»Egal. Und heute abend muß der Rat wieder zusammentreten.«
»Das geht doch nicht …«
»Zur zwanzigsten Stunde«, sagte ich.
»Ich schicke Pagen los«, erwiderte der Mann.
»Und ruft die vier Kapitäne Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus in den Ratssaal.«
»Aber sie sind Ubars!« flüsterte der Kapitän.
Ich deutete auf die brennenden Dockanlagen.
»Wenn sie nicht kommen«, sagte ich, »laß ihnen ausrichten, daß sie nach Ansicht des Rates nicht länger Kapitäne sind.«
Die Männer starrten mich verdattert an.
»Der Rat ist jetzt die höchste Macht in Port Kar.«
Die Kapitäne nickten.
Die Macht der Kapitäne war wenig geschmälert. Der Coup, der sie blitzschnell hatte vernichten sollen, war fehlgeschlagen. Durch die Barrikade am Portal waren die meisten mit dem Leben davongekommen. Andere waren gar nicht erst in der Versammlung gewesen. Überdies ließen die Kapitäne ihre Schiffe vorwiegend in den Becken ihrer befestigten Häuser anlegen. Und wer die offenen Docks benutzte, schien keinen Schaden davongetragen zu haben; nur die Kais der vier Ubars schienen zu brennen.
Ohnehin ist jeweils der größte Teil der Flotte Port Kars auf See. Ich hatte im Augenblick nur zwei Schiffe in der Stadt, während fünf unterwegs waren. Die zurückkehrenden Einheiten der Kapitäne würden ihre Macht in der Stadt weiter festigen, standen doch ihre Mannschaften dann auch an Land zur Verfügung. Gewiß waren auch viele Schiffe der Ubars auf See, doch die Männer, die sich die Führung Port Kars anmaßten, behielten gewöhnlich einen größeren Teil ihrer Streitkräfte im Hafen. Ich rechnete damit, daß die Macht der vier Ubars durch den Aufruhr etwa halbiert worden war, so daß sie insgesamt vielleicht noch etwa hundertundfünfzig Schiffe kontrollierten. Allerdings erwartete ich nicht, daß sie zusammenarbeiten würden. Außerdem konnte der Rat der Kapitäne ihre Schiffe abfangen und beschlagnahmen, wenn sie den Hafen anliefen. Ich hatte seit längerem das Gefühl, daß fünf Ubars in Port Kar und die sich daraus ergebende Anarchie politisch untragbar waren – nicht zuletzt für meine eigenen Interessen. Ich wollte nicht gezwungen sein, mich einem Ubar anzuschließen, ich wollte allein arbeiten. Hieraus ergab sich mein Wunsch, daß der Rat seine Position in der Stadt konsolidieren möge. Nachdem der Staatsstreich des Henrius Sevarius fehlgeschlagen und die Macht der anderen Ubars geschmälert worden war, mochte es nun soweit sein.
Ich gedachte die heutige Ratsversammlung zu leiten.
»Bis zur zwanzigsten Stunde dann, meine Herren Kapitäne«, sagte ich.
Die Männer verließen das Dach. Ich blieb allein zurück und beobachtete die Brände. Ein Mann wie ich konnte in einer solchen Stadt viel erreichen, überlegte ich mir.
Die neunzehnte Stunde war herangerückt. Im Saal des Kapitänsrats über uns hörte ich Schritte. Stühle scharrten. Heute würden bestimmt alle Kapitäne kommen, hieß es, sogar die vier Ubars – Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus – wurden erwartet.
Der Mann auf der Folterbank neben mir wimmerte vor Schmerzen. Er gehörte zu den Männern, die wir gefangen hatten.
»Wir haben jetzt Berichte über den Schaden in den Hafenanlagen Chungs«, sagte ein Schreiber und drückte mir einige Bogen Papier in die Hand. Ich wußte, daß die Brände dort noch nicht gelöscht waren, während wir sie auf den Kais von Eteocles, Nigel und Sullius Maximus im wesentlichen unter Kontrolle hatten, obwohl bei Sullius noch eine Lagerhalle mit Tharlarionöl brannte, die die ganze Stadt mit Gestank und Rauch erfüllte. Soweit ich feststellen konnte, hatte Chung den größten Schaden erlitten und etwa dreißig Schiffe verloren. Die Macht der Ubars war zwar nicht halbiert, aber doch erheblich dezimiert worden. Der Schaden im Arsenal dagegen, den ich mit eigenen Augen gesehen hatte, war nicht übermäßig schlimm.
Einige Männer, die das Feuer gelegt hatten und erwischt worden waren, lagen jetzt hier unter dem Ratssaal der Kapitäne auf den Streckbänken.
Die beiden Sklaven neben mir beugten sich über die Winde. Holz knirschte, prompt gefolgt von einem durchdringenden Schrei.
