»Du hast mich auch vernichtet!« sagte ich.
»Niemand hat dich vernichtet«, erwiderte sie.
Ich hatte mir einmal geschworen, nie wieder eine Frau zu verlieren – und nun war Midice gegangen. Ich war berühmt und mächtig und reich – doch das alles war mir nicht mehr wichtig. Ich hatte eine Niederlage hinnehmen müssen. Mein Stolz war verletzt.
»Es ist nicht leicht«, sagte ich zu Telima, »zu lieben und nicht wiedergeliebt zu werden.«
»Ich weiß«, sagte sie.
Ich nahm Telimas Kopf in die Hände. »Meine stolze Telima«, sagte ich, »meine frühere Herrin …« Und die nächsten Worte, die ich sprach, schienen nicht von mir selbst zu kommen, sondern von einem verborgenen Wesen in meinem Innern … Seit ich vor Ho-Hak auf der Renceinsel hockte, gefesselt, versklavt, waren solche verzweifelten Worte nicht über meine Lippen gekommen. »Ich bin unglücklich, ich bin einsam«, flehte ich.
»Ich bin auch einsam«, sagte Telima.
Wir streckten uns die Arme entgegen, und unsere Hände berührten sich, umfaßten sich. Und dann standen wir eng umschlungen in der Mitte meines Quartiers.
»Ich liebe dich!« schluchzte ich.
»Und ich liebe dich, mein Ubar. Ich liebe dich seit dem Augenblick, da wir uns zum erstenmal begegneten.«
16
Wir lagen Seite an Seite und starrten zur Decke hinauf.
»Vor Jahren«, sagte Telima, »als ich noch viel jünger war, da habe ich viel von Tarl aus Bristol singen hören.«
»In den Sümpfen?« fragte ich.
»Ja. Manchmal verirrt sich ein Sänger bis zu den Renceinseln. Aber in Port Kar, im Hause meines Herrn, wurde ebenfalls von Tarl aus Bristol gesungen.«
Telima hatte mir nie von ihrer Sklavenzeit in Port Kar erzählt. Ich wußte, daß sie ihren Herrn gehaßt hatte und daß ihr die Flucht gelungen war. Und ich spürte, daß diese Zeit tiefe Wunden in ihr hinterlassen hatte. In den Sümpfen hatte ich leider etwas von ihrem Haß und ihrer Frustration zu spüren bekommen. Die Wunden waren tief gewesen, so tief, daß sie sich auf grausame Weise hatte rächen wollen, damit ihr eigenes Leiden erträglicher wurde. Telima war eine seltsame Frau. Ich fragte mich erneut, wie sie zu dem goldenen Armreif gekommen war. Und ich erinnerte mich, daß sie ja die Schrift auf ihrem Sklavenkragen hatte lesen können, obwohl sie aus den Sümpfen kam.
Aber ich erwähnte diese Dinge nicht, denn der Ton ihrer Stimme war nun träumerisch, ihre Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit.
»Als ich noch jung war, auf den Renceinseln«, sagte sie, »und später, als Sklavin – da lag ich oft nachts wach und dachte an die Lieder und an die Helden.«
Ich berührte ihre Hand.
»Und manchmal dachte ich auch an Tarl aus Bristol.«
Ich schwieg.
»Glaubst du, daß es einen solchen Mann gibt?«
»Nein.«
»Könnte jemand wie er nicht existieren?« fragte sie. Sie hatte sich auf den Bauch gerollt und sah mich an. Ich blieb auf dem Rücken liegen und starrte an die Decke.
»In Liedern«, sagte ich. »So einen Mann mag es in Liedern geben.«
Sie lachte. »Gibt es denn keine wirklichen Helden?«
»Nein, Helden gibt es nicht – nur Menschen.«
Sie schwieg.
»Menschen«, sagte ich, »sind schwach. Sie können grausam sein. Sie sind egoistisch und gierig, eitel und engstirnig. Sie können sich bösartig verhalten, und in ihnen ist viel Häßliches und Verachtenswertes.« Ich sah sie an. »Alle Menschen sind zu korrumpieren. Es gibt keine Helden, keine Tarls aus Bristol.«
Sie lächelte. »Es gibt nur Gold und Macht«, sagte sie.
»Und die Körper der Frauen«, sagte ich.
»Und die Lieder.«
»Ja, auch Lieder.«
Sie legte den Kopf an meine Schulter.
In der Ferne erklang eine große Signalglocke. Obwohl es noch früh war, wurde es unruhig im Haus. Irgendwo brüllten Männer. Ihre Rufe hallten durch die Korridore. Ich richtete mich auf und zog eine Robe an. Schritte hasteten durch den Gang, kamen näher.
»Schwert«, sagte ich zu Telima.
Sie sprang auf, ergriff meine Klinge, die an der Wand lag.
Ich legte hastig den Gurt um. Die Schritte waren nun ganz nahe. Im nächsten Augenblick dröhnte eine Faust gegen die Tür.
»Kapitän!« rief jemand.
Es war Thurnock.
»Tritt ein!« sagte ich.
