Entsprechend gab Sarm überall im Nest eine Amnestie für die früheren Muls bekannt und bot ihnen die Gelegenheit, wieder Sklaven der Priesterkönige zu werden. Diesem großzügigen Angebot, das er selbst wohl für nicht gerade unwiderstehlich hielt, fügte er noch das Versprechen auf zwei Töpfe Salz pro Mann und zwei weibliche Muls an, die nach Misks Niederlage zur Verfügung gestellt werden sollten, wenn es hoffentlich Frauen zürn Verteilen geben würde. Den Frauen in Misks Streitkräften bot er Gold, Juwelen, Edelsteine und Seidenstoffe, die Erlaubnis, ihr Haar wachsen zu lassen, und männliche Sklaven. Und er wies darauf hin, daß in Anbetracht seiner überlegenen Kampfkraft der Ausgang des Krieges eigentlich schon feststand.
Zwar hätte ich Misk auf keinen Fall im Stich gelassen, doch ich musste mir eingestehen, daß Sarm mit seiner Einschätzung der Lage wahrscheinlich recht hatte und daß seine Angebote einigen ehemaligen Muls durchaus interessant vorkommen mussten – besonders jenen, die vor Ausbruch des Krieges wichtige Posten innegehabt hatten.
So hätte es mich nicht überraschen dürfen, daß mir als erster Überläufer Vika aus Treve vor die Augen kam – aber ich war dennoch überrascht.
Ich erfuhr davon, als ich eines Morgens in meinen Fesseln vom scharfen Biss einer Lederpeitsche geweckt wurde. Wütend rappelte ich mich auf.
Dann hörte ich ihr Lachen und wusste Bescheid.
Vika schüttelte den Schleier von ihrem Gesicht, warf den Kopf zurück und lachte. Dann schlug sie mich ein zweites Mal.
»Na«, zischte sie, »wer ist jetzt der Herr?«
»Ich hatte recht mit meiner Meinung über dich«, sagte ich ruhig.
»Was meinst du?« fragte sie.
»Du bist es nicht wert!« sagte ich.
Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, und sie begann auf mich einzuschlagen.
»Du darfst ihn nicht verletzen«, sagte Sarm, der hinter ihr stand.
»Er ist mein Sklave!« sagte sie heftig atmend.
Sarm krümmte seine Fühler. »Du bekommst ihn erst, wenn wir gesiegt haben«, sagte er. »Bis dahin habe ich noch Pläne mit ihm.«
Vika machte auf dem Absatz kehrt und verließ Sarms Hauptquartier.
Sarm trat zu mir. »Du siehst, Mul, wie wir Priesterkönige die Instinkte der Menschen auszunutzen verstehen.«
»Ja«, sagte ich.
Mehr noch als die Peitschenschläge schmerzte mich die Erkenntnis, daß mich Vika trotz meines realen Urteils enttäuscht hatte.
Sarm näherte sich einer Kontrolltafel. »Ich aktiviere jetzt dein Kontrollnetz«, sagte er.
Ich spannte meine Muskeln.
»Die einleitenden Versuche sind ganz einfach«, sagte Sarm, »und interessieren dich vielleicht.«
Parp hatte den Raum betreten und stellte sich neben mich, wobei er an seiner Pfeife zog. Ich sah, daß er sein Übersetzungsgerät abschaltete.
Sarn drehte einen Knopf.
»Schließ die Augen«, flüsterte Parp.
Ich spürte keinen Schmerz. Sarm starrte mich an.
»Vielleicht mehr Energie«, sagte Parp laut, so daß seine Worte von Sarms Übersetzer aufgefangen wurden.
Sarm betätigte noch einmal den Knopf.
»Schließ die Augen«, flüsterte Parp etwas lauter.
Aus irgendeinem Grund gehorchte ich.
»öffne sie.«
Ich gehorchte.
»Senkeden Kopf.«
Ich gehorchte.
»Jetzt den Kopf im Uhrzeigersinn drehen«, sagte Parp. »Und jetzt entgegengesetzt.«
Verwundert befolgte ich seine Kommandos.
»Du bist bewußtlos gewesen«, informierte mich Parp. »Jetzt stehst du nicht mehr unter Kontrolle.«
Ich drehte mich um und sah, daß Sarm die Maschine abgestellt hatte.
»Woran erinnerst du dich?« fragte Sarm.
»An nichts.«
»Die Sensorendaten überprüfen wir später«, sagte der Priesterkönig.
»Die ersten Reaktionen sind sehr viel versprechend«, bemerkte Parp laut.
»Ja«, erwiderte Sarm. »Du hast ausgezeichnet gearbeitet.« Und er verließ den Raum.
