»Du hast in den zehn Rundschiffen hundert Tarns mit ihren Reitern?«
»Ja«, sagte er, »und wie verlangt, ist an jedem Tarn ein Knotenseil befestigt, an dem sich fünf Seeleute aus Port Kar festhalten können.«
Ich blickte in den offenen Laderaum des Rundschiffes. Der gefährliche gebogene Schnabel des Tarn hob sich mir entgegen. Funkelnde Augen starrten mich an. Es schien ein guter Vogel zu sein; ich bedauerte trotzdem, daß ich meinen Ubar des Himmels nicht hier hatte.
»Und ich erhalte hundert Stein Gold für den Einsatz der Vögel und meiner Männer?« fragte Terence aus Treve nochmals.
»Richtig«, versicherte ich ihm.
»Ich möchte gleich bezahlt werden«, meinte der Söldnerführer aus Treve.
Ich zog blank und hielt ihm meine Klinge gegen die Kehle.
»Meine Sicherheit ist der Stahl«, sagte ich.
Terence lächelte. »Wir aus Treve verstehen solche Sicherheit.«
Ich senkte das Schwert. »Von allen Tarnkämpfern in Port Kar«, sagte ich, »und von allen Söldnerführern hast du allein das Risiko nicht gescheut – den Einsatz von Tarns über dem Meer.«
Es gab noch einen Mann, der diese Gefahr nicht gescheut hätte – doch er war mit seinen tausend Leuten seit Wochen nicht in der Stadt. Der Söldnerführer Ha-Keel, der an goldener Kette eine abgegriffene, diamantenbesetzte Tarnmünze um den Hals trägt, eine Münze aus Ar. Wie ich erfahren hatte, waren seine Streitkräfte im Augenblick in der Nähe von Tor beschäftigt, die Überfälle gewisser Wüstenstämme zu unterbinden, die mit Tarns großes Unheil anrichteten. Die Dienste Ha-Keels und seiner Männer standen dem Meistbietenden zur Verfügung; ich weiß, daß er einmal durch Zwischenmänner den Anderen gedient hatte, die mit den Priesterkönigen um die Vorherrschaft auf dieser Welt kämpfen. Ich kannte Ha-Keel aus dem Haus des Kaufmanns Saphrar in Thuria.
»Ich fordere die hundert Stein«, sagte Terence, »egal, wie das Unternehmen ausgeht.«
»Natürlich«, sagte ich. »Hundert Stein sind kein hoher Preis bei dem Risiko. Dabei ist der Heimstein Port Kars nicht der deine.«
»Wir stammen aus Treve«, sagte Terence.
»Gib mir einen Tarnstab«, sagte ich.
Als ich das Instrument in der Hand hielt, warf ich meine Robe ab und legte einen Windschutz um. Es hatte zu schneien begonnen.
Die Tarns waren verhüllt aufs Meer gebracht worden. Da sie instinktiv das Meer mieden, wußte ich nicht, was passieren würde, wenn sie nun über dem Wasser aufsteigen mußten. Vielleicht weigerten sie sich, das Schiff zu verlassen. Vielleicht gebärdeten sie sich vor Wut oder Angst wie verrückt. Mancher Reiter war schon von seinem Vogel getötet worden, der nicht aufs Meer hatte fliegen wollen. Aber ich hoffte, daß sich die Tarns außer Sichtweite des Landes in ihr Schicksal ergeben würden.
Meine Ungewißheit konnte nicht mehr lange dauern.
Ich sprang in den Sattel des Tarn. Er schrie auf, als ich mir den breiten purpurnen Sicherheitsgurt um die Hüfte legte. Der Tarnstab hing an meinem rechten Handgelenk. Ich legte mir den Windschutz über das Gesicht.
»Wenn ich den Vogel lenken kann«, sagte ich, »folgt ihr mir und achtet auf meine Anweisungen.«
»Laß mich als erster fliegen«, sagte Terence aus Treve.
Ich lächelte. Wie konnte ein ehemaliger Tarnkämpfer aus Ko-ro-ba einem Erzfeind, einem Mann aus Treve, die Führung überlassen? Da ich ihm dies nicht sagen konnte, lautete meine Antwort einfach: »Nein.«
Um den Sattelknauf war ein Paar Sklavenfesseln und ein Stück Schnur gewickelt. Beides stopfte ich mir in den Gürtel. Dann zog ich am ersten Zügel.
Der Tarn sprang mit mächtigem Flügelschlag aus dem Laderaum. Er verhielt auf dem Deck des Rundschiffs, hob und senkte unschlüssig die Flügel, sah sich um und warf dann mit mächtigem Kampfgeschrei den Kopf zurück. Die anderen Tarns unter ihm wurden unruhig und rasselten mit ihren Ketten.
Der peitschende Schneeregen brannte mir auf dem Gesicht.
