Er landete am Strand inmitten eines peitschenden Gewitterschauers, der so dicht war, dass er mit Huru-Huru zusammenstieß, bevor er ihn sehen konnte.
»Zu spät,« brüllte Huru-Huru. »Mapuhi hat sie für vierzehnhundert Chile-Dollar an Toriki verkauft, und Toriki hat sie Levy für fünfundzwanzigtausend Francs verkauft. Und Levy wird sie in Frankreich für hunderttausend Francs verkaufen. Hast du ein bisschen Tabak übrig?«
Raoul fühlte sich erleichtert. Seine Sorgen wegen der Perle waren vorüber. Er musste sich keine Gedanken mehr machen, selbst wenn er die Perle nicht hatte. Aber er glaubte Huru-Huru nicht. Mapuhi mochte sie wohl für vierzehnhundert Chile-Dollar verkauft haben, doch dass Levy, der etwas von Perlen verstand, fünfundzwanzigtausend bezahlt haben sollte, schien eine zu große Spanne. Raoul beschloss, Captain Lynch zu dem Thema zu befragen, aber als er beim Haus des alten Seebären anlangte, fand er ihn vor, wie er mit weit aufgerissenen Augen das Barometer anstarrte.
»Was sehen Sie da?« fragte Captain Lynch besorgt, putzte seine Brille und starrte wieder das Instrument an.
»Neunundzwanzig-Zehn,« sagte Raoul. »Ich habe es noch nie so niedrig erlebt.«
»Das glaube ich gerne!« schnaubte der Kapitän. »Fünfzig Jahre auf allen sieben Meeren, von Kindesbeinen an, und so tief habe ich es noch nie fallen sehen. Hören Sie!«
Sie lauschten eine Weile, während die Brandung donnerte und das Haus erzittern ließ. Dann gingen sie nach draußen. Der Schauer war vorübergezogen. Sie konnten die Aorai eine Meile entfernt in einer Flaute liegen und wie ein Korken in den gewaltigen Wellenzügen stampfen und schlingern sehen, die in majestätischer Prozession von Nordosten heranrollten und sich wütend gegen den Korallenstrand warfen. Einer der Seeleute aus dem Boot deutete auf die Mündung der Durchfahrt und schüttelte den Kopf. Raouls folgte mit dem Blick seiner Geste und sah ein weißes Chaos aus Schaum und Sturzseen.
»Ich glaube, ich muss heute Nacht bei Ihnen bleiben, Captain,« sagte er. Dann wies er den Seemann an, das Boot an Land zu ziehen und für sich und seine Kameraden Schutz zu suchen.
»Glatte Neunundzwanzig,« berichtete Captain Lynch, als er von einem weiteren Blick aufs Barometer herauskam, einen Stuhl in der Hand.
Er setzte sich und betrachtete unverwandt das Schauspiel, das die See ihnen bot. Die Sonne kam heraus und verstärkte die Schwüle noch, während die plötzliche, absolute Windstille andauerte. Die Wogen schienen immer höher anzuschwellen.
»Ich begreife nicht, was diesen Seegang verursacht,« murmelte Raoul gereizt. »Es ist völlig windstill, aber sehen Sie nur, schauen Sie sich den Burschen da an!«
Meilenlang, zehntausende von Tonnen Gewicht mit sich führend, erschütterte der Aufprall des Brechers das filigrane Atoll wie ein Erdbeben. Captain Lynch war bestürzt.
»Meine Güte!« schrie er, halb aus seinem Stuhl hochfahrend, bevor er sich wieder zurücksinken ließ.
»Aber es gibt keinen Wind.« Raoul war hartnäckig. »Ich könnte es verstehen, wenn gleichzeitig ein Wind blasen würde.«
»Keine Sorge, Ihren Wind bekommen Sie noch früh genug,« lautete die grimmige Antwort.
Die beiden Männer saßen schweigend da. Der Schweiß trat ihnen in Myriaden winziger Tröpfchen auf die Haut und lief zu feuchten Flecken zusammen, welche ihrerseits zu Rinnsalen anwuchsen und auf den Boden tropften. Sie rangen nach Luft, und vor allem der alte Mann keuchte unter der Anstrengung. Eine See ergoss sich über den Strand, beleckte die Stämme der Kokospalmen und verlief sich erst dicht vor ihren Füßen.
»Weit über der Hochwasserlinie,« bemerkte Captain Lynch. »Dabei lebe ich jetzt schon elf Jahre hier.« Er sah auf die Uhr. »Es ist Drei.«
Ein Mann und eine Frau mit einem bunten Gefolge von Bälgern und Kötern zogen mit besorgten Mienen vorbei. Sie hielten jenseits des Hauses an, und nach langer Unschlüssigkeit setzten sie sich in den Sand. Ein paar Minuten später tauchte eine weitere Familie aus der entgegengesetzten Richtung auf. Die Männer und Frauen schleppten die verschiedenartigsten Besitztümer mit sich. Und bald hatten sich mehrere hundert Personen jeden Alters und Geschlechts um die Behausung des Kapitäns versammelt. Er sprach eine der Neuankömmlinge an, eine Frau mit einem Baby auf dem Arm, und erhielt die Auskunft, dass ihr Haus soeben in die Lagune gespült worden sei.
