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Mul Al-Ka hob die Fackel.

An der Decke der Höhle machte ich zahlreiche lange, verformte Schatten aus, bei denen es sich offensichtlich um Priesterkönige handelte.

Allerdings waren ihre Unterleiber grotesk angeschwollen. Sie bewegten sich nicht.

Ich schaltete das Übersetzungsgerät ein und sagte: »Misk.« Sofort spürte ich den vertrauten Geruch.

Zwar fühlte ich eine Bewegung zwischen den dunklen an der Decke hängenden Gestalten, doch eine Antwort blieb aus.

»Er ist nicht hier«, sagte Mul Al-Ka.

»Vielleicht nicht«, sagte Mul Ba-Ta, »denn unser Übersetzer hätte seine Antwort bestimmt aufgefangen.«

»Gib mir die Fackel«, sagte ich.

Ich nahm das Licht und ging an den Wänden des Raumes entlang.

Neben der Tür entdeckte ich eine Reihe kurzer Streben, die aus der Wand hervorragten und nach der Art einer Leiter in die Höhe führten.

Doch ehe ich sie erklimmen konnte, verharrte ich.

»Hört mal«, sagte ich.

Wir lauschten, und aus einiger Ferne glaubten wir den klagenden Gesang menschlicher Stimmen wahrzunehmen, der langsam näher kam.

»Wir sollten uns verstecken«, sagte Mul Ba-Ta.

Ich ließ die Leiterstreben los und führte die beiden Muls an das andere Ende der Höhle. Dort gingen wir hinter einigen Haufen des lockeren Wandgesteins in Deckung, das sich dort angesammelt hatte, löschten die Fackel und beobachteten den Eingang.

Der Gesang wurde lauter. Es war ein trauriges, fast feierliches Lied, dessen Worte ich kaum verstehen konnte, da sie der altgoreanischen Sprache entlehnt waren. Dem Sinne nach ging es um das rätselhafte Gur, das die Singenden am Tage des Festes von Tola nun in freudiger Erwartung holen kamen.

Die Türen schwangen auf, und wir machten zwei Reihen seltsamer Wesen aus, die in langsamer Prozession hereinmarschiert kamen; in der einen Hand trugen sie eine Mul-Fackel, in der anderen ein Gebilde, das wie eine leere Weinhaut aus goldenem Leder aussah.

Die lange Kette nahm kein Ende; es mochte sich um Menschen handeln oder auch nicht. Sie waren glattrasiert und trugen eine Plastiktunika wie alle Muls, doch ihr Körper wirkte k leiner und runder als der Körper eines Menschen, und im Vergleich zu ihrer Größe schienen sie ungewöhnlich lange Arme und Beine zu haben und dazu ausgesprochen breite Füße und Hände. Die Füße hatten keine Zehen, sondern waren seltsam scheibenähnlich – fleischige Kissen, auf denen sie lautlos dahinstapften –, und entsprechend schienen die Handflächen aus einer fleischigen Scheibe zu bestehen, die im blauen Licht der Mul-Fackeln schimmerte. Am seltsamsten war vielleicht die Form und Größe der Augen – ungewöhnlich große Scheiben, vielleicht sieben Zentimeter im Durchmesser, rund und dunkel und schimmernd wie die Augen von Nachttieren.

Ich fragte mich, was für Wesen das sein mochten.

Als die Prozession länger wurde und die zahlreichen Fackeln den seltsamen Raum immer besser ausleuchteten, warnte ich meine Begleiter, sich ganz ruhig zu verhalten.

Ich vermochte nun deutlich die Priesterkönige auszumachen, die kopfunter an der Decke hingen und deren Köpfe und Hälse neben ihren angeschwollenen Unterleibern fast winzig wirkten.

Zu meiner Verblüffung begannen die seltsamen Wesen nun nacheinander an den fast senkrechten Wänden der Höhle hinaufzusteigen; dabei kümmerten sie sich nicht um die vorhandenen Leitersprossen. Ihre fleischigen Füße hinterließen eine Art Schleimspur.

Eine Anzahl von Wesen blieb auf dem Boden zurück und setzte den feierlichen Gesang fort, und das Durcheinander der Fackeln warf unruhige Schatten überall in die Ecken der Höhle. Die hinaufgestiegenen Wesen machten sich daran, ihre goldenen Behältnisse aus den Mündern der Priesterkönige zu füllen. Mehrere Beutel mussten einem Priesterkönig vorgehalten werden, der den Inhalt seines Unterleibs langsam darin entleerte.

Es waren vielleicht hundert Priesterkönige, um die sich ein Mehrfaches an Muls kümmerte. Die seltsame Prozession, die die Wände hinauf- und hinabführte, dauerte über eine Stunde lang, in welcher Zeit das unheimliche Lied keinen Augenblick abriß.

