»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte der Ältere Tarl, und Torrn nickte.
»Und ich dir.«
Er wandte sich um und marschierte davon, ohne ein weiteres Wort zu sagen, und zerrte den kleinen Schriftgelehrten hinter sich her, der offenbar noch etwas sagen wollte.
Ich winkte ihm nach.
Dann wandte ich mich um und sah zum Sardargebirge hinüber.
Wieder war ich allein.
Es gab nur wenige Menschen auf Gor, die meine Geschichte glauben würden – und das war vielleicht gut so. Und vielleicht würde mir sogar auf meinem Heimatplaneten kein Glauben geschenkt. Hätte ich es nicht selbst erlebt, wüsste ich nicht, wovon ich spreche – ob ich mir glauben würde? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Und die Antwort lautet: Nein. Warum habe ich meine Abenteuer also niedergeschrieben? Ich weiß es nicht, außer daß ich vielleicht das Gefühl hatte, sie wären der Aufzeichnung wert, ob man mir nun glaubt oder nicht.
Es gibt nicht mehr viel zu berichten.
Ich hielt mich noch einige Tage im Schatten der Berge auf, im Lager einiger Männer aus Tharna, die ich vor einigen Monaten schon gesprochen hatte.
Diese Männer, zumeist Silberkaufleute, waren zum Herbstmarkt, dem Se’Var-Markt gekommen, der gerade zur Zeit der Schwerkraftschwankungen beginnen sollte. Ich genoß ihre Gastfreundschaft, während ich Delegationen aus verschiedenen Städten besuchte, wie sie zu jedem Markte eintreffen.
Systematisch fragte ich die Menschen aus diesen Städten nach dem Verbleib Talenas, in der Hoffnung, einen Hinweis zu erhalten, der mich zu ihr führte – und wenn es sich nur um die trunkene Erinnerung eines Herdenwächters handelte, oder einer der Männer eine Frau ihres Aussehens in irgendeiner Schenke Port-Kars oder Cos’ gesehen hatte.
Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich fand keine Spur.
Und damit ist dieser Bericht so gut wie abgeschlossen.
Bis auf ein letztes Ereignis, das ich nicht auslassen darf.
35
Es geschah spätnachts.
Ich hatte mich einer Gruppe aus Ar angeschlossen. Wir hatten den Markt Se’Var verlassen und ritten um das Sardargebirge herum, ehe wir den Vosk überquerten. Nun hatten wir unser Nachtlager aufgeschlagen.
Noch waren wir in Sichtweite des zerklüfteten Gebirges.
Es war eine kalte, windige Nacht, und die drei Monde Görs standen hell am Himmel.
»Bei den Priesterkönigen!« rief plötzlich ein Mann und deutete auf einen Felsvorsprung.
Wir sprangen mit gezogenen Schwertern auf.
Etwa zweihundert Meter über dem Lager, in Richtung Sardargebirge, zeigte sich eine seltsame Gestalt.
Erstaunte Ausrufe wurden laut. Die Männer schüttelten sich entsetzt.
»Töten wir das Ding!« riefen sie.
Ich steckte mein Schwert ein, denn ich wusste Bescheid.
»Wartet hier!« brüllte ich und lief durch das kleine Tal und begann den Hang zu erklimmen.
Die goldenen Augen starrten in meine Richtung. Die Antennen, vom Wind zerzaust, richteten sich auf mich. Auf der linken Augenscheibe erkannte ich die weiße Narbe, an der Sarm schuld war.
»Misk!« rief ich und stürzte auf den Priesterkönig zu, der mir sanft die Fühler in die Hände legte. »Du hast unsere Welt gerettet!«
»Sei gegrüßt, Tarl Cabot«, tönte es aus Misks Übersetzungsgerät.
In dieser Nacht erfuhr ich, wie die Dinge im Nest standen. Es würde noch lange dauern, bis der alte Zustand wiederhergestellt wäre, bis der Beobachtungsraum wieder in Betrieb genommen werden konnte und die Priesterkönige wieder zur Ruhe kamen. Doch Menschen und Priesterkönige waren am Werk – gemeinsam, wie Misk betonte.
Die Schiffe, die das Sardargebirge verlassen hatten, waren inzwischen zurückgekehrt. Wie ich befürchtet hatte, waren die unverhofften Abgesandten aus dem gefürchteten Gebirge nicht willkommen geheißen worden – besonders nicht von den Wissenden, die großen Einfluss in den Städten ausübten. Da Schiffe dieser Art als verboten galten, waren sie und ihre Insassen sogar angegriffen worden – im Namen eben jener Priesterkönige, die den Besatzungen die Möglichkeit zur Flucht gegeben hatten. Schließlich waren die Menschen, die an der Oberfläche bleiben wollten, abgesetzt worden, während die übrigen ins Nest zurückkehrten, um am Wiederaufbau teilzunehmen.