Dieses war meilenweit der höchstgelegene Flecken Erde, und beiderseits hatten die großen Wogen an vielen Stellen schon deutliche Breschen in den schmalen Ring des Atolls geschlagen und ergossen sich in die Lagune. Über dreißig Kilometer maß der Umfang des Atolls, aber an keiner Stelle war es mehr als neunzig Meter breit. Es war der Höhepunkt der Tauchsaison und von allen umliegenden Inseln, sogar vom weit entfernten Tahiti, hatten sich die Eingeborenen versammelt.
»Hier leben zwölfhundert Männer, Frauen und Kinder,« sagte Captain Lynch. »Ich frage mich, wie viele es morgen früh noch sein werden.«
»Aber warum geht kein Wind? Das ist es, was ich wissen möchte.« Raoul ließ sich nicht abbringen.
»Keine Sorge, junger Mann, das Verhängnis kommt noch früh genug.«
Captain Lynch hatte noch nicht ausgesprochen, als eine gewaltige Wassermasse das Atoll erzittern ließ.
Das Meerwasser schäumte acht Zentimeter hoch unter ihren Stühlen. Ein dumpfes Angstgeheul stieg von den vielen Frauen auf. Die Kinder starrten mit ineinander gekrampften Händen in die gewaltigen Brecher und weinten mitleiderregend. Hühner und Katzen wateten verstört durchs Wasser und dann, als hätten sie sich abgesprochen, flüchteten sie in wilder Jagd zum Haus des Kapitäns und suchten Zuflucht auf dem Dach. Ein Mann aus Paumotu kletterte mit einem Wurf neugeborener Welpen in einem Korb auf eine Kokospalme und befestigte den Korb gut sechs Meter über dem Boden. Die Hündin tobte jaulend und bellend im Wasser darunter.
Und immer noch herrschte strahlender Sonnenschein und die vollkommene Windstille dauerte an. Sie saßen da und beobachteten die Wellen und das irrwitzige Schlingern der Aorai. Captain Lynch starrte in die heranrollenden Wasserberge, bis er es nicht länger ertragen konnte. Er barg das Gesicht in den Händen, um den Anblick auszusperren; dann ging er ins Haus.
»Achtundzwanzig-Sechzig,« sagte er ruhig, als er zurückkehrte.
Im Arm hielt er eine Rolle dünnen Seils. Er schnitt es in vier Meter lange Stücke, gab eines Raoul, behielt eines für sich und verteilte den Rest unter den Frauen mit dem Ratschlag, sich einen Baum auszusuchen und hinauf zu klettern.
Eine leichte Brise begann von Nordwesten zu wehen und ihre Kühle auf seiner Wange schien Raoul aufzumuntern. Er konnte sehen wie die Aorai die Segel trimmte und in See stach, und er bedauerte, dass er nicht an Bord war. Sie würde auf jeden Fall davonkommen, aber was das Atoll betraf ... Eine Woge brach sich Bahn, riss ihn beinahe von den Füßen und er suchte sich einen Baum aus. Dann fiel ihm wieder das Barometer ein und er rannte zum Haus zurück. Er stieß auf Captain Lynch, der dasselbe Ziel hatte, und sie gingen zusammen hinein.
»Achtundzwanzig-Zwanzig,« sagte der alte Seebär. »Das wird die reinste Hölle, wenn – was ist das?«
Die Luft schien sich plötzlich mit einer Art Brausen zu erfüllen. Das Haus erbebte und rüttelte und sie hörten einen Ton wie von einer gewaltigen vibrierenden Saite. Die Fenster klapperten. Zwei Scheiben zersplitterten, und ein Windstoß fuhr herein, der sie ins Taumeln brachte. Die Tür gegenüber knallte zu und zerschmetterte den Riegel. Der weiße Türknauf bröckelte in kleinen Stücken zu Boden. Die Wände des Raums beulten sich wie die Hülle eines Gasballons, der plötzlich aufgeblasen wird. Dann ertönte ein neuer Laut wie das Knattern von Musketenschüssen, als die Gischt einer Welle gegen die Hauswände prasselte. Captain Lynch sah auf die Uhr. Es war Vier. Er zog sich einen Lotsenmantel über, hängte das Barometer ab und verstaute es in einer geräumigen Tasche. Wieder traf eine See mit dumpfem Schlag das Haus und das leichte Gebäude neigte sich, drehte sich um neunzig Grad auf seinem Fundament und kam mit dem Boden in einer Schräglage von zehn Grad zur Ruhe.