Im nächsten Augenblick war der Saal von Licht erfüllt. Fisch schlug sich auf meine Seite, um Rücken an Rücken mit mir weiterzukämpfen.
»Du hättest doch bei der Flotte bleiben sollen, Sklave«, sagte ich.
Ich sah, wie der Junge mit blitzschnellem Stoß seine Klinge führte und schon wieder kampfbereit war, ehe sein Opfer zu Boden gesunken war.
»Du hast vorzüglich zu kämpfen gelernt, Sklave«, sagte ich.
Männer kamen durch den Korridor, doch nun auch von der Seite, selbst durch die Küchentüren drängte eine Gruppe Krieger herein.
Jetzt sind wir verloren, dachte ich. Verloren.
Wütend registrierte ich, daß die Gruppe, die aus der Küche kam, von Samos aus Port Kar angeführt wurde.
»Du steckst also doch mit den Feinden Port Kars unter einer Decke!« rief ich. Doch zu meiner Verblüffung wandte er sich gegen unsere Angreifer, begann auf unserer Seite zu kämpfen. Nun bemerkte ich auch, daß einige Männer seiner Gefolgschaft in meinen Diensten standen, während ich andere nicht kannte.
»Rückzug!« brüllte Lysius im Kampfgetümmel.
Seine Männer wichen kämpfend zurück. Wir trieben sie zum Saalausgang, wo wir die Doppeltüren zuwarfen und sie mit schweren Eisenstäben sicherten.
Samos schwitzte. Der Ärmel seiner Tunika war zerrissen. Blut lief ihm über das Gesicht, befleckte sein weißes Haar und den Goldring in seinem Ohr.
»Was ist mit der Flotte?« fragte er.
»Wir haben gesiegt.«
»Gut«, erwiderte er und steckte das Schwert fort. »Wir verteidigen deinen Wehrturm in der Nähe der Deltamauer«, sagte er. »Komm mit.«
Bei den gefesselten Mädchen blieb er stehen und wandte sich um. »Sie haben sich fortgeschlichen, um dich zu suchen.«
»Das ist ihnen ja auch gelungen«, sagte ich und trennte Vinas Fesseln durch. Langsam richtete sie sich auf und eilte weinend zu Fisch und schmiegte sich an ihn. Er umarmte sie.
Dann befreite ich auch Telima von ihren Fesseln.
Am Nachmittag des folgenden Tages standen Samos und ich an der Brustwehr des Turms. Über unseren Köpfen waren Tarnnetze angebracht. Schwere Holzdeckungen, auf Pfosten stehend, ragten in der Nähe auf, die uns vor dem Armbrustfeuer von Tarnreitern schützen sollten.
Mein großer Langbogen stand griffbereit neben mir. Er hatte geholfen, die Belagerer auf Distanz zu halten. Aber ich hatte nur noch wenige Pfeile.
Unsere Männer waren weiter unten im Turm. Wir waren müde. Zu lange schon hatten wir den Schlaf bekämpft, so daß nur noch Samos und ich Wache hielten.
Vor meiner Rückkehr nach Port Kar hatte Samos mit seinen und meinen Männern elf Angriffen auf den Turm standgehalten – dabei war man mit Infanterie und Tarnkämpfern vorgegangen. Seit meiner Rückkehr am Vorabend hatte es vier weitere Attacken gegeben. Wir hatten nun nur noch fünfunddreißig Mann, achtzehn von Samos’ Leuten und siebzehn, die in meinen Diensten standen.
»Warum bist du gekommen, um ausgerechnet meinen Turm zu verteidigen?« fragte ich Samos.
»Weißt du das nicht?« erwiderte er.
»Nein.«
»Ist ja auch egal«, sagte er.
»Ohne dich und deine Männer wäre meine Festung längst gefallen.«
Samos zuckte die Achseln.
Wir schauten über die Bastion. Der Turm steht nahe der Deltamauer meines Anwesens. Von hier oben aus konnten wir die Sümpfe überblicken, die sich bis zum Horizont erstreckten, und das weite, schöne Voskdelta, durch das ich vor so langer Zeit gekommen war.
Unsere erschöpften Kämpfer lagen unter uns im Turm. Jede Ehn Schlaf war kostbar. Sie und wir waren am Ende unserer Kräfte. Das Warten und Kämpfen, gefolgt von neuen Warteperioden, hatte uns zermürbt.
Im Turm hielten sich außerdem vier Mädchen auf – Vina, Telima, Luma und die Tanzsklavin Sandra. Die meisten anderen, ob Männer, ob Frauen, ob Sklaven oder Freie, waren geflohen. Sogar Thurnock und Thura und Clitus und Ula, von denen ich es nicht erwartet hätte, waren nicht mehr in der Festung. Allerdings nahm ich es ihnen nicht übel. Sie waren klug, und es wäre Wahnsinn gewesen, hierzubleiben. Letztlich war ich es, der hier als Narr dastand, nicht sie. Und doch wäre ich in diesem Augenblick an keinem anderen Ort lieber gewesen als hier oben, über dem Besitz, den ich mir in Port Kar zu eigen gemacht hatte.
