Nun wandten wir uns wichtigeren Dingen zu – der Notwendigkeit weiterer überdachter Docks im Arsenal, in denen zusätzliche Galeeren für die Kornflotte kalfatert werden konnten – sonst war es unmöglich, vor der sechsten Wartenden Hand hundert Schiffe für die Reise in den Norden bereitzustellen.
Es ist vielleicht interessant festzuhalten, welche Flottenstärke Port Kar erreicht – in Schiffen mittlerer Größenklasse oder größer:
Die fünf Ubars Port Kars – Chung, Eteocles, Nigel, Sullius Maximus und Henrius Sevarius – verfügen zusammen über etwa vierhundert Schiffe. Die hundertundzwanzig Kapitäne des Rats besitzen zusammen an die tausend Schiffe und kontrollieren im übrigen weitere tausend Schiffe als Reeder, durch den Rat – zu diesen Schiffen gehören die Kornflotte, die Ölflotte, die Sklavenflotte und andere, ebenso wie viele Patrouillen- und Begleitschiffe. Darüber hinaus gibt es in der Stadt etwa zweitausendfünfhundert Schiffe, die rund sechzehnhundert kleinen Kapitänen gehören; sie sind nicht reich genug, um dem Rat der Kapitäne anzugehören. Somit kommen wir – rund gerechnet – auf eine Gesamtflotte von fünftausend Schiffen für Port Kar. Nur annähernd fünfzehnhundert davon gehören zur Klasse der Langschiffe, die besonders als Kriegsschiffe geeignet sind. Die Rundschiffe sind nicht mit Rammen versehen und lassen sich auch viel schwerer manövrieren, sind jedoch bei einer Seeschlacht nicht ohne Bedeutung, denn ihre Decksflächen und Aufbauten können Schleudern, Torsionsgeschütze und Wurfapparate beherbergen, ganz zu schweigen von Truppen. Ein Kriegsschiff, das sich für den Kampf rüstet, legt übrigens seinen Mast um und bringt das Segel unter Deck, Reling und Deck werden mit nassen Fellen bedeckt.
Es wurde einstimmig beschlossen, ein weiteres Dutzend überdachte Docks zu schaffen, damit die Kornflotte rechtzeitig fertig wurde.
Das nächste Thema betraf einen Streit zwischen den Segelmachern und den Seilern, die bei der Meeresprozession den Vortritt haben wollten. Dieser Marsch findet jährlich am ersten En’Kara, am goreanischen Neujahrstag, statt. In diesem Jahr hatte es einen Aufstand gegeben, so daß beschlossen wurde, die beiden Gruppen sollten künftig nebeneinander schreiten. Ich nahm nicht an, daß das Problem damit gelöst war.
Mir wollte die Meldung des Seemanns nicht aus dem Kopf, daß Cos und Tyros eine Flotte gegen Port Kar ausrüsteten – doch ich versuchte mich auf die Versammlung zu konzentrieren.
Als nächstes ging es um die Forderung der Flaschenzugmacher nach mehr Lohn. Ich stimmte dafür, doch der Antrag kam nicht durch.
Alle Handwerker im Arsenal sind freie Männer. Die Bürger von Port Kar erlauben wohl, daß Sklaven Häuser und Mauern bauen, doch an ihre Schiffe lassen sie sie nicht heran. Der Lohn eines Segelmachers beträgt übrigens vier kupferne Tarnmünzen am Tag, während ein guter Schiffsbauer, vom Rat der Kapitäne angestellt, täglich bis zu einer goldenen Tarnmünze verdienen kann. Der durchschnittliche Arbeitstag beträgt zehn Ahn, oder zwölf irdische Stunden. Die tatsächliche Arbeitszeit ist aber weitaus geringer, da viele Pausen eingelegt werden und der freie Goreaner sich nicht zu ungebührlicher Hast antreiben läßt. Es kommt natürlich manchmal auch zu Entlassungen, aber Arbeit ist gewöhnlich reichlich vorhanden. Die verschiedenen Handwerkergruppen, etwa die der Segelmacher, sind in Zünften organisiert und erheben Mitgliedsbeiträge, die der Unterstützung von Verletzten und ihren Familien, für Kredite, Arbeitslosenzahlungen und Pensionen dienen. Zuweilen treten diese Organisationen auch als Verhandlungspartner gegenüber dem Arsenal auf. Der Rat der Kapitäne respektiert die Männer, die ihre Schiffe bauen und ausstatten, andererseits sind die Löhne so gering, daß die Organisation selten die Mittel hat, einen langen Streik durchzuhalten; das Arsenal kann sich in Geduld fassen und den Bau eines Schiffes verzögern, während die Arbeiter täglich essen müssen. Außerdem betrachten sich die Männer des Arsenals als etwas Besonderes und würden sich ungern von ihrer Arbeit trennen – trotz ihrer gelegentlichen Drohungen, die Arbeit niederzulegen. Der Bau schöner und guter Schiffe macht ihnen Spaß.
