Auf der Insel wurden nun die Spuren des Überfalls sichtbar, die Überreste vernichteter Hütten, zerbrochene Kästen, aufgerissene Säcke, abgebrochene Speere, Flaschenscherben und – Leichen. Auf der stillen Insel begann sich nun auch wieder das Tierleben zu regen; zwei Sumpfgänse landeten und begannen zu stöbern, und von irgendwoher tauchte ein gezähmter Tarsk auf und begann grunzend herumzuwühlen.
Es dauerte noch eine Weile, bis auch die letzten Rencebauern an Bord der Barken waren. Die Sklaven aus Port Kar breiteten die Netze aus, rollten sie zusammen und schafften sie ebenfalls von der Insel. Dann zogen sie die Planken ein und setzten sich auf ihre Ruderbänke, wo sie angekettet wurden. Als letzte gingen Henrak und der bärtige Offizier an Bord des Flaggschiffs. Die Sklavenhändler von Port Kar, die auf ihre Art weise sind, versklaven selten Männer wie Henrak, die ihnen gut gedient haben – so finden sie immer wieder Verräter, die ihnen zu einem guten Geschäft in den Sümpfen verhelfen.
Die großen Sumpfbarken waren sowohl am Bug als auch am Heck verankert; von je zwei Männern gezogen, kamen nun die Ankerhaken zum Vorschein, und der Offizier, der auf dem Ruderdeck des Flaggschiffs stand, hob den Arm. An Bord von Sumpfbarken wird den Ruderern der Rhythmus durch den Rudermeister angegeben – nicht mit einer Trommel, sondern durch Zuruf. Er sieht nach vorn, während die Ruderer natürlich mit dem Rücken in Fahrtrichtung sitzen.
Henrak stand neben dem Offizier, der nun den Arm senkte.
Ich hörte den Ruf des Rudermeisters und sah, wie die Ruder aus den Dollenlaken geschoben wurden. Sie verhielten parallel über dem Wasser, und die niedrige Sonne spiegelte sich auf den Ruderblättern. Ich bemerkte, daß sie nur wenige Zentimeter über dem Wasser hingen, so schwer waren die Barken beladen. Auf einen neuen Befehl des Rudermeisters tauchten die Ruder nun langsam ins Wasser, bewegten sich in vollkommener Übereinstimmung, hoben sich an, und Tropfen fielen wie Perlen vom Holz.
Die Barke begann sich von der Insel zu entfernen, wendete, nahm Richtung auf Port Kar, und die anderen Barken machten das Manöver nach und folgten.
Ich richtete mich auf meinem Rencefloß auf und starrte den Schiffen nach. Ich hob die Hand und entfernte den Kranz aus Renceblumen, den ich bei dem Fest getragen hatte. Etwas Blut klebte daran, von dem Schlag, den ich erhalten hatte. Telima, die zu meinen Füßen lag, wandte den Blick ab, als ich den Kranz in den Sumpf warf. Sie wußte, daß sie mir nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
Ich stand auf der Renceinsel und sah mich um. Vorsichtig stieg ich zur Mitte der Insel empor. Es war still.
Ich sah den Pfahl, an dem ich gestanden hatte, den Festplatz, die Überreste der Hütten und die Leichen.
Ich kehrte zu meinem Floß zurück, hob Telima hoch und trug sie auf die Insel. Nahe dem Pfahl legte ich sie ab und löste ihre Fesseln.
»Befreie mich«, sagte ich.
Unsicher richtete sie sich auf und entfernte die Sumpfranke von meinem Hals.
»Du bist frei«, flüsterte sie.
Ich wandte mich ab. Irgendwo auf der Insel mußte noch etwas Eßbares sein; ich hoffte auch, etwas Wasser zu finden. Ich machte mich auf die Suche; dabei behielt ich die Sonne im Rücken, um an Telimas langem Schatten beobachten zu können, was sie trieb. Mir entging nicht, daß sie sich bückte und einen zerbrochenen Sumpfspeer aufnahm, dessen Spitzen noch intakt waren.
Ich drehte mich um und blickte sie an.
Sie fuhr zusammen und bedrohte mich mit dem Speer. Ich trat einen Schritt vor und entwaffnete sie mühelos.
»Versuch das nicht noch einmal«, sagte ich, und sie schüttelte den Kopf. »Gestern nacht wollte mir scheinen, daß du dich sehr vor der Sklaverei fürchtest.«
Als ich sie losband, hatte ich an ihrem linken Bein zum erstenmal das winzige Brandmal entdeckt, das sie als goreanische Sklavin auswies; bei Tage war es durch ihre Tunika verdeckt gewesen.
»Du warst früher schon Sklavin«, sagte ich.
Sie sank weinend auf die Knie.