Ich erfuhr auch, daß Sarm in der Kammer der Mutter verbrannt worden war, wie es den Riten der Priesterkönige entsprach.
Misk schien ihm sein Verhalten nicht nachzutragen.
Das erstaunte mich, bis mir einfiel, daß auch ich keinen Groll gegen Sarm hegte, der von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt Agewesen war.
»Was ist mit dem jungen Männchen?« fragte ich. »Ist er vernichtet worden?«
»Nein«, sagte Misk. »Es ist alles in Ordnung mit ihm.«
Aus irgendeinem Grunde freute mich diese Nachricht. Vielleicht erleichterte mich die Erkenntnis, daß das Sterben irgendwo eine Grenze gefunden hatte.
»Hast du die Goldenen Käfer töten lassen?«
Misk richtete sich auf. »Natürlich nicht.«
»Aber sie werden andere Priesterkönige umbringen.«
»Wer bin ich denn, zu entscheiden, wie ein Priesterkönig leben Asoll – oder sterben?«
Darauf wusste ich keine Antwort.
»Es tut mir leid, daß ich nicht erfahren habe, wo jenes letzte Ei versteckt ist – aber dieses Geheimnis ist mit der Mutter gestorben. Nun ist auch die Rasse der Priesterkönige zum Tode verurteilt.«
Ich sah ihn an. »Die Mutter hat mit mir gesprochen. Sie wollte mir das Versteck des Eis sagen, brachte es aber nicht mehr heraus.«
Plötzlich war Misk erstarrt, als lauschte er auf eine ferne Stimme.
»Was hast du erfahren?« tönte es aus dem kleinen Lautsprecher.
»Sie sagte mir nur, daß ich mich den Wagenvölkern anschließen sollte.«
Misk bewegte nachdenklich die Fühler. »Dann muß es sich bei den Wagenvölkern befinden – oder sie kennen das Versteck.«
»Aber das Ei müsste längst verdorben sein.«
Misk sah mich ungläubig an. »Es ist ein Ei der Priesterkönige«, sagte er.
Dann senkte er traurig die Fühler. »Aber natürlich kann es zerstört worden sein.«
»Wahrscheinlich.«
»Zweifellos.«
»Aber du bist nicht sicher«, sagte ich.
»Nein.«
»Du könntest Eingepflanzte losschicken.«
»Es gibt keine Eingepflanzten mehr«, sagte Misk. »Wir haben sie zurückgerufen und entfernen die Kontrollnetze. Sie dürfen in ihre Städte zurückkehren, können aber auch im Nest bleiben, wenn ihnen das lieber ist.«
»Damit gebt ihr freiwillig ein wertvolles Überwachungsinstrument aus der Hand.«
»Ja.«
»Aber warum?«
»Es ist nicht richtig, vernunftbegabte Wesen mit einem Netz zu versehen.«
»Ich glaube, da hast du recht.«
»Der Beobachtungsraum wird in nächster Zeit nicht in Betrieb genommen – und auch dann werden wir nur im Freien arbeiten können.«
»Wenn ihr eure alte Macht wiedergewonnen habt – was wollt ihr damit tun? Wollt ihr dem Menschen auf bestimmten Gebieten weiter Vorschriften machen?«
»Bestimmt sogar.«
Ich schwieg.
»Wir müssen uns und die Menschen, die bei uns leben, schützen«, sagte Misk.
Ich starrte den Hügel hinab, sah das Lagerfeuer in der Dunkelheit flackern, sah die Gestalten, die sich daran wärmten und zu uns heraufstarrten.
»Was ist mit dem Ei?« fragte Misk.
»Ja, was ist damit?«
»Ich kann nicht selbst auf die Suche gehen. Ich werde im Nest gebraucht, außerdem vertrage ich die Sonne nicht – deshalb bin ich in der Nacht unterwegs.«
»Also musst du dir einen Menschen suchen.«
»Was wäre mit dir, Tarl Cabot?« fragte er.
»Die Angelegenheiten der Priesterkönige gehen mich nichts an.«
Misk trat unruhig hin und her. »Natürlich«, sagte er.
Wenn ich Misk zu helfen versuchte – was bedeutete das? Hieß es nicht, daß ich damit auf alle Ewigkeit meine Spezies den Launen von Wesen wie Sarm und ihren Anhängern auslieferte? Oder trug es dazu bei, daß meine Rasse letztlich geschützt lebte, bis sie gelernt hatte, mit sich allein auszukommen, bis sie die wahre Reife erreicht hatte und sich zusammen mit den Wesen, die sich Priesterkönige nannten, einer gemeinsamen Welt und der dahinterliegen-den Galaxis widmen konnte?