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Während die Musiker ihre Geruchsrhythmen fortsetzten, trat langsam ein Priesterkönig nach dem anderen vor, wanderte zur Empore und näherte sich der Mutter.

Hier angekommen, beugte er sich kurz über einen großen goldenen Kessel, der wohl anderthalb Meter tief war und auf einem riesigen Dreifuß stand, und nahm ein wenig weiße Flüssigkeit, zweifellos Gur, in den Mund.

Er nahm nur einen kleinen Schluck, und der Kessel war noch immer fast voll, obwohl das Fest von Tola schon in vollem Gange schien. Der Priesterkönig näherte sich langsam der Mutter und neigte seinen Kopf zu ihr herab.

Mit großer Zärtlichkeit berührten seine Fühler sodann ihren Kopf. Sie streckte ihm den Kopf entgegen, und mit einer Vorsicht, die kaum vorstellbar war, übertrug er schließlich einen winzigen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit von seinem Mund in den ihren.

Zuletzt wich er zurück und stellte sich wieder an seinen Platz, wo er so unbeweglich wie zuvor verharrte.

Er hatte der Mutter Gur gegeben.

Ich wusste es damals nicht – doch bei Gur handelt es sich um eine Flüssigkeit, die in der ersten Phase von großen, gezähmten, halbkugelförmigen Wesen ausgeschieden wird. Diese Tiere werden morgens auf die Weide geführt, wo sie sich von Simpflanzen ernähren, großen, rebenähnlichen Gewächsen mit riesigen gerollten Blättern, die unter viereckigen Lampen in den Weidehöhlen gedeihen. Nachts kehren die Wesen in ihre Stallzellen zurück, wo sie von Muls gemolken werden.

Das besondere Gur, das während des Fests von Tola zur Verwendung kommt, wird nach alter Sitte einige Wochen lang in den Mägen besonders ausgewählter Priesterkönige aufbewahrt, wo es reift und eine ganz bestimmte Zusammensetzung erreichen soll – und dieser Vorgang ist als Gurbewahrung bekannt.

Ich sah zu, wie die Prozession der Priesterkönige ihren Fortgang nahm und die Gurzeremonie immer wieder ablief.

In Anbetracht der Anzahl der Priesterkönige und der Zeit, die es jeden kostete, der Mutter Gur zu geben, schien die Zeremonie schon einige Stunden zu dauern. Tatsächlich wollte es mir denkbar erscheinen, daß die Feier vielleicht sogar den ganzen Tag in Anspruch nahm.

Ich war bereits vertraut mit der erstaunlichen Geduld der Priesterkönige, und so überraschte mich die Reglosigkeit in den Reihen der goldenen Wesen nicht, die die Plattform der Mutter säumten. Während ich die kaum merklichen Bewegungen der Fühler beobachtete, die der Duftmusik der Musiker folgten, spürte ich, daß es sich hier nicht um eine Demonstration der Geduld handelte, sondern daß dieses Fest für die Priesterkönige ein Augenblick der Freude war, eine Gelegenheit zum Versammeln, eine Demonstration des Nestzusammenhalts, das Hervorheben ihrer Anfänge und der langen, gemeinsam bewältigten Geschichte, ein Fest zur Erinnerung an sich selbst, an ihre Natur, an ihre Eigenschaft als Priesterkönige.

Ich überschaute die goldenen Reihen dieser Wesen, wachsam, reglos, die Köpfe mit grünen Blättern geschmückt, um den Hals die winzigen, primitiven silbrigen Werkzeuge, die an eine einfachere Zeit gemahnten – eine Zeit, da es noch keinen Beobachtungsraum, keine Energiestation und keinen Flammentod gab.

Ich vermochte mir das wahre geschichtliche Alter dieses Volkes nicht vorzustellen, und nur entfernt ahnte ich ihre Macht, ihre Gefühle, ihre Hoffnungen oder Träume – sofern diese abgeklärten Lebewesen überhaupt Träume hatten oder die vage, nicht zu unterdrückende Torheit von Hoffnungen.

Sarm hatte gesagt, das Nest sei ewig.

Aber auf der Plattform, der sich die goldenen Wesen zuwandten, lag die Mutter, vielleicht blind, fast gefühllos, das große schwache Wesen, das sie anbeteten, verwittert, bräunlich gealtert, der riesige verbrauchte Körper zusammengesunken und leer.

Ihr sterbt, Priesterkönige, sagte ich lautlos vor mich hin.

Ich bemühte mich, in den goldenen Reihen Sarm oder Misk auszumachen.

Ich hatte vielleicht eine Stunde zugeschaut, als ich Anzeichen dafür wahrnahm, daß die Zeremonie vielleicht vorüber war, denn es vergingen einige Minuten, ohne daß sich ein Priesterkönig der Mutter näherte.