»Sind die Patrouillen verdoppelt worden?« fragte ich einen Kapitän.
»Ja«, sagte er, »und der Kontrollbereich ist auf fünfzig Pasang ausgedehnt.«
»Wie sieht die militärische Lage aus?« fragte ich.
»Die Männer Henrius Sevarius’ haben sich auf seinen Besitz zurückgezogen. Seine Schiffe und Kaianlagen sind gut verteidigt. Unsere Leute halten Wache, andere bleiben in Reserve. Machen Sevarius’ Leute einen Ausbruchsversuch, sind wir bereit.«
»Wie steht es mit der Stadt?« wollte ich wissen.
»Sie ist Henrius Sevarius nicht gefolgt«, erwiderte der Kapitän. »In den Straßen rufen die Menschen: ›Der Rat muß an die Macht!‹«
»Ausgezeichnet«, bemerkte ich.
Ein Schreiber eilte an meine Seite. »Ein Abgesandter des Hauses Sevarius verlangt vor dem Rat zu sprechen«, sagte er.
»Ist der Mann Kapitän?«
»Ja – Lysius.«
Ich lächelte. »Gut«, sagte ich, »schickt einen Pagen und einen Mann mit einer Fackel, der ihn abholen soll.«
Der Schreiber grinste. »Ja, Kapitän.«
Ich gab den beiden Sklaven an der Streckbank ein Zeichen, ihre Winde noch stärker anzuziehen. Der Mann auf der Bank warf den Kopf zurück und öffnete den Mund – aber es war kein Laut zu hören.
»Was hast du erfahren?« fragte ich den Schriftgelehrten neben dem Folterinstrument.
»Nichts Neues. Er wurde wie die anderen von Leuten des Henrius Sevarius angeworben – einige, um Kapitäne umzubringen, andere, um die Kaianlagen und das Arsenal in Brand zu stecken. Heute nacht sollte Sevarius Ubar in der Stadt sein – und jeder der Männer hätte einen Stein Gold erhalten.«
»Was ist mit Cos und Tyros?« fragte ich.
Der Schriftgelehrte starrte mich verwirrt an. »Davon war nicht die Rede.«
Das ärgerte mich, denn ich war sicher, daß hinter dem Staatsstreich mehr steckte als der Plan eines Ubar von Port Kar. Ich hatte spätestens am Abend mit der Ankunft einer Flotte aus Cos und Tyros gerechnet. War es möglich, daß die beiden Inselreiche tatsächlich nichts mit dem versuchten Staatsstreich zu tun hatten?
»Von dem ist doch kaum etwas zu erfahren«, sagte eine Stimme hinter mir – es hätte ein Larl sein können, der da sprach.
Ich drehte mich um.
Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er mich an – ein Mann, der in Port Kar wohlbekannt war.
»Du warst heute nachmittag nicht bei der Versammlung«, sagte ich.
»Nein«, erwiderte er.
Er war ein großer Mann. Über der linken Schulter trug er die beiden Schnüre Port Kars, die gewöhnlich nur außerhalb der Stadt getragen wurden. Er war warm gekleidet, seine Kapuze hatte er in den Nacken geschoben. Sein Gesicht war breit und vom Thassa gegerbt, der seine Spuren mit Wind und Salz in die Haut eingebrannt hatte. Der Mann hatte graue Augen, kurzgeschnittenes weißes Haar, und in den Ohren schimmerten zwei kleine Goldringe.
Ein Larl in Menschengestalt, mit all den Instinkten und der Schläue des Raubtiers – Samos, der erste Sklavenhändler der Stadt.
»Sei gegrüßt, hoher Samos«, sagte ich.
»Sei gegrüßt«, erwiderte er.
In diesem Augenblick war es mir undenkbar, daß dieser Mann den Priesterkönigen dienen könne. Es kam mir eher vor, als könne er nur auf der Seite der Anderen stehen, jener Wesen in ihren fernen Stahlwelten, die verstohlen um die Vorherrschaft auf Gor und der Erde kämpften.
Samos blickte sich um. »Sind Tyros und Cos schon belastet worden?« fragte er.
»Die Gefangenen gestehen alles, was wir wollen«, sagte ich trocken.
»Ich glaube aber, daß Cos und Tyros damit zu tun haben«, meinte er.
»Ich auch«, sagte ich.
»Aber wer würde Leute wie die in solche Pläne einweihen?«
Er wandte sich zum Gehen, blieb stehen und sagte über die Schulter. »Du bist der Mann, der Bosk genannt wird, nicht wahr?«
»Ja.«
»Man muß dir gratulieren, daß du heute nachmittag die Führung übernommen hast«, sagte er. »Du hast dem Rat einen großen Dienst erwiesen.«