Die Ruder waren innenbords.
Wir hatten nicht soviel gerudert wie üblich, da uns in den ersten beiden Tagen ein lebhafter Wind begleitet hatte, der allerdings am Abend zuvor schwächer geworden war.
Die Rena hatte im Gegensatz zu den beweglichen Masten der Kriegsschiffe zwei feste Masten. Der Hauptmast stand etwas vor der Mitte, während der Vormast etwa anderthalb Meter achtern vom Ruderjoch aufragte. Beide trugen dreieckige Segel, wobei der Baum des Vorsegels etwa halb so lang war wie der Baum des Hauptsegels.
Am Morgen jenes Tages hatten wir mehrere Ahn lang gerudert, und es war jetzt etwa eine Ahn nach Mittag.
»Wie ich gehört habe«, sagte der Rudermeister zu mir, »warst du Kapitän in Port Kar.«
»Ja, ich bin Kapitän«, sagte ich.
»Aber in Port Kar«, sagte er. »Und hier ist nicht Port Kar.«
Ich blickte ihn an. »Port Kar ist dort, wo seine Macht hinreicht.«
Er starrte mich wortlos an.
»Wie ich sehe, hat der Wind nachgelassen.«
Er wurde bleich.
In diesem Augenblick ertönte die Stimme des Ausgucks vom Hauptmast. »Zwei Schiffe backbord!«
»Ruder aus!« brüllte der Rudermeister und lief zu seinem Sitz.
Ich stellte die Schüssel mit Essen unter meine Bank. Vielleicht brauchte ich sie noch. Dann schob ich das Ruder hinaus.
Von oben drang das Getrappel hastiger Schritte herab. »Hart steuerbord!« erklang die Stimme Kapitän Tenriks.
Das große Schiff schwang langsam herum.
Doch dann tönte vom Hauptmast ein neuer Ruf. »Zwei weitere Schiffe! Steuerbord!«
»Ruder geradeaus!« brüllte Tenrik. »Volle Segel! Höchste Schlagzahl!«
Kaum hatte die Rena ihren ursprünglichen Kurs wieder aufgenommen, als der Rudermeister den Ruderbefehl gab und der Keleustes sein Kupferbecken zu bearbeiten begann. Zwei Seeleute kamen von oben und nahmen Peitschen von Gestellen hinter dem Rudermeister.
Ich lächelte. Ob die Ruderer nun geschlagen wurden oder nicht eine bestimmte Geschwindigkeit war nicht zu überschreiten – und diese Geschwindigkeit würde nicht ausreichen.
Wieder erstattete der Ausguck Meldung: »Zwei weitere Schiffe achteraus!«
Die schweren lederbespannten Hämmer dröhnten schneller auf dem Kupferbecken.
Etwa eine halbe Stunde später hörte ich, wie Tenrik dem Ausguck zurief: »Kannst du die Flagge ausmachen?«
»Sie ist weiß!« rief der Mann. »Mit grünen Streifen. Darauf der Kopf eines Bosk!«
Einer der Sklaven, der vor mir angekettet war, flüsterte über die Schulter: »Wie heißt du, Kapitän?«
»Bosk«, sagte ich und zog mein Ruder durch.
»Aii!« rief er.
»Rudert!« brüllte der Rudermeister.
Die Seeleute eilten mit ihren Peitschen zwischen den Bänken hin und her, doch die Sklaven gaben bereits ihr Bestes.
»Sie kommen näher!« rief jemand oben.
»Schneller!« ertönte der Befehl.
Aber der Keleustes hämmerte längst den schnellsten Rhythmus, eine Schlagzahl, die sich bestimmt nicht lange halten ließ.
Eine Viertel-Ahn später hörte ich den Ruf, auf den ich gewartet hatte.
»Noch zwei Schiffe!« brüllte der Ausguck.
»Wo?« wollte Tenrik wissen.
»Voraus!«
»Halb Steuerbord!« rief der Kapitän.
»Ruder auf!« brüllte der Rudermeister. »Backbordruder! Durchziehen!«
Wir hoben unsere Ruder aus dem Wasser, während die Sklaven auf der Backbordseite weiterruderten und das Schiff nach dem goreanischen Kompaß um acht Grad nach Steuerbord herumzogen.
»Alle Ruder!« rief der Rudermeister. »Durchziehen!«
»Was sollen wir tun?« fragte der Sklave vor mir.
»Rudern!« sagte ich.
»Ruhe!« brüllte einer der Seeleute und versetzte uns einen Peitschenhieb. Törichterweise begann er dann auf die Rücken anderer Sklaven einzuschlagen. Zwei Männer ließen darauf ihre Ruder los, was den Rhythmus der anderen durcheinanderbrachte.
Der Rudermeister hastete zwischen die Bänke, entriß den Seeleuten die Peitschen, schickte sie wieder nach oben. Er war ein guter Rudermeister.