Und dann entdeckte ich plötzlich Sarm und Misk zusammen.

Die Reihen der Priesterkönige teilten sich, so daß in der Mitte der Höhle ein Durchgang entstand. Die Priesterkönige wandten sich diesem Gang zu, durch den Sarm und Misk vortraten.

Ich vermutete, daß nun der Höhepunkt des Fests von Tola kam, die Gurzeremonie, ausgeführt durch die größten der Priesterkönige, die fünf Erstgeborenen – nur daß von dieser Gruppe nur noch zwei am Leben waren, der Erstgeborene und der Fünftgeborene, Sarm und Misk. Wie ich später erfuhr, traf diese Vermutung zu; dieser Augenblick des Fests ist als der Marsch der Fünf bekannt, bei dem die Erstgeborenen vor die Mutter treten und ihr in der umgekehrten Reihenfolge ihres Ranges Gur geben.

Misk trug natürlich keinen Blätterkranz und auch kein Halsband mit Werkzeugsymbolen.

Wenn Sarm darüber verstört war, Misk hier anzutreffen, den er tot wähnte, so ließ er es sich nicht anmerken.

Gemeinsam kamen sie zur Plattform. Schweigen herrschte im Raum – jedenfalls für menschliche Ohren. Die Düfte der Musik schwollen dagegen zu einem neuen Höhepunkt an. Feierlich näherten sich die beiden Priesterkönige der Mutter, und ich sah, wie Misk als erster einen Tropfen Gur aus dem großen goldenen Kessel nahm und sich zur Mutter beugte.

Als er ihren Kopf berührte, hob sie ihre Fühler und schien zu erzittern.

Das alte verwitterte Wesen hob den Kopf, und auf ihre ausgestreckte Zunge übertrug Misk, ihr Kind, zärtlich und vorsichtig einen schimmernden Gurtropfen.

Er trat zurück.

Jetzt näherte sich auch Sarm, der Erstgeborene, der Mutter. Auch er kostete von dem Gur in dem goldenen Kessel, trat neben die Mutter, legte seinen Fühler sanft auf ihren Kopf, und wieder hob das alte Geschöpf ihren Fühler – doch diesmal schien sie ihn wieder zurückzuziehen.

Sarm legte seinen Kiefer vor den Mund der Mutter, doch sie hob ihren Kopf nicht.

Sie wandte das Gesicht ab.

Die Duftmusik brach plötzlich ab, und die Priesterkönige schienen sich zu bewegen, als sei ein unwägbarer Windhauch über sie hingegangen und hätte einen Haufen Herbstblätter durcheinander gewirbelt. Ich hörte sogar das überraschte Klirren der winzigen Metallwerkzeuge.

Ich vermochte die Anzeichen der Verwirrung unter den Priesterkönigen gut zu erkennen – die verblüfft wedelnden Antennen, das Hin- und Herrücken der Tragbeine, die plötzliche Neigung von Kopf und Körper, das Vorrecken der Fühler in Richtung Plattform.

Noch einmal streckte Sarm den Kopf der Mutter entgegen, und ein zweitesmal wendete sie den Kopf zur Seite.

Sie hatte ihm Gur verweigert.

Misk stand reglos vor der Plattform.

Sarm stolperte zurück und blieb erstarrt stehen. Seine Fühler schienen sich willkürlich zu bewegen. Sein ganzer Körper, das lange, schlanke, goldene Gebilde, begann zu beben.

Er hatte die natürliche Anmut seiner Rasse völlig verloren, als er sich noch einmal der Mutter zu nähern versuchte. Seine Bewegungen waren stockend, unsicher, schwerfällig.

Diesmal drehte sie schon den Kopf zur Seite, als er sich noch gär nicht über sie gebeugt hatte.

Und wieder zog sich Sarm zurück.

Jetzt waren die Reihen der Priesterkönige wieder erstarrt. Alle konzentrierten sich auf Sarm.

Langsam wandte er sich an Misk.

Er zitterte nicht mehr, sondern hatte sich zu voller Höhe aufgerichtet. Er stand vor der Plattform der Mutter, starrte Misk an, erhob sich einige Zentimeter über den Gegner und rührte sich eine Zeitlang nicht – eine Starre, wie sie sogar bei einem Priesterkönig erschreckend wirkte.

Lange Zeit musterten sich die beiden Priesterkönige, bis sich Sarms Fühler schließlich über dem Kopf zurücklegten. Sofort machte es Misk ihm nach.

Fast sofort schnappten die klingengleichen Hornkanten an den Vorderbeinen vor.

Langsam begannen sich die beiden Priesterkönige zu umkreisen – ein Ritual, das älter zu sein schien als das Fest, das hier gefeiert wurde.