»Das ist wahr«, sagte ich.
»Eines Tages werde ich mir wohl auch einen weiblichen Mul holen.« Und er fügte hinzu: »Aber ein Mädchen mit besseren Beinen.«
»Eine gute Idee.«
Al-Ka lenkte die Transportscheibe aus dem Vivarium, und wir begannen unsere Reise zu Misks Hauptquartier, wobei die Gur-Träger über uns Schritt hielten.
Ich legte den Arm um Vika. »Hast du gewußt, daß ich dich holen würde?«
Sie starrte in den dunklen Tunnel. »Nein«, sagte sie. »Ich wußte nur, daß du tun würdest, was dir gefällt.«
Später am gleichen Nachmittag trat auch Mul-Ba-Ta – jetzt nur noch Ba-Ta genannt – in Erscheinung. Er führte einen großen Trupp ehemaliger Muls an. Sie kamen aus den Weidegebieten und Funguskammern, und sie sangen ebenfalls, als sie durch die Tunnel wanderten.
Einige Männer aus den Funguskulturen trugen auf ihrem Rücken große Beutel mit ausgewählten Sporen, andere mühten sich mit riesigen Körben voll frisch geschnittenem Fungus ab, die sie an Pfählen zwischen sich trugen; die Männer von den Weiden trieben mit langen Stöcken riesige graue Gliederwesen vor sich her, das Vieh der Priesterkönige; wieder andere schleppten auf ihren Schultern die tauähnlichen Ranken der schweren Simpflanze, von der sich das Vieh ernährte.
»Wir haben bald Lampen aufgestellt«, sagte Ba-Ta. »Praktisch machen wir nur einen Umzug.«
»Wir haben ausreichend Fungus«, bemerkte einer der Fungus-fachleute, »bis wir die Sporen angebaut und großgezogen haben.«
»Was wir nicht mitnehmen konnten, haben wir verbrannt«, sagte ein anderer.
Misk starrte mich verwundert an, als sich die Männer bei mir vorstellten und weitermarschierten.
»Wir freuen uns über jede Hilfe«, sagte er, »aber ihr müßt den Priesterkönigen gehorchen.«
»Nein«, sagte einer der Männer, »wir gehorchen den Priesterkönigen nicht mehr.«
»Aber«, sagte ein anderer, »wir hören auf die Befehle Tarl Cabots aus Ko-ro-ba.«
»Ich meine, ihr wärt gut beraten, wenn ihr euch aus diesem Krieg zwischen den Priesterkönigen heraushaltet.«
»Euer Krieg ist unser Krieg«, sagte Ba-Ta.
»Ja«, fiel einer der Weidesklaven ein, der seinen Hirtenstab wie einen Speer hielt.
Ein Funguswächter sah Misk an. »Wir sind im Nest geboren«, sagte er, »und es gehört uns ebenso wie euch.«
Misks Fühler krümmten sich.
»Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, schaltete ich mich ein.
»Ja«, sagte Misk.
Und so kam es, daß ehemalige Muls, Menschen, die grundlegende Nahrungsvorräte des Nestes mitbrachten, zur Seite des Priester-königs Misk und seiner wenigen Getreuen überzulaufen begannen.
In Anbetracht der vielen Nahrungsmittel, die Sarm zur Verfügung hatte, hing der Ausgang der Schlacht weitgehend von der Feuerkraft der Silberröhren ab, von denen Misk nur wenige hatte; aber ich hoffte, daß die Fähigkeiten und der Mut der ehemaligen Muls doch noch zum Kampf beitragen konnten.
Wie Al-Ka prophezeit hatte, flammten die Energielampen des Nests bald wieder auf. Ehemalige Mul-lngenieure, von Priesterkönigen ausgebildet, hatten eine Hilfskraftstation konstruiert und sie an das Hauptsystem angeschlossen.
Als es hell wurde, herrschte großer Jubel unter den Menschen in Misks Lager – mit Ausnahme der Gur-Träger, für die die Energie –lampen nicht weiter von Bedeutung waren.
Angetan von der Härte des Plastikbaustoffes, den ich im Vivarium kennengelernt hatte, wandte ich mich an Misk. Zusammen rüsteten wir eine Flotte von Transportscheiben mit Plastikpanzern aus, die mit einer fest eingebauten Silberröhre zu einer unschlagbaren Angriffswaffe wurde. Sogar dem Gegenfeuer anderer Silberröhren hielt das Plastik stand, wenn es nicht zu lange den direkten Strahlen ausgesetzt war.
In der dritten Kriegswoche begannen wir mit unseren gepanzerten Transportscheiben die Kämpfe in das Gebiet Sarms zu tragen. Unsere Spionageorganisation war weitaus besser, und das System der Ventilationsschächte erlaubte es den schnellen Männern aus den Funguskulturen und den unheimlichen Gur-Trägern, in jeden gewünschten Teil des Nests vorzudringen. Außerdem waren alle früheren Muls in duftfreie Tuniken gekleidet, was sie der Wahrnehmung der gegnerischen – wie auch der eigenen – Priesterkönige völlig entzog.
