen. Ich will das Haus auf Fakarava. Es muss zehn Meter lang sein und rundum eine Veranda –«
Und Raoul hörte sich abermals die Geschichte von dem Haus an. Mehrere Stunden verwandte er auf den Versuch, Mapuhi zu überreden, dass er sich die fixe Idee mit dem Haus aus dem Kopf schlug; aber Mapuhis Mutter und Frau, und auch Ngakura, Mapuhis Tochter, bestärkten ihn in seiner Entschlossenheit. Während er sich zum zwanzigsten Mal die detaillierte Beschreibung des gewünschten Hauses anhörte, sah Raoul durch die offene Tür, wie das zweite Boot seines Schoners auf den Strand lief. Die Seeleute blieben an den Riemen, was bedeutete, dass sie gleich wieder ablegen wollten. Der erste Maat der Aorai sprang an Land, wechselte ein paar Worte mit dem einarmigen Eingeborenen und eilte dann auf Raoul zu. Der Tag verdüsterte sich mit einem Mal, als eine Sturmwolke sich vor das Antlitz der Sonne schob. Über die Lagune hinweg konnte Raoul die unheilverkündende Linie der Windbö näher kommen sehen.
»Captain Raffy sagt, Sie sollen zusehen, dass Sie hier wegkommen,« lautete die Begrüßung des Maats. »Wenn es hier Perlmutt gibt, müssen wir riskieren, es später abzuholen – meint er jedenfalls. Das Barometer ist auf Neunundzwanzig-Siebzig gefallen.«