»Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie lange hast du sie nicht mehr gesehen?«
»Über sieben Jahre ist das jetzt her.«
Vika lachte grausam. »Dann ist sie längst in den Städten des Staubes!«
»Vielleicht«, sagte ich.
»Ich –Vika – bin hier.«
»Ich weiß«, sagte ich und wandte mich ab.
Ich hörte sie an meiner Schulter. »Ich werde dafür sorgen, daß du sie vergisst.«
In ihrer Stimme schwang die grausame, eiskalte, selbstbewusste, leidenschaftliche Drohung einer trevischen Frau, die gewohnt war, alles zu bekommen, was sie sich wünschte, deren Wünsche nicht missachtet wurden.
Wieder wandte ich mich zu Vika um, und ich sah vor mir nicht mehr irgendein Mädchen, sondern eine Frau aus Hoher Kaste, eine Frau aus dem Königreich Treve, die trotz ihres Kragens Befehle zu geben verstand.
Gelassen griff Vika an die Schnalle, die ihre Tunika zusammenhielt und ließ das Kleidungsstück zu Boden sinken. Sie trug ein Brandmal. »Küsse mich«, sagte sie.
»Nein«, sagte ich.
Sie lachte. »Du kannst mich nicht zurückweisen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich das nicht zulassen werde. Du musst wissen, Cabot, ich habe beschlossen, daß du mein Sklave sein sollst.«
Sie kam auf mich zu, und ich stieß sie zurück.
»Na gut!« rief sie mit blitzenden Augen. »Gut, Cabot, dann werde ich dich bezwingen!« Und sie nahm meinen Kopf in die Hände und drückte ihre Lippen auf meinen Mund.
In diesem Augenblick nahm ich erneut den leicht säuerlichen Geruch wahr, den ich schon einmal im Korridor gespürt hatte. Ich preßte meinen Mund auf den ihren, bis meine Zähne ihre Lippen ritzten und ich sie zurückgebeugt hatte, so daß schließlich nur noch mein Arm sie vor dem Sturz bewahrte. Ich hörte ihren überraschten Schrei und warf sie ärgerlich auf die Strohmatte am Fußende meines Bettes.
Es wollte mir scheinen, als durchschaute ich nun endlich das teuflische Spiel – aber sie waren zu früh gekommen! Vika hatte keine Gelegenheit gehabt, ihre Arbeit zu tun. Das mochte ihr zum Verderben werden, aber mir war es egal.
Noch immer wandte ich dem breiten Portal den Rücken zu, obwohl der Duft stärker geworden war.
Vika kauerte erschreckt auf der Sklavenmatte. »Was ist los?« fragte sie nervös.
»Du wolltest mich also für sie bezwingen?« fragte ich.
»Was meinst du?« stammelte sie.
»Du bist ein armseliges Werkzeug der Priesterkönige!«
»Nein«, jammerte sie, »nein!«
»Wie viele Männer hast du für die Priesterkönige schon weich gemacht?« fragte ich, griff in ihr Haar und zerrte grausam ihren Kopf in die Höhe. »Wie viele?« brüllte ich.
»Bitte!« weinte sie.
Ich fühlte mich in Versuchung, ihren Kopf gegen die Steinkante zu schlagen. Sie war eine grausame, bösartige Verräterin, die Kragen und Peitsche mehr als verdient hatte!
»Du verstehst mich nicht«, sagte sie. »Ich liebe dich!«
Angewidert stieß ich sie von mir. Noch immer drehte ich mich nicht um.
Vika lag mir zu Füßen, und Blut lief ihr über die Lippen, die noch die Spuren meines Kusses trugen. Sie schaute zu mir auf. Tränen standen in ihren Augen.
Der Duft war jetzt übermächtig. Ich wusste, daß der Priesterkönig ganz nahe sein musste. Warum merkte das Mädchen nichts? Warum wusste sie nicht Bescheid? Gehörte das nicht zum großen Plan?
»Bitte!« sagte sie flehend. »Ich liebe dich.«
»Sei still, Sklavenmädchen!«
Sie senkte den Kopf und begann zu weinen.
Ich wusste nun, daß das Unbekannte uns erreicht hatte.
Auch Vika schien etwas zu spüren, denn ihr Kopf hob sich, und ihre Augen weiteten sich entsetzt, und sie fuhr auf, schlug die Hände vor das Gesicht, als wollte sie sich schützen, und sie schauderte und stieß plötzlich einen wilden, durchdringenden Angstschrei aus.
Ich zog mein Schwert und fuhr herum.
Es stand im Portal.
Auf seine Art war es sehr schön, goldgelb und groß, hochaufragend, von dem massigen Portal umrahmt. Es war vielleicht einen Meter breit, doch der Kopf berührte fast den Torbogen, so daß ich seine Höhe auf fast fünf Meter schätzte.
Das Wesen hatte sechs Beine und einen Kopf wie eine goldene Kugel, in der große Scheibenaugen leuchteten. Die beiden Vorderbeine, die wachsam erhoben schienen, vollführten zierliche Bewegungen. Die Kiefer öffneten sich einmal und gingen wieder zu.