Wieder zog ich den ersten Zügel, und schon saßen wir auf der langen, schrägen Vormastrah. Der Tarn hatte den Kopf erhoben, und jeder Muskel seines Körpers war angespannt. Er sah sich verwirrt um. Ich drängte das Tier nicht.
Ich tätschelte ihn am Hals und redete beruhigend auf ihn ein, dann zog ich am ersten Zügel. Der Vogel bewegte sich nicht. Seine Klauen umfingen die Rah. Ich gebrauchte den Tarnstab nicht, sondern wartete einige Zeit, streichelte den Vogel und redete ihm gut zu.
Und plötzlich stieß ich einen Schrei aus, zog hart am ersten Zügel. Der Tarn folgte seinen Reflexen und seinem Instinkt und schwang sich in die Lüfte, stieg in die tobenden Elemente. Ich saß wieder auf dem Rücken eines Tarn! Der Vogel gewann an Höhe, bis ich den ersten Zügel losließ; dann kreiste der Tarn. Seine Bewegungen waren so sicher, als befinde er sich über den vertrauten Abgründen der Voltai-Berge.
Ich testete seine Reaktionen auf die Zügel. Der Vogel war bestens ausgebildet und befolgte meine Befehle ohne Zögern. Und plötzlich wurde mir klar, daß der Tarn vor Erregung und Freude zitterte, daß er das neue und fremde Element genoß, in dem er sich befand.
Schon sah ich, wie unter mir andere Tarns fertiggemacht wurden. Reiter stiegen in die Sättel. Ich sah, wie Tarns auf die Decks der Rundschiffe hüpften, wie die geknoteten Seile an den Sätteln festgemacht wurden und wie kampferfahrene Seeleute ihre Plätze einnahmen, fünf Mann je Seil. Jeder Tarnreiter trug am Sattel außerdem eine brennende Schiffslaterne und Ledertaschen mit Tonflaschen, die mit Lappen verkorkt waren. Die Behälter enthielten Tharlarionöl, und die Lappen, die den Verschluß bildeten, waren mit dem leicht brennbaren Öl getränkt.
Kurz darauf waren hinter mir etwa hundert Tarns in der Luft, und unter jedem Vogel hingen an einem kräftigen Seil fünf ausgewählte Kämpfer.
Ich sah, daß die Flotten meiner fünften Angriffswelle unter Chungs und Nigels Kommando ihren Zangenangriff angesetzt hatten und in heftige Kämpfe verwickelt waren.
Nun folgte ich mit den Tarnkämpfern nach – zu einem Zeitpunkt, da der Gegner die Stärke dieses Flankenangriffs noch gar nicht erfaßt haben konnte.
In dem Durcheinander der kämpfenden Tarnschiffe unter uns, mit denen die Rundschiffe aufzuschließen versuchten, erblickte ich das Flaggschiff von Cos und Tyros, das durch einen Ring von vierzig Tarnschiffen geschützt wurde. Es war ein großes Schiff, im Gelb von Tyros gehalten, mit über zweihundert Rudern – Chenbars Schiff.
Außer seinen Ruderern, die ausnahmslos Freie waren, enthielt es etwa hundert Bogenschützen und weitere hundert Seeleute, Artilleristen, Hilfspersonal und Offiziere.
Ich zog den vierten Zügel. Mein Tarn senkte sich herab und landete am Heck des Schiffs. Ich sprang sofort aus dem Sattel und zog mein Schwert. Verwirrt erwiderte Chenbar, Ubar von Tyros, meine Geste und zog ebenfalls seine Klinge.
Ich entfernte den Windschutz von meinem Gesicht.
»Du!« rief er.
»Ja«, sagte ich. »Bosk aus Port Kar.«
Unsere Klingen trafen aufeinander.
Hinter uns hörte ich lautes Geschrei, die Geräusche von Männern, die sich von ihren Tarnseilen an Deck fallen ließen, Waffengeklirr. Auch zischten Armbrustpfeile durch das Schneetreiben.
Eine Gruppe Vögel verharrte über dem Deck, und die Männer ließen sich von den Seilen fallen. Die Tarns wirbelten davon, und die nächste Gruppe flog an. Nachdem sämtliche Krieger abgesprungen waren, schwenkten die Vögel mit ihren Reitern am schwarzen drohenden Himmel ab. Nun wurden die öldurchtränkten Lunten entzündet und aus dem Himmel auf die Decks der Schiffe aus Cos und Tyros geschleudert. Ich rechnete nicht damit, daß unsere Brandbomben allzu großen Schaden anrichteten, verließ mich aber auf das Zusammentreffen dreier Faktoren: auf die psychologische Wirkung eines solchen Angriffs, auf die Angst vor den Flankenflotten, deren Größe man noch nicht hatte abschätzen können, und auf die plötzliche Ausschaltung des Flaggschiffs mit dem Anführer Chenbar.