Ich vermutete, daß es sich bei der Ausscheidung, die den Priesterkönigen abgenommen wurde, um Gur handelte und daß ich nun wusste, was >Gur bewahren* bedeutete.

Schließlich war der letzte der ungewöhnlichen Muls auf den Steinboden zurückgekehrt.

Die ganze Zeit über hatte niemand in unsere Richtung geschaut, so sehr hatte man sich auf die anstehende Arbeit konzentriert. Wer gerade nicht aktiv am Gur-Sammeln beteiligt war, hatte die runden dunklen Augen zu den Priesterkönigen erhoben, die hoch oben an der Decke hingen.

Endlich setzte sich einer der Priesterkönige in Bewegung und kletterte langsam an der Wand herab. Sein entleerter Unterleib hatte nun wieder den normalen Umfang, und er stolzierte feierlich zur Tür, umgeben von mehreren Muls mit ihren Behältern, in denen eine helle, milchige Substanz schwappte. Langsam bewegte sich der Priesterkönig aus der Höhle, gefolgt von einem zweiten und einem dritten Nestwesen, bis schließlich alle Priesterkönige die Höhle verlassen hatten – alle bis auf einen. Im Licht der letzten Fackeln sah ich einen Priesterkönig, dem man das Gur abgenommen hatte, der jedoch weiter an der Decke hing.

Eine schwere Kette, mit einem Ring an der Decke befestigt, führte zu einem dicken Metallband, das sich um seine schmale Hüfte zwischen Brustkorb und Unterleib legte.

Es war Misk.

Ich brach das andere Ende der Mul-Fackel ab, die sofort aufflammte, und trat in die Mitte der Höhle.

»Willkommen, Tarl Cabot«, tonte es aus meinem Übersetzungsgerät.

»Ich bin zum Sterben bereit.«

22

Ich legte mir das Übersetzungsgerät um den Hals und begann die Metallsprossen zu erklimmen. Sie schienen jedoch ziemlich alt zu sein, denn einige brachen mir unter den Fingern ab, so daß ich fast wieder zu Boden gestürzt wäre. Als ich endlich die Decke erreichte, sah ich, daß weitere Streben in Richtung Misk führten und daß jede eine kleine nach unten gebogene Rundung bildete, durch die ich mich fortzubewegen vermochte.

Ich nahm die Fackel in den Mund und setzte meinen Weg fort. Plötzlich brach eine der Streben unter mir, und im Herabstürzen griff ich hastig nach der nächsten, die ich im letzten Augenblick zu fassen bekam. Tief unter mir polterte die losgerissene Metallstrebe zu Boden.

Im nächsten Augenblick begann sich auch die Sprosse zu lösen, an der ich hing.

Langsam ließ ich mich hin und her schwingen, wartete einen günstigen Augenblick ab und ließ dann los, nur um im nächsten Sekundenbruchteil die folgende Sprosse zu ergreifen. Diese Strebe schien nun einigermaßen festzusitzen, und erleichtert zog ich mich hoch und hangelte mich vorsichtig zur nächsten. Wenige Augenblicke später hatte ich Misk erreicht.

Ich nahm die Mul-Fackel aus dem Mund. Misk musterte mich ruhig.

»Sei gegrüßt«, sagte ich.

»Sei gegrüßt, Tarl Cabot. Sarm hätte die Sprossen überprüfen müssen.«

»Ja, aber es ist schwierig, an alles zu denken.«

»Mach dich ans Werk und bring mich um.«

»Ich weiß nicht einmal, wie ich das anstellen soll.«

»Ja«, erwiderte Misk, »das wird nicht leicht sein, aber wenn du dir Mühe gibst, schaffst du es vielleicht.«

»Gibt es irgendein wichtiges Organ, auf das ich zielen könnte? Zum Beispiel ein Herz?«

»Da hätte ich nichts anzubieten«, sagte Misk. »Aber andererseits hast du bestimmt die nötige Zeit.«

»Das ist wohl richtig.«

Mein Blick fiel auf ein Metallobjekt, einen viereckigen Stab mit Vorsprüngen an einem Ende. Das Objekt hing einige Zentimeter außerhalb von Misks Reichweite an einem Haken.

»Was ist das?« fragte ich.

»Der Schlüssel zu meiner Kette.«

»Gut«, sagte ich, bewegte mich einige Sprossen vor, holte den Schlüssel und kehrte zu Misk zurück. Nach einigen Versuchen vermochte ich den Schlüssel in das Schloss seines Fesselringes zu stecken.

»Offen gesagt, ich würde empfehlen, daß du mich zuerst tötest und mich dann erst loskettest, um meinen Körper zu beseitigen; andernfalls könnte ich in Versuchung kommen, mich zu verteidigen.«