Und so hielten Samos und ich Wache.
Ich sah ihn an. Ich verstand diesen Sklavenhändler nicht. Warum hatte er meine Festung verteidigt? War er so verrückt oder schätzte er sein Leben so gering ein?
Er gehörte nicht hierher.
Dieser Besitz gehörte mir, mir allein!
»Du bist müde«, sagte Samos. »Geh nach unten. Ich passe schon auf.«
Ich nickte. Es war sinnlos, Samos noch zu mißtrauen. Sein Schwert hatte manchen Kämpfer für mich getötet. Sein Leben war auf der Brustwehr meines Wehrturms mehr als einmal in Gefahr gewesen. Mir war egal, wem er diente – ob den Ubars, oder dem Regenten Claudius, oder den Ubaraten in Cos und Tyros, oder etwa den Anderen oder vielleicht doch den Priesterkönigen – oder ob er allein seine eigenen Ziele verfolgte. Mir war alles gleichgültig geworden. Ich war zu Hause, und ich war müde.
Ich stieg durch die Falltür; über eine Leiter erreichte ich die Etage unter dem Turmdach. Hier gab es Nahrung und Wasser, ausreichend Vorräte für eine weitere Woche. Aber ich glaubte nicht, daß wir noch soviel brauchen würden. Vor Einbruch der Dunkelheit gab es bestimmt weitere Angriffe – denen wir kaum noch etwas entgegenzusetzen hatten. Die erste oder höchstens zweite Angriffswelle würde uns überrollen.
Ich sah mich um. Die Männer schliefen. Sie waren unrasiert, verdreckt und zum Teil verwundet. Mehrere Kämpfer aus Samos’ Mannschaft waren mir unbekannt, während mir andere viel bedeuteten. Einige waren sogar Sklaven von mir, die mit Pfählen und Hämmern gekämpft hatten, andere waren früher Sklaven gewesen, hatten jedoch die Freiheit errungen und eine Waffenausbildung erhalten. Einige waren Seeleute, und zwei waren Söldner, die meinen Dienst nicht hatten verlassen wollen. In einer Ecke schlief Fisch; Vina lag in seinen Armen. Er hatte sich wacker gehalten.
»Herr«, sagte jemand neben mir.
An der Wand saß die Tanzsklavin Sandra. Zu meiner Überraschung hatte sie Vergnügungsseide angelegt.
Ich ging zu ihr hinüber. Sie kniete vor einem Bronzespiegel und bearbeitete eine Augenbraue mit einer kleinen Bürste.
Sie sah furchtsam zu mir auf. »Wenn sie kommen«, sagte sie, »werden sie doch Sandra nicht umbringen, oder?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich nehme an, die Männer werden dich hübsch finden und am Leben lassen.«
Sie sah mich erleichtert an, wandte sich wieder dem Spiegel zu und starrte prüfend hinein.
Ich hob sie hoch und blickte ihr in die Augen.
»Bitte bring meine Schminke nicht durcheinander«, sagte sie.
Ich lächelte. »Sie werden dich bezaubernd finden.«
Dann küßte ich ihren Hals und stieg in das nächste Stockwerk hinab.
Hier lehnte mit angezogenen Beinen Luma an einer Wand.
Ich blieb vor ihr stehen.
Sie blickte auf und fuhr mit der Hand über meine Wange.
»Ich würde dich befreien«, sagte ich, »aber ich fürchte, daß freie Frauen umgebracht werden.«
Ich berührte ihren Sklavenkragen.
»Hiermit darfst du vielleicht weiterleben.«
Sie begann zu weinen und lehnte den Kopf an meine Schulter. Ich umarmte sie.
»Meine mutige Luma«, sagte ich. »Meine brave, mutige Luma.«
Ich küßte sie, schob sie sanft von mir und begab mich wieder zur Leiter.
Im nächsten Stockwerk kümmerte sich Telima um zwei Verwundete. Müde setzte ich mich auf eine Decke, die auf dem Boden lag, und stützte den Kopf in die Hände.
Das Mädchen kniete neben mir nieder und sah mich an.
»Ich rechne damit«, sagte sie nach längerem Schweigen, »daß in ein paar Stunden die Flotte zurückkehrt und wir alle gerettet sind.«
Dabei wußte sie ebensogut wie ich, daß die Flotte im Sturm viele Pasang nach Süden abgetrieben worden war und erst in zwei oder drei Tagen hier sein konnte.