Dies barg seine Gefahren; deshalb gingen Misks Priesterkönige – im Anfang widerwillig, dann aber mit Begeisterung – dazu über, sich auf Brust und Rücken einen großen Buchstaben malen zu lassen, den Buchstaben, der im Goreanischen den Anfangsbuchstaben des Namens Misk bildet. Es konnte passieren, daß ein Priesterkönig ahnungslos wenige Zentimeter an einem Kämpfer aus den Fungushöhlen vorbeiging oder sonstwie in die Nähe von Menschen geriet, die er geruchsmäßig nicht wahrnahm. Da wurde durch die Kennzeichnung jede Fehlreaktion ausgeschlossen.
Zusammen bildeten die Menschen und die Miskschen Priesterkönige nun eine kampfstarke Streitmacht. Was den Wahrnehmungen der Fühler entging, wurde von scharfäugigen Menschen bestimmt wahrgenommen.
Und im Verlauf des Kampfes wuchs auch der gegenseitige Respekt, und man begann sich immer mehr aufeinander zu verlassen – die beste Grundlage für eine nachhaltige Freundschaft.
Tatsächlich bestand Sarms größter Fehler in diesem Krieg darin, daß er die Muls so ungnädig behandelte.
Als er merkte, daß die Gur-Träger und die Muls aus den Funguskammern und Weidenhöhlen zu Misk überliefen, sah er automatisch alle Muls im Nest als Feinde an – eine Haltung, die ich nicht begriff. Entsprechend machte er sich an die systematische Vernichtung aller Muls, die zufällig in den Bereich seiner Silberröhren gerieten. Dies trieb weitere Muls, die vielleicht gleichgültig geblieben wären oder ihm gern weiter gedient hätten, auf unsere Seite.
Mit diesen neuen Muls, die nun aus dem eigentlichen Nestbereich stammten, kamen auch neue Fähigkeiten und Talente. Außerdem erfuhren wir, daß Sarms Nahrungsvorräte nicht so groß waren, wie wir angenommen hatten: Angeblich ernährten sich auch die Priesterkönige schon von einfachem Fungus, den sonst nur Muls vorgesetzt bekamen.
Gerüchten zufolge hatte Sarm nur die Muls nicht umgebracht, die ein Netz eingepflanzt bekommen hatten. Zu diesen gehörte Parp, den ich bei meinem Eintritt in das Reich der Priesterkönige kennengelernt hatte.
Einen der großartigsten Einfälle hatte Misk, der mich mit einem ganz anderen Gebiet fortschrittlicher Technik bekannt machte: »Wäre es nicht ganz nützlich, wenn unsere gepanzerten Transportscheiben fliegen könnten?« fragte er.
Ich dachte, er mache Witze, aber ich antwortete: »Ja, das wäre sehr nützlich.«
»Dann sorgen wir dafür. Du hast doch sicher die ungewöhnliche Leichtigkeit der Transportscheiben bemerkt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Das liegt daran, daß sie aus einem teilweise schwerkraftabstoßenden Metall gebaut sind.«
Ich lachte.
»Warum erheiterst du dich?« fragte Misk.
»Weil es solch ein Metall nicht geben kann.«
»Aber denk an die Transportscheibe!«
Ja, darum kam ich nicht herum.
»Auf deiner alten Welt«, sagte Misk, »ist die Schwerkraft ein ebenso unerforschtes Naturphänomen, wie es die Elektrizität und der Magnetismus früher waren – beide Gebiete beherrscht ihr nun einigermaßen – und wir Priesterkönige beherrschen bis zu einem gewissen Grade die Schwerkraft.«
»Man kann die Schwerkraft nicht kontrollieren«, sagte ich. »Die Prinzipien sind anders; es ist eine Kraft, mit der man rechnen muß.«
»Was ist Schwerkraft?« fragte Misk.
Ich überlegte eine Zeitlang. »Ich weiß es nicht«, sagte ich schließlich.
»Aber ich«, sagte Misk. »Machen wir uns an die Arbeit.«
In der vierten Woche des Nestkrieges war unser Schiff ausgerüstet und bewaffnet. Ich fürchte, das Fahrzeug war recht primitiv, abgesehen von den Prinzipien, nach denen es funktionierte und die einem Stand der Technik entsprachen, wie er auf der Erde noch unbekannt war. Das Schiff war schlicht eine Transportscheibe, deren Unterseite mit Käfigplastik überzogen war und deren Oberseite aus einer durchsichtigen Kuppel des gleichen Materials bestand. Die Kontrollen befanden sich im vorderen Teil des Schiffes. Propeller oder Düsen oder Raketen gab es nicht, so daß ich Mühe haben werde, den Antrieb zu beschreiben. Jedenfalls wurden die Kräfte der Schwerkraft auf solche Weise gegen sich selbst eingesetzt, daß die »Menge« des Gravitations-Ur – der goreanische Ausdruck für die Schwerkrafteinheit – konstant bleibt, auch wenn sie neuverteilt wird. Kurz gesagt funktionierte das kombinierte Antriebs- und Lenksystem der Scheibe so, daß Gravitationssensoren auf bestimmte materielle Objekte gerichtet und die Schwerkraftanziehung dieser Objekte ausgenutzt wurde, während die Anziehung anderer Objekte effektiv zur Abschirmung kam. Ich hätte eine solche Konstruktion nicht für möglich gehalten, doch hätte ich Mühe gehabt, die Argumente meiner überholten irdischen Physik gegen die Tatsache von Misks Erfolg zu verteidigen.