Darüber hinaus sollte vermerkt werden, daß die goreanische Gesellschaft im allgemeinen der Tradition verhaftet ist und daß die Weisheit der Vorväter selten angezweifelt wird; in einer solchen Gemeinschaft haben die einzelnen gewöhnlich eine anspruchslose Einstellung, es ist ihnen wichtig, einen Ort zu haben, an dem sie sich zu Hause fühlen; sie erliegen weniger den sozialen Verwirrungen einer Gesellschaft, deren Mitglieder zu größerer Beweglichkeit und zum Prestigedenken angehalten werden. Eine Gesellschaft, in der von jedem Erfolg erwartet wird, mit Bedingungen, unter denen die meisten versagen müssen, wäre den Goreanern unverständlich und unvorstellbar. Die Arbeiter des Arsenals sind – solange sie ausreichend bezahlt werden, so daß sie einigermaßen ihr Auskommen haben – mehr an ihrer Arbeit interessiert als an Versuchen, ihren wirtschaftlichen Status ständig zu verbessern. Dies soll nicht heißen, daß sie etwas gegen das Reichsein hätten; ich will nur andeuten, daß ihr vordringliches Motiv nicht das Erstreben von materiellen Dingen ist. Natürlich wird diese Grundhaltung vom Rat der Kapitäne begrüßt, denn sonst ließe sich das Arsenal nicht so wirtschaftlich betreiben. Ich erlaube mir kein Urteil über diese Dinge, sondern berichte sie nur, wie sie sind.
Warum, so fragte ich mich zum wiederholten Male, dachten Cos und Tyros daran, ihre Flotten gegen Port Kar zu führen? Was hatte sich verändert? Aber dann rief ich mir ins Gedächtnis zurück, daß es sich nur um ein Gerücht handelte.
Lautstark forderte jetzt ein Mann Gehör vor dem Rat – es war der verrückte, halbblinde Schiffsbauer Tersites, der eine Rolle mit Zeichnungen in der Hand trug. Auf ein Wort des Schreibers am langen Tisch vor den Thronsesseln wurde der Mann aus dem Saal gezerrt.
Schon einmal hatte man ihm gestattet, dem Rat seine Pläne vorzutragen, doch sie waren zu fantastisch gewesen, um ernst genommen zu werden. Er hatte es gewagt, eine Neugestaltung des traditionellen Tarnschiffs vorzuschlagen. Er hatte den Kiel vertiefen und einen Vormast hinzufügen wollen, er gedachte den Antrieb auf Großruder umzustellen, für die jeweils mehrere Ruderer zuständig waren, und er wollte den Rammsporn über die Wasserlinie heben.
Ich hätte gern Tersites’ Argumente für diese Veränderungen gehört, doch ehe es dazu kam, wurde er unter Pfiffen und Rufen aus dem Saal geschleift.
Man hatte Tersites vor dem Rat das Wort erteilt, weil er einmal ein fähiger Schiffsbauer gewesen war. Tatsächlich trugen die Galeeren der Stadt Scherklingen, die Tersites erfunden hatte. Dabei handelte es sich um riesige Halbmonde aus Stahl, die vor den Rudern in der Schiffswandung verankert waren. Zu den geläufigsten Seestrategien neben dem Rammen gehört das Abscheren von Rudern. Ein Schiff, dessen Ruder plötzlich eingeholt werden, gleitet an der Bordwand des Gegners entlang, der die Ruder noch draußen hat, und bricht sie dabei ab. Die so beschädigte Galeere ist dadurch in ihrer Manövrierfähigkeit schwer eingeschränkt und dem anderen Schiff zumeist hilflos ausgeliefert, das unter schrillem Flötenklang herumschwingt und seinen Rammstoß mittschiffs ansetzt. Auch die Galeeren von Cos und Tyros wurden neuerdings mit solchen Klingen ausgerüstet. Tersites war bei anderer Gelegenheit auch für ein mittleres Heckruder eingetreten, anstatt der jetzt üblichen Seitenruder, auch hatte er ein viereckiges Segel vorgeschlagen, im Gegensatz zu den dreieckigen Segeln, die auf Thassa üblich sind.
Tersites war vor fünf Jahren aus dem Arsenal verbannt worden. Daraufhin hatte er seine Ideen auch in Cos und Tyros vorgetragen, wo man ihm ebenfalls nur mit Verachtung begegnet war. Danach war er ohne Mittel nach Port Kar zurückgekehrt und lebte nun, wie es hieß, von den Abfällen der Kanäle. Die kleine Zuwendung der Schiffsbauerzunft brachte er in den Pagatavernen der Stadt durch. Ich schlug mir Tersites aus dem Kopf.