Ich wandte mich an Parp, der mich anlächelte. »Du hast mich nicht eingepflanzt.«
»Natürlich nicht.«
»Was ist mit Kusk?«
»Er gehört zu uns.«
»Aber wieso?«
»Du hast seine Kinder gerettet.«
»Aber er hat doch gar keine Kinder.«
»Al-Ka und Ba-Ta«, sagte Parp. »Glaubst du, ein Priesterkönig kann nicht lieben?«
Nun fiel mir mein Aufenthalt auf der Gummischeibe nicht mehr so schwer.
Ich erfuhr aus Gesprächen im Hauptquartier, daß nur wenige Menschen zu Sarm übergelaufen waren. Soweit ich mitbekam, hatte sich nur eine Handvoll Männer und Frauen von Sarms Versprechungen anlocken lassen. Auch als Sarm die Kammersklavinnen aus der Halle der Priesterkönige holen ließ und als Lockpreise aussetzte, meldete sich nur etwa ein halbes Dutzend Männer, um Anspruch auf. die hübschen Mädchen zu erheben. Im Verlaufe des Krieges beeindruckte mich die Loyalität und der Mut der Männer und Frauen im Dienste Misks – Menschen, die für ein wenig Fungus und Wasser und Freiheit in einen der seltsamsten Kriege aller Zeiten eingriffen.
Vika kam jeden Tag ins Hauptquartier, um mich zu verhöhnen, doch sie durfte mich nicht mehr auspeitschen. Ich vermutete, daß es einen Grund für ihren Hass gab, dessen Intensität mich aber überraschte.
Später erhielt sie den Auftrag, für meine Ernährung zu sorgen, und fand großen Spaß daran, mir Fungusbrocken hinzuwerfen oder mich Wasser schlecken zu lassen. Ich verweigerte ihre Gaben nicht, da ich bei Kräften bleiben wollte. Man wusste nie, wozu man das noch brauchen konnte.
Bei diesen Anlässen war auch oft Sarm zugegen, der uns mit vorgestreckten Fühlern beobachtete. Er schien sich schnell an den neuen weiblichen Mul zu gewöhnen und bat sie manchmal auch, ihn zu kämmen – eine Aufgabe, die ihr Spaß zu machen schien.
Aus irgendeinem Grunde irritierte mich das, was ich zweifellos nur schlecht verhehlte, denn sie kümmerte sich stets mit großer Bereitwilligkeit um den Priesterkönig.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß ich sie gern in die Arme genommen hätte – doch ich schüttelte diese Sehnsüchte ab.
Inzwischen begann sich das Kriegsgeschick langsam gegen Sarm zu wenden – eine unglaubliche Entwicklung. Das bemerkenswerteste Einzelereignis der folgenden Tage war eine Delegation von Sarms Priesterkönigen, die unter Leitung Kusks zu Misk überlief. Diese Tat war offensichtlich das Ergebnis langwieriger Überlegungen und Gespräche im Kreise der betroffenen Priesterkönige, die Sarm gefolgt waren, weil er der Erstgeborene war, die aber seither viel an seiner Kriegführung auszusetzen hatten – die Behandlung der Muls, den Einsatz der Schwerkraftkanonen, die Verwendung von Krankheitserregern und schließlich der – für Priesterkönige undenkbare – Trick mit den Goldenen Käfern. Kusk und seine Priesterkönige liefen zu einer Zeit über, da die eigentlichen Kämpfe noch unentschieden waren, so daß sich nicht behaupten ließ, daß ihre Entscheidung von persönlichen Interessen bestimmt war; zu der Zeit sah es noch ganz so aus, als liefen sie zur Verliererseite über. Aber es dauerte nicht lange, bis auch andere Priesterkönige, von Kusks Entscheidung überrascht, eine Beendigung des Krieges zu fordern begannen, und es gab weitere Überläufer. In seiner Verzweiflung trommelte Sarm seine Streitkräfte zusammen, rüstete sechs Dutzend Transportscheiben aus und stieß in Misks Tunnelsystem vor. Offenbar hatte dieser auf eine solche Attacke gewartet, denn die Scheiben zerschellten an Barrikaden oder vergingen im intensiven Feuer versteckter Stellungen. Nur vier Gleiter kehrten zurück.
Es wurde nun deutlich, daß Sarm in die Defensive gedrängt worden war, denn ich hörte Befehle, wonach Tunnel zu blockieren waren, die in seine Gebiete führten. Einmal hörte ich das Zischen von Silberröhren – nur wenige hundert Meter entfernt. Verzweifelt lehnte ich mich gegen den eisernen Griff meiner Fesseln auf. Hilflos musste ich miterleben, wie der Krieg in den Straßen draußen ohne mich entschieden wurde.
Dann trat eine Ruhepause ein, und ich vermutete, daß Sarms Streitkräfte zurückgetrieben worden waren. Nun begann sich auch der Mangel an Nahrungsmitteln bemerkbar zu machen; meine Rationen fielen immer spärlicher aus.