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Wir sahen die Einheiten meiner zweiten Angriffswelle vorbeigleiten, die Schiffspaare, jedes Paar auf der Spur der zugeteilten Sechzehner-Gruppe.

Die Dorna blieb zurück, auf den Wellen schaukelnd, Ruder innenbords.

Hundertundfünfzig Tarnschiffe hielt ich in Reserve, die zugleich mit der fünften Welle, den Flankenattacken, in Signalweite der Dorna erscheinen würden.

»Soll ich den Mast senken, Kapitän?« fragte einer meiner Offiziere.

»Nein«, sagte ich. Ich brauchte den Mastkorb, um die Schlacht zu verfolgen.

Es war Herbst, und der Wind peitschte in kalten Böen das Wasser. Wolkenfetzen jagten sich am Himmel. Im Norden lag die Dunkelheit wie eine Linie am Horizont. Am frühen Morgen hatte es noch gefroren.

»Holt das Segel ein!« befahl ich.

Der Offizier begann Befehle zu brüllen.

Gleich darauf kletterten Seeleute in die Wanten, bedienten Seile, holten das lange dreieckige Segel ein.

Ich musterte die Wasseroberfläche.

»Was jetzt?« erkundigte sich der Offizier.

»Beidrehen«, sagte ich. »Ich leg mich aufs Ohr. Weck mich in einer halben Ahn.«

Als ich wieder an Deck kam, fühlte ich mich erfrischt.

Der Wind war noch kälter geworden, und die Dorna wurde tüchtig durchgeschüttelt. Wir hatten den Bug- und den Heckanker unten.

Man reichte mir meinen Admiralsumhang, den ich mir um die Schulter warf. Dann steckte ich mir einige Streifen getrocknetes Tarskfleisch in den Gürtel, rief den Ausguck aus seinem Korb herab und kletterte selbst am Mast empor. Oben angekommen, wickelte ich mich in den warmen Umhang, kaute auf einem Stück Tarskfleisch und hob mein Fernglas.

Sorgfältig erkundete ich den Stand des Gefechts.

Tarskfleisch ist salzig, aber der Ausguck hat gewöhnlich eine Wasserflasche in seinem Korb hängen. Ich öffnete sie und trank.

Während ich aufs Meer hinaus starrte, bewegte sich unten die endlose Linie unserer Rundschiffe vorbei gegen den Wind kreuzend, ohne Ruder, die kleinen, dreieckigen Sturmsegel im Nordwind flatternd. Eine Galeere mit Dreieckssegel kann ihr Segel zwar bergen, aber die Segelfläche nicht vergrößern oder verkleinern, deshalb führt sie für verschiedene Wetterbedingungen unterschiedliche Segel mit. Der Segelbaum wird herabgehievt und das Tuch gewechselt; es gibt ein großes Segel für gutes Wetter, ein kleineres Segel für rauhere Winde, und ein Sturmsegel, wie es jetzt zum Einsatz kam.

Ich lächelte, als sich die Schiffe entfernten. Ihre Decks wirkten verlassen. Aber ich wußte, daß sie vor Kämpfern fast barsten.

Die Schiffe meiner ersten Angriffslinie waren inzwischen auf die Flotte aus Cos und Tyros gestoßen. Hinter ihnen, auf dem kalten Thassa verstreut, sah ich die Schiffspaare der zweiten Welle mit blitzenden Rudern in rauher See auf die lange Reihe der gelben und purpurnen Segel zugleiten – gelb für Tyros, purpur für Cos.

Ich fragte mich, wie viele Männer jetzt sterben mußten.

Es war kalt, und ich zog meinen Umhang enger. Wer war ich? Ich wußte es nicht. Mir war kalt, und ich war allein, das wußte ich, auch, daß in der Ferne Männer kämpften und bald weitere in die Schlacht gehen würden, wie ich es befohlen hatte.

Ich fragte mich, ob mein Plan überhaupt Sinn hatte, und die Antwort lautete ebenfalls: ich wußte es nicht. Es gab so viele tausend Faktoren zu berücksichtigen, die unmöglich vorherzusehen waren, soviel konnte sich verändern, konnte sich zu unseren Gunsten oder Ungunsten auswirken.

Ich wußte, daß Chenbar ein brillanter Ubar und Kapitän war – aber selbst er konnte unmöglich unsere Pläne wissen oder erraten, denn wir selbst hatten vor Stunden noch nicht gewußt, was wir machen sollten, wie wir uns des Angriffs am besten erwehren konnten.

Ich rechnete nicht mit einem Sieg.