Vom Kopf gingen zwei zerbrechlich wirkende, gelenkige Fühler aus, die mit kurzem goldschimmerndem Haar bewachsen waren. Diese beiden Fühler bewegten sich wie Augen hin und her und schienen sich schließlich auf mich zu richten. Sie krümmten sich wie zierliche goldene Kneifer in meine Richtung, und jedes einzelne winzige Goldhaar an ihnen richtete sich auf und zeigte wie eine zitternde Goldnadel auf mich.
Um den Hals trug das Wesen ein kleines rundes Gerät, eine Art Übersetzer, der den mir bekannten goreanischen Apparaten zu ähneln schien.
Ich spürte neue Gerüche, die offenbar von dem Wesen ausgingen.
Fast sofort begann eine mechanisch erzeugte Stimme aus dem Übersetzer zu sprechen.
Sie gebrauchte die goreanische Sprache.
Ich wusste die Worte schon vorher.
»Lo Sardar«, sagte das Gerät. »Ich bin ein Priesterkönig.«
»Ich bin Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, entgegnete ich.
Kaum hatte ich gesprochen, als ich neue Düfte spürte, die aus dem kleinen Übersetzungsgerät kommen mochten.
Die beiden Fühler der Kreatur schienen diese Information aufzunehmen.
»Folge mir«, sagte die mechanische Stimme, und das Wesen drehte sich um.
Ich ging auf das Portal zu.
Das Wesen ging mit langen, zierlichen Schritten durch den Korridor.
Ich warf einen letzten Blick auf Vika, die den Kopf hob. »Geh nicht«, sagte sie.
Verächtlich wandte ich ihr den Rücken zu und folgte dem Wesen.
Hinter mir hörte ich ihr Weinen.
Laß sie doch klagen, sagte ich mir. Sie hat ihre Herren, die Priesterkönige, enttäuscht, und die Strafe wird nicht gering ausfallen.
Wäre ich nicht so in Eile gewesen, hätte ich sie selbst bestraft. Ich wollte doch sehen, wer hier wen bezwang!
Ich schüttelte diesen. Gedanken jedoch ab und setzte meinen Weg fort.
Ich musste das gefährliche Mädchen vergessen. Es gab Wichtigeres zu tun.
Ich hasste Vika.
Ich folgte einem Priesterkönig.
10
Den Priesterkönigen haftet kein Geruch an, der für menschliche Nasen erspürbar wäre, obwohl es ein bestimmtes Duftspektrum gibt, an der sie einen Artgenossen erkennen, und eine Variante dieses Nestduftes, die eine Identifizierung einzelner Wesen möglich macht.
Was ich in den Korridoren für den Duft der Priesterkönige gehalten hatte, waren eigentlich nur die Überbleibsel von Duftsignalen, mit denen sich die Priesterkönige, ähnlich wie gewisse Insekten unseres Planeten, miteinander verständigen. Der leicht säuerliche Geruch ist dabei ein gemeinsamer Nenner all dieser Signale so wie auch die menschliche Stimme Gemeinsamkeiten hat, ob sie nun einem Engländer, einem Buschmann, einem Chinesen oder einem Goreaner gehört.
Die Priesterkönige haben auch Augen, die über viele Facetten verfügen – aber sie bedienen sich dieser Organe kaum. Sie gebrauchen ihre Augen als sekundäre Sinnesorgane, etwa wie wir Nase und Ohren einsetzen, wenn wir mit unserem Hauptsinn – dem Sehvermögen – nicht weiterkommen. Entsprechend sind die beiden beweglichen goldenen Fühler, die über den scheibengleichen Augen von ihrem kugelförmigen Kopf ausgehen, die wichtigsten Sinnesorgane der Priestergötter. Wie ich erfahren sollte, sind sie nicht nur geruchsempfindlich; gewisse Härchen können auch Schallwellen empfangen und in verständliche Signale umsetzen. So riechen sie mit diesen Ausläufern nicht nur, sondern vermögen in gewisser Weise auch damit zu hören. Allerdings scheint dieses Gehör – an der Menge der dafür geeigneten Härchen gemessen – von untergeordneter Bedeutung zu sein. Seltsamerweise haben mir viele Priesterkönige, die ich danach fragte, versichert, daß sie gar keinen klaren Unterschied zwischen Hören und Riechen machen. Ich finde das unglaublich, habe jedoch keinen Grund, die Angaben zu bezweifeln. Und wenn ich die Begriffe Hören und Riechen gebrauche, bin ich gar nicht sicher, ob sie im Falle der Priesterkönige auch wirklich zutreffend sind – empfindet ein Priesterkönig und ein Mensch dasselbe, wenn beide mit demselben Duft konfrontiert werden? Ich glaube nicht – denn zum Beispiel ist die Musik dieser Wesen, die aus Duftrhapsodien spezieller Instrumente besteht, für meine Nase kaum erträglich.