»Auf die Ruder!« brüllte er. »Fertigmachen! Durchziehen!«
Wir fanden unseren Rhythmus wieder, und die Rena pflügte erneut durch das Wasser.
»Schneller!« rief ein Mann vom Oberdeck herab.
Der Rudermeister sah sich um. »Den Rhythmus zehn Schläge zurücknehmen«, befahl er.
»Bist du verrückt geworden?« brüllte ein Offizier und kam die Treppe herabgepoltert. Er versetzte dem Rudermeister einen Faustschlag ins Gesicht. »Höchste Schlagzahl!« schrie er.
Wieder beschleunigte der Keleustes seinen Rhythmus.
Aber in weniger als einer Ehn kam ein Mann nicht mehr mit, und dann waren es zwei, und die Ruder kamen durcheinander. Unbarmherzig folgte der Keleustes seinem Befehl, unbarmherzig prasselten die Schläge auf die Trommel.
Doch dann stimmte der Rhythmus nicht mehr mit der Bewegung der Ruder überein. Viele Männer vermochten nicht mehr mitzuhalten und hatten keinen Anhaltspunkt mehr für ihre Bewegungen.
Der Rudermeister, dem Blut übers Gesicht strömte, rief: »Ruder auf!« Dann sagte er müde zu dem Keleustes: »Zehn Schläge nachlassen.«
Die Rena wurde wieder angetrieben.
»Schneller!« brüllte der Offizier von oben. »Schneller!«
»Die Rena ist kein Tarnschiff!« rief der Rudermeister.
»Du wirst sterben!« kreischte der Offizier durch die Luke.
Mit zitternden Lippen und blutendem Mund schritt der Rudermeister zwischen den Sklaven hindurch. Er kam auf mich zu.
»Ich führe hier das Kommando«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte er.
In diesem Augenblick kam der Offizier wieder die Treppe herab. Seine Augen waren angstgeweitet. Er hielt ein Schwert in der Hand.
»Wer ist hier der Kapitän aus Port Kar, der Bosk genannt wird?« fragte er.
»Ich«, sagte ich.
»Ich werde dich töten.«
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun.«
Er erstarrte.
»Sollte mir etwas passieren«, sagte ich, »lassen meine Leute dich über die Klinge springen.«
Er ließ sein Schwert sinken.
»Kette mich los«, sagte ich.
»Wo ist der Schlüssel?« wandte sich der Mann an den Rudermeister.
Als ich losgekettet war, ließ ich mein Ruder fahren. Die anderen Sklaven waren verblüfft, ruderten jedoch weiter.
»Wer für mich ist«, sagte ich, »wird freigelassen.«
Die Sklaven begannen zu jubeln.
»Ich führe hier das Kommando«, sagte ich. »Ihr tut, was ich sage.«
Ich streckte die Hand aus, und der Offizier überreichte mir, den Griff voraus, sein Schwert.
Ich bedeutete ihm, er solle meinen Platz am Ruder einnehmen, was er mit wütender Bewegung tat.
»Sie wollen unsere Ruder abscheren!« ertönte ein Schrei von oben.
»Ruder einziehen!« brüllte der Rudermeister instinktiv.
»Ruder bleiben draußen!« befahl ich, und die Sklaven gehorchten. Auf der Steuerbordseite begann es plötzlich zu knirschen, und die Ruderer brüllten auf. Holz knackte und splitterte, die Geräusche wurden im Innern des Schiffs zu einem ohrenbetäubenden Donnern verstärkt. Einige Ruder wurden aus den Dollen gerissen, andere glatt durchtrennt, wobei die inneren Enden in einem zum Heck gerichteten Bogen zurückschnappten und die Sklaven von ihren Bänken fegten, ihnen Arme oder Rippen brachen. Ich hörte Männer schreien. Einen langen Moment neigte sich die Rena nach Steuerbord, nahm sogar Wasser durch die Ruderluken auf, doch dann war das andere Schiff vorbei, und wir richteten uns auf, hilflos, geschlagen.
Ich wandte mich an den Offizier. »Nimm den Schlüssel und laß die anderen Sklaven frei.«
Dann sagte ich zu dem Rudermeister: »Du bist ein guter Rudermeister – aber du solltest dich jetzt um deine Verwundeten kümmern.«
Ich griff unter meine Bank. Dort schwamm mein Teller, das Essen halb verschüttet, im Wasser. Ich fischte ihn heraus und setzte meine Mahlzeit fort.
Von Zeit zu Zeit blickte ich aus der Dollenluke. Die Rena war nun von den acht Schiffen umringt. Zwei große Galeeren aus dem Arsenal begannen aufzuschließen.
Ich hörte, wie Kapitän Tenrik oben den Befehl gab, keinen Widerstand zu leisten. Gleich darauf sprangen mehrere Männer auf die Rena über.