Es kam mir plötzlich närrisch vor, daß ich nicht aus der Stadt geflohen war, als ich dazu noch Gelegenheit hatte. Gewiß hatten viele andere Kapitäne so gehandelt, hatten ihre Laderäume mit angeketteten Sklaven und Schätzen angefüllt. Warum war ich nicht geflohen? Warum waren die anderen Kapitäne da draußen geblieben? Waren denn alle Menschen Narren? Jetzt mußten Menschen sterben. Gibt es überhaupt ein Ziel, das ein Menschenleben wert ist? Muß man nicht selbst die schändlichste Unterwerfung dem Tod vorziehen? Ist es nicht besser, einem Herrn untertänig zu dienen, als auch nur den Verlust eines Menschenlebens zu riskieren – und sei es des eigenen? Ich dachte daran, daß ich mich einmal in den fernen Sümpfen in mein Schicksal ergeben hatte, um zu überleben, und nun saß ich, derselbe Feigling, hier im Umhang eines Admirals und beobachtete die Formierung von Flotten, sah Menschen dem Weg ihrer Bestimmung – Vernichtung oder Sieg – folgen, auf den ich sie geschickt hatte, obwohl ich doch so wenig über das Leben oder den Krieg oder das Glück wußte.

Sicher gab es andere, die der Verantwortung solcher Worte besser gewachsen waren, solcher Befehle, mit denen Männer in den Tod geschickt wurden. Was würden sie von mir halten, wenn sie im kalten Wasser des Thassa ertranken oder vom Schwert getroffen auf die Decksplanken sanken? Würden sie mich dann auch noch bejubeln? Und welche Schuldenlast trug ich an jedem dieser Toten, denn es waren meine Worte, die Worte eines törichten, unwissenden Narren, die sie ins Wasser und in die Klingen der Feinde geschickt hatten.

Ich hätte ihnen zur Flucht raten sollen. Statt dessen hatte ich ihnen einen Heimstein geschenkt.

»Admiral!« rief eine Stimme unter mir. »Seht!« Der Ruf kam von einem Seemann, der mit einem Fernglas auf dem hohen Bug der Dorna stand. »Die Venna!« rief er. »Sie ist durchgebrochen!«

Ich hob das Glas und schaute nach Westen. In der Ferne sah ich mein Tarnschiff, die Venna. Sie war auf die Linien aus Cos und Tyros getroffen, war durchgebrochen und schwenkte nun herum, um erneut zuzuschlagen. Bei ihr war ihr Schwesterschiff, die Tela. Ich sah zwei Tarnschiffe aus Cos und Tyros angeschlagen im Wasser liegen; das eine sank schnell. Wrackteile schwappten gegen den Rumpf.

Die Venna stand unter Tabs Kommando.

Die Männer unter mir jubelten. Gut gemacht, dachte ich. Gut gemacht.

Mehrere Schiffe an der Durchbruchstelle begannen nun zu wenden, um sich dem Gegner entgegenzustellen.

Aber hinter ihnen, ohne Masten und tief im Wasser liegend, nahte die zweite Angriffswelle.

Ich sah, wie sich die Formation der Schiffe aus Cos und Tyros zusammenzog, um an bestimmten Punkten mehr Schiffe ins Spiel zu bringen. Als die Flotte so zusammenrückte, konnte ich sie zum erstenmal in voller Ausdehnung überschauen, was vorher nicht möglich gewesen war.

Hinter den Schiffen meiner zweiten Welle sah ich in einem Bogen, der von Horizont zu Horizont reichte, meine Rundschiffe vorrücken; ihre kleinen Sturmsegel flatterten im Wind.

Ich schaute nach hinten.

Achtern von der Dorna kamen in aller Ruhe und mit halber Schlagzahl fünfzig Tarnschiffe mit aufgerichteten Masten, an deren Rahen kleine Sturmsegel gesetzt waren. Im Durcheinander des Kampfes konnten sie auf den ersten Blick für eine zweite Angriffswelle von Rundschiffen gehalten werden.

Nach dieser vierten Angriffswelle war die fünfte Welle vorgesehen, die beiden Flotten, die von Norden und Süden angriffen; zugleich sollte meine Reserve, einhundertundfünf Tarnschiffe, in Signalweite der Dorna auftauchen. Mit diesen Reserven kamen zusätzliche zehn Rundschiffe, breite Holz-Transporter aus dem Arsenal. Ihre Ladung war sogar meinen höchsten Offizieren nicht bekannt.

Alle Faktoren, die ich in meine Berechnungen aufgenommen hatte, waren nun in Bewegung. Aber es gab bestimmt auch noch andere.

Ich blickte nach Norden. Dann öffnete ich das Glas und suchte das Thassa ab. Schließlich ließ ich das Glas wieder zuschnappen. Im Norden hing eine bedrückende Schwärze über dem Thassa. Über uns eilten weiße Wolken dahin, wie springende Tabuk, die vor den Fangzähnen des schwarzmähnigen Larl fliehen. Es war Herbst.