Mit dem Thassa hatte ich nicht gerechnet, mit seiner Schnelligkeit, seinen Stimmungen.
Es war eisig kalt im Mastkorb, und ich begann ein zweites Stück Trockenfleisch zu essen. In der Trinkflasche war das Wasser inzwischen gefroren.
Über drei Stunden saß ich nun schon im Mastkorb der Dorna, von Wind durchgeschüttelt, die Finger frostkalt am Fernglas. Ich beobachtete die Schlacht.
Ich hatte gesehen, wie meine erste Angriffswelle an Dutzenden von Stellen die Schiffsketten aus Cos und Tyros durchbrach, hatte gesehen, wie die Schiffe der großen Flotte kehrtmachten, hatte erleben dürfen, wie verletzlich sie dadurch für meine schwache zweite Angriffswelle waren, die einen unerwartet großen Erfolg erzielte. Als sich die Angriffslinien aus Cos und Tyros enger formierten, hatte die gewaltige Kette aus Rundschiffen ihr Netz um sie geschlossen. Hunderte von Schiffen hatten Anstalten gemacht, die plumpen Angreifer zu vernichten, und viele hatten dabei zu spät entdeckt, daß sie es nicht mit gewöhnlichen Rundschiffen, sondern mit schwimmenden Festungen voller entschlossener Krieger zu tun hatten. Schließlich hatte ich gesehen, wie sich etwa fünfzig Feindschiffe meiner nächsten Angriffswelle entgegenstellten, die scheinbar aus Rundschiffen bestand, nur um von den Rammen und Scherblättern überrascht zu werden. Ich war stolz auf meine Männer und ihre Schiffe. Sie kämpften vorzüglich. Und ich hatte nicht mehr das Gefühl, daß meine Strategie schwach war. Allerdings ahnte ich, daß sich mit der Zeit die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners bemerkbar machen würde. Ich hatte eben nur etwa zweitausendfünfhundert Schiffe, zumeist Rundschiffe, während der Gegner viertausendzweihundert Kampfeinheiten in die Schlacht schicken konnte, ausnahmslos mit Rammen und Scherblättern ausgerüstet.
Im dunklen, winddurchtosten Nachmittag brannten zahlreiche Schiffe. Funken und Flammen wurden durch den starken Wind von einem Schiff zum nächsten getragen. Stellenweise lagen mehrere Einheiten zu dicht beieinander, in Gruppen zu zehn oder zwölf, wie schwimmende Holzinseln im Meer.
Das Thassa wurde unruhiger, und die Dunkelheit aus dem Norden bedeckte nun schon den halben Himmel, beugte sich wie ein beutegieriges Ungeheuer über uns.
Die fünfte Angriffswelle verspätete sich.
Die Dorna ruckte an ihren Ankern. Wir hatten sie kurz gelichtet und das Schiff in den Wind schwingen lassen, um dann erneut zu ankern, aber trotzdem bockte die Dorna in der unruhigen See. Ihre Planken ächzten, und ich hörte das Knirschen der Bolzen und Eisenhaken und das Klirren der Ketten, die hier und dort ihr Gerüst stützten.
Meine fünfte Angriffswelle, die Flotten, die von den Flanken her vorgehen sollten, standen im Norden unter dem Kommando von Nigel und im Süden von Chung. Die Schiffe, die den ehemaligen Ubars der Stadt unterstanden, waren ausnahmslos Tarnschiffe.
Doch die fünfte Angriffswelle war noch nicht zu sehen.
Dagegen sah ich aus dem Südwesten die Reserveflotte aus hundertundfünf Tarnschiffen näherkommen, gefolgt von den zehn breiten Rundschiffen, deren Fracht geheimgehalten worden war.
Ich fragte mich, ob ich den Ubars Nigel und Chung hätte vertrauen sollen.
Das Kommandoschiff der Reserve schloß in Signalnähe zur Dorna auf. Durch das Fernglas sah ich drüben auf dem Ruderdeck Antisthenes stehen, dessen Namen stets als erster auf der Kapitänsrolle des Rats gestanden hatte.
Die anderen Schiffe glitten hinter dem Kommandoschiff in eine vierfach gestaffelte Formation. Und zwischen ihnen, tief im Wasser liegend, die kleinen Sturmsegel eingeholt, warteten die zehn Rundschiffe, die Holzfrachter aus dem Arsenal. Trotz ihrer Breite lagen sie unruhig im aufgewühlten Wasser.
Wieder richtete ich das Glas nach Westen, wo sich Rauch über den Horizont wälzte.
Ich erkannte nun, daß die Tarnschiffe aus Cos und Tyros dem Kampf mit meinen Rundschiffen auswichen und sich in ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit auf meine Rammschiffe konzentrierten. Die langsamen Rundschiffe, weitgehend den Gewalten des Windes überlassen, wurden als Gegner kaltgestellt.