Es hieß, daß noch keinem Sklaven die Flucht aus Port Kar gelungen war – was wohl wie so manch andere Redensart auch nicht stimmte. Trotzdem war ihre Flucht sicherlich ungewöhnlich, und wäre sie nicht ein Rencemädchen gewesen, hätte sie das gefährliche Unternehmen nicht überstehen können. Auch Ho-Hak war aus Port Kar entkommen; wahrscheinlich gab es noch andere.
»Du mußt sehr mutig sein«, sagte ich. »Und deinen Herrn hast du sicher sehr gehaßt.«
In ihren Augen flackerte ein Funke wilden Feuers auf.
»Wie wurdest du als Sklavin genannt? – Hübsche Sklavin?«
Sie senkte den Kopf. »Ja«, schluchzte sie, »ja, ja!«
Ich ließ sie allein und setzte meine Suche fort. Bald stieß ich auf die Reste ihrer Hütte. Viel war vernichtet worden, doch einiges hatte den Überfall überstanden. Zu meiner Freude war eine der Wasserflaschen noch halb gefüllt. Ich nahm auch den Beutel mit Nahrung an mich, ebenso einige Wurfstöcke und andere Dinge, zu denen auch die Rencetunika gehörte, die sie unmittelbar vor dem Angriff ausgezogen hatte.
Telima starrte das Kleidungsstück ungläubig an. »Bin ich denn nicht deine Sklavin?« fragte sie.
»Nein«, entgegnete ich. »Zieh dich an.«
Hastig streifte sie die Tunika über. Ich reichte ihr die Wasserflasche, und sie trank. Wir hockten uns hin und aßen langsam.
»Bleibst du bei mir?« fragte sie schließlich.
»Nein.«
»Du gehst nach Port Kar?«
»Ja.«
»Aber warum?« wollte sie wissen. »Du bist doch nicht aus dieser Stadt.«
»Ich habe dort etwas zu erledigen.«
»Darf ich deinen Namen wissen?«
»Ich heiße Bosk«, sagte ich.
Tränen standen ihr in den Augen.
Ich sah keinen Grund, ihr zu sagen, daß ich Tarl Cabot hieß. Es war ein Name, der in gewissen goreanischen Städten nicht unbekannt war. Je weniger Menschen wußten, daß Tarl Cabot nach Port Kar wollte, desto besser.
Ich würde mir aus Rence ein Boot bauen. Mit den vorhandenen Staken kam ich mühelos nach Port Kar. Das Mädchen war hier im Sumpf zu Hause und fand bestimmt schnell in einer anderen Rencegemeinschaft Zuflucht.
Während ich noch aß, war Telima aufgestanden und wanderte auf der Insel herum. Ich sah, wie sie einen der Toten am Arm packte und zum Ufer zerrte.
»Was tust du?« fragte ich.
»Wir gehören in den Sumpf«, sagte sie starr. »Die Rencebauern kommen aus dem Sumpf und müssen dorthin zurück.«
Ich nickte, und sie ließ den Körper ins Wasser gleiten.
Ich half ihr. Wir mußten oft zum Ufer der Insel gehen.
Schließlich fand ich unter den Resten einer Hüttenwand einen weiteren Körper, die Leiche eines Kindes. Ich kniete daneben nieder und begann zu weinen.
Telima erschien neben mir. »Das ist der letzte – Eechius«, sagte sie.
Ich nahm das tote Kind in die Arme, trug es zum Ufer und warf es ins Wasser.
»Hast du den Jungen gekannt?« fragte Telima.
»Ja«, sagte ich. »Er war einmal freundlich zu mir.«
Es war der Junge, der mir sein Stück Rencekuchen gereicht hatte, als ich am Pfahl festgebunden war.
Ich hob den Kopf. »Bring mir meine Waffen«, sagte ich.
Sie blickte mich wortlos an.
»Es dauert doch sicher lange, bis die schwer beladenen Barken Port Kar erreichen?«
»Es sind aber über hundert Krieger an Bord«, sagte sie plötzlich lebhaft.
»Und wenn du mir meine Waffen bringst, vergiß den Langbogen und die Pfeile nicht.«
Sie stieß einen Freudenschrei aus und eilte davon.
8
Ich hatte Rence gesammelt, und Telima hatte mit Sumpfried das Boot geflochten. Während sie arbeitete, untersuchte ich meine Waffen.
Das Mädchen hatte sie im Rence versteckt gehabt, wo sie den Gegnern verborgen geblieben waren. Ich besaß nun wieder mein Schwert, die gehärtete doppelschneidige Klinge aus vorzüglichem goreanischem Stahl, die mich bereits bei der Belagerung Ars begleitet hatte, dazu die Schneide und das runde Bosklederschild; ich verfügte auch über den einfachen Helm ohne Insignien mit dem Y-förmigen Sehschlitz und meine alte, fleckige Kriegertunika und natürlich über den großen, weichen Langbogen mit Pfeilen.