Thurnock eilte in den Raum. Er trug eine Fackel in der Hand, und seine Augen waren unnatürlich geweitet. »Patrouillenschiffe sind zurückgekehrt!« rief er. »Die vereinten Flotten von Cos und Tyros sind nur noch Stunden entfernt!«
»Macht meine Schiffe zum Auslaufen fertig!« sagte ich.
»Dazu ist keine Zeit mehr!« sagte er. »Und die Kapitäne ergreifen die Flucht. Wer kann, verläßt die Stadt!«
Ich starrte ihn an.
»Flieh, mein Kapitän! Flieh!«
»Du kannst gehen, Thurnock«, sagte ich.
Er starrte mich verwirrt an, machte kehrt und stolperte in den Korridor hinaus. In der Ferne erklang der Angstschrei eines Mädchens.
Ich kleidete mich an und hängte mir das Schwert über die linke Schulter.
»Nimm deine Schiffe und deine restlichen Männer«, sagte Telima. »Füll die Laderäume mit Schätzen und flieh, mein Ubar!«
Ich betrachtete sie. Wie schön sie war!
»Port Kar soll sterben!« rief sie.
Ich ergriff das breite rote Band mit dem Medaillon, nahm es ab und steckte es in den Beutel an meinem Gürtel.
»Port Kar soll brennen!« sagte Telima.
»Du bist sehr schön, mein Schatz«, sagte ich. »Aber Port Kar ist meine Stadt – ich muß sie verteidigen.«
Ich hörte sie weinen, als ich mein Quartier verließ.
Seltsamerweise erfüllte mich keine Unruhe, als ich in den großen Saal zurückkehrte, in dem das Siegesfest stattgefunden hatte. Ich schritt durch den Gang, als wäre ich nicht ich. Ich wußte, was ich tun würde, und doch wußte ich es nicht.
Zu meiner Überraschung fand ich in der großen Halle die Offiziere meiner Männer versammelt – ich glaube, es fehlte keiner.
Ich ließ meinen Blick von Gesicht zu Gesicht wandern – von Thurnock zu Clitus, zum Rudermeister, zu den anderen. Viele Männer waren Halsabschneider, Mörder, Piraten. Ich fragte mich, warum sie jetzt hier waren.
Eine Seitentür wurde aufgestoßen, und Tab eilte herein, das Schwert über der linken Schulter. »Tut mir leid, Kapitän«, sagte er, »ich war gerade auf meinem Schiff beschäftigt.«
Wir starrten uns einen Augenblick lang an. Dann lächelte ich. »Ich kann mich glücklich schätzen«, sagte ich, »einen so eifrigen Mann in meinen Diensten zu haben.«
»Kapitän«, sagte er.
»Thurnock«, sagte ich, »ich habe doch Befehl gegeben, nicht wahr, daß meine Schiffe zum Auslaufen fertigzumachen sind.«
Thurnock grinste. »Schon eingeleitet.«
»Was sollen wir tun?« fragte einer meiner Kapitäne.
Was sollte ich darauf antworten? Wenn die vereinten Flotten von Cos und Tyros schon fast vor unserer Hafeneinfahrt standen, blieb uns kaum eine andere Möglichkeit als die Flucht – oder der Kampf. Eigentlich waren wir zu keinem bereit. Auch wenn wir die erbeuteten Schätze sofort nach meiner Rückkehr eingesetzt hätten, wäre es nicht möglich gewesen, eine Flotte auszurüsten, die einem solchen Gegner gewachsen war.
»Wie groß schätzt du die Flotte von Cos und Tyros?« fragte ich Tab.
Er zögerte nicht. »Viertausend Schiffe«, sagte er.
»Tarnschiffe?«
»Ausnahmslos.«
Seine Vermutung entsprach den Berichten meiner Spione. Nach meinen Informationen würde die Flotte aus viertausendzweihundert Einheiten bestehen, zweitausendfünfhundert von Cos und siebzehnhundert aus Tyros. Die Gesamtflotte würde fünfzehnhundert Galeeren schwerer Klasse, zweitausend Schiffe mittlerer Klasse und siebenhundert kleine Galeeren enthalten. Ein Netz, hundert Pasang breit, zog sich um Port Kar zusammen.
Anscheinend war meinen Spionen das Auslaufen der Flotteneinheiten entgangen. Ich konnte ihnen jedoch keine Schuld geben. Schiffe lassen sich schnell aus dem Hafen bringen und kampfbereit machen, wenn Material und Mannschaften zur Hand sind. Der Rat und ich hatten offenbar den Schaden zu hoch angesetzt, den die Eroberung der Schatzflotte den Kriegsplänen Cos’ und Tyros’ zugefügt hatte. Wir hatten mit dem Vorrücken der Flotte erst im Frühling gerechnet. Wir schrieben den Monat Se’Kara, das Ende der guten Jahreszeit für die Tarnschiffe. Unabhängig von den Rundschiffen sind Rammschiffe meistens nur im Frühling und Sommer unterwegs. Im Monat Se’Kara, besonders gegen Ende, ist das Thassa stürmisch. Wir waren völlig unvorbereitet. Es war die beste Gelegenheit, uns anzugreifen. Hinter diesem kühnen Schachzug sah ich nicht die Hand von Lurius, des Ubar von Cos, sondern die Schlauheit Chenbars aus Kasra, des Ubar von Tyros.