Ich lächelte. Chenbar war ein vorzüglicher Admiral. Er kämpfte einen Kampf, den er kannte. Er wollte seine Überlegenheit gegen meine Tarnschiffe einsetzen und sich die Rundschiffe für später aufheben, wenn sie von vier oder fünf Rammschiffen gleichzeitig attackiert werden konnten. Die Rundschiffe waren natürlich zu langsam, um meinen Tarnschiffen die schnelle, entschlossene Unterstützung zu gewähren, die sie sicher bald brauchen würden.
Ich ließ das Glas zuschnappen und behauchte meine Finger. Es war sehr kalt, und es war mir, als sei das Ergebnis der Schlacht bereits an der großen Tafel des nördlichen Horizonts angeschlagen, düster, bedrohlich, davor die brennenden und qualmenden Schiffswracks.
Der Wind peitschte mir ins Gesicht.
Dann hörte ich unter mir einen Schrei, gefolgt von lautem Jubel. Der Mann am Bug der Dorna, das Fernglas an den Augen, schwenkte seine Kappe durch die Luft. Die Ruderer unter mir brüllten und winkten ebenfalls.
Ich öffnete mein Fernglas. Von Norden und Süden näherten sich die Flotten meiner fünften Angriffswelle. Wie Messer schnitten sie durch das Wasser.
Ich brüllte mit meinen Leuten.
Chung hatte nordwärts gegen den Wind vorrücken müssen. Nigel, der sich mit den Meeresverhältnissen auskannte, hatte seine Schiffe, die vor dem Wind segeln konnten, zurückgehalten, damit die beiden Angriffspunkte der Zange gleichzeitig zuschlugen, wie von einer einzigen Hand gelenkt.
Ich ließ das Fernglas fallen, das mir an einer Schnur um den Hals hing, steckte das letzte Stück Tarskfleisch in den Mund und kletterte kauend die Strickleiter hinab. Unten angekommen sprang ich von der letzten Sprosse an Deck und winkte Antisthenes zu, der etwa hundert Meter entfernt auf dem Ruderdeck seines Schiffs stand, des Flaggschiffs meiner Reservestreitkräfte. Er ließ sofort eine Signalflagge setzen.
Ich stieg auf das Ruderdeck der Dorna.
Erstaunte Rufe wurden laut – auf der Dorna wie auf anderen Schiffen –, als die Decksplanken der zehn Rundschiffe angehoben und entfernt wurden.
Der Tarn ist ein Landvogel, der aus dem Gebirge stammt, wenn es auch buntgefiederte Dschungeltarns gibt. Die Tarns, die dicht gedrängt in den Laderäumen der Rundschiffe saßen, trugen Kopfhauben. Als sie nun plötzlich Wind und Kälte spürten, warfen sie die Köpfe hoch, schlugen mit den Flügeln und zerrten an ihren Fußfesseln.
Einem Tier wurde die Haube abgenommen, die Schnüre, die seinen Schnabel hielten, fielen. Der Tarn stieß seinen Kriegsschrei aus, einen Schrei, der sogar die heulenden Winde des Thassa übertönte.
Den Männern lief ein Schauder der Angst über den Rücken.
Es ist sehr schwierig, einen Tarn über das offene Meer zu lenken. Ich wußte nicht, ob sie sich über dem Wasser kontrollieren ließen. Im allgemeinen lassen sie sich nicht einmal unter Anwendung eines Tarnstabs vom Land fortbringen.
Ich nahm mein Fernglas von der Schulter und reichte es einem Seemann. Dann wandte ich mich an einen Offizier. »Laß ein Boot zu Wasser.«
»Bei dieser See?«
»Mach schon!« rief ich.
Das Boot wurde ins Wasser gesetzt. An einem der Ruder, als gehörte er dorthin, saß der Sklavenjunge Fisch. Mein Rudermeister übernahm die Steuerung.
Von Lee näherten wir uns dem ersten der großen Rundschiffe, dessen Deck ich erkletterte.
»Du bist Terence, Söldnerführer aus Treve?«
Der Mann nickte.
Treve ist eine Banditenstadt in den unzugänglichen Voltai-Bergen. Kaum jemand kennt ihre genaue Lage. Vor Jahren hatten die Tarnkämpfer Treves sogar der Tarnkavallerie Ars Widerstand geleistet. In Treve kennt man keine Landwirtschaft, sondern lebt im Herbst von den Überfällen auf die Ernte anderer. Man ernährt sich von Plünderung. Die Bürger Treves sollen zu den stolzesten und rücksichtslosesten auf Gor gehören. Sie lieben die Gefahr. Ihre Stadt ist angeblich nur auf dem Rücken eines Tarn erreichbar. Ich hatte einmal ein Mädchen gekannt, das aus dieser Stadt kam – Vika aus Treve.