Am nächsten Tag brachen wir das Lager frühzeitig ab und marschierten mit nur einem einzigen Halt bis kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Zwei Ereignisse unterbrachen unseren eintönigen Marsch. Gegen Mittag erspähten wir weit zu unserer Rechten etwas ähnliches wie einen Inkubator, worauf Lorquas Ptomel Tars Tarkas aussandte, um ihn zu erforschen. Dieser wählte wiederum ein Dutzend Krieger, darunter auch mich, aus, und wir stürmten über den samtigen Moosteppich auf die kleine Eingrenzung zu.
Es war tatsächlich eine Brutstation, doch waren die Eier im Vergleich mit denen, die ich bei meiner Ankunft beim Ausbrüten beobachtet hatte, sehr klein.
Tars Tarkas saß ab, untersuchte eingehend die Eingrenzung und verkündete schließlich, die Station gehöre den grünen Menschen von Warhoon, der Zement an der Außenmauer sei noch nicht getrocknet.
»Sie müssen kaum einen Tagesmarsch vor uns sein«, rief er aus, und Kampfesfreude malte sich auf sein grimmiges Gesicht.
Unser Aufenthalt bei der Brutstation war von kurzer Dauer. Die Krieger rissen den Eingang auf, einige krochen hinein und hatten mit den kurzen Schwertern bald alle Eier zerstört. Wir saßen wieder auf und gesellten uns zur Karawane. Unterwegs ergriff ich die Gelegenheit beim Schöpfe und fragte Tars Tarkas, ob diese Warhoon, deren Eier wir zerstört hatten, ein kleinwüchsigeres Volk seien als die Thark.
»Ich habe bemerkt, daß ihre Eier viel kleiner waren als jene, die ich in eurer Brutstation beim Schlüpfen beobachtet habe«, fügte ich hinzu.
Er erklärte mir, daß die Eier gerade abgelegt worden seien, wie alle Eier der grünen Marsmenschen aber im Laufe der fünfjährigen Brutzeit noch wachsen würden, bis sie die Größe jener Eier erreicht hatten, wie ich sie am Tage meiner Ankunft auf Barsoom gesehen hatte. Das war wirklich interessant, denn es hatte mich verblüfft, daß die grünen Marsfrauen, wie groß sie auch waren, solche riesigen Eier hervorbrachten, aus denen ich die vierfüßigen Kinder hatte zum Vorschein kommen sehen. In Wirklichkeit ist das neugelegte Ei nur wenig größer als ein gewöhnliches Gänseei, und da es erst zu wachsen beginnt, wenn man es dem Sonnenlicht aussetzt, ist es für die Befehlshaber nicht sehr schwer, mit einem Ritt einige Hundert von ihnen aus den Gewölben, in denen sie lagern, zu den Brutstationen zu transportieren.
Kurz nach dem Zwischenfall mit den Warhoon-Eiern machten wir halt, damit sich die Tiere ausruhen konnten. Dabei kam es zu dem zweiten interessanten Vorkommnis des Tages. Ich war gerade dabei, die Reitutensilien von einem meiner Thoats auf das zweite zu packen, da ich die Strecke immer zwischen ihnen aufteilte, als Zad herankam und meinem Tier mit dem langen Schwert wortlos einen schrecklichen Schlag versetzte.
Ich benötige keinen Leitfaden zu der auf dem Mars üblichen Etikette um zu wissen, wie ich darauf zu reagieren hatte. Eigentlich war ich so wütend, daß ich mich kaum zurückhalten konnte, meine Pistole zu ziehen und den Grobian niederzuschießen, doch er wartete mit gezogenem Schwert, und ich hatte nur die einzige Möglichkeit, mein eigenes zu ziehen und ihm einen fairen Kampf zu liefern, und zwar mit der von ihm gewählten oder einer kleineren Waffe.
Letzteres ist immer erlaubt, deswegen hätte ich je nach Lust und Laune das Kurzschwert, den Dolch, das Kriegsbeil oder die Fäuste wählen können und dem Recht völlig Genüge getan. Hingegen durfte ich nicht zu Schußwaffen oder zum Speer greifen, wenn er nur ein langes Schwert in der Hand hielt.
Ich entschied mich für dieselbe Waffe, denn ich wußte, daß er auf ihre Handhabung besonders stolz war, und wenn schon, dann wollte ich ihn mit seiner eigenen Waffe schlagen. Der nun folgende Kampf dauerte lange, wodurch sich der Weitermarsch um eine Stunde verschob. Die gesamte Gemeinschaft scharte sich um uns, und ließ uns dabei einen Freiraum von etwa einhundert Fuß Durchmesser.
Zuerst versuchte Zad, mich niederzustampfen wie ein Bulle den Wolf, doch war ich viel zu schnell für ihn und wich aus. Wenn er dann an mir vorbeistürzte, versetzte ich ihm mit dem Schwert jedes Mal einen leichten Schlag auf Arm oder Rücken. Bald blutete er aus einem halben Dutzend kleinerer Wunden, doch kam ich nicht dazu, ihn ernsthaft zu verletzen. Dann änderte er seine Taktik, kämpfte vorsichtig und äußerst geschickt und versuchte, mit Verstand zu erreichen, was er mit brutaler Kraft nicht hatte ausrichten können. Ich muß zugeben, daß er ein ausgezeichneter Schwertkämpfer war, und hätte ich nicht größere Ausdauer besessen und die außergewöhnliche Beweglichkeit, wie sie mir der Mars verlieh, hätte ich ihm nicht einen derart würdigen Kampf liefern können.
Eine Zeitlang umkreisten wir uns, ohne einander Schaden zuzufügen. Die langen, spitzen Schwerter gleißten im Sonnenlicht und durchbrachen die Stille beim Aufeinandertreffen mit einem metallischen Klang. Als Zad bemerkte, daß er schneller ermüdete als ich, beschloß er, den Kampf durch einen letzten ruhmvollen Schlag für sich zu beenden, und als er auf mich zustürmte, blendete mich etwas, so daß ich sein Näherkommen nicht sehen und nur blindlings zu Seite springen konnte, um der mächtigen Klinge zu entgehen, die ich schon in mir spürte. Ich hatte nur zum Teil Erfolg, wie mir ein scharfer Schmerz in der linken Schulter zeigte, aber als mein Blick suchend umherschweifte, um meinen Gegner erneut ausfindig zu machen, bot sich meinen Augen eine Szene, die mich für die Wunde entschädigte, die ich der zeitweiligen Blendung zu verdanken hatte. Drei Gestalten waren auf Dejah Thoris’ Kutsche geklettert, um den Kampf über die Köpfe der Thark hinweg mitzuverfolgen. Es waren Dejah Thoris, Sola und Sarkoja, und was ich nun sah, grub sich tief in mein Gedächtnis ein, so daß ich es mein Lebtag nicht vergessen sollte.
Genau in dem Moment fiel Dejah Thoris wütend wie eine junge Tigerin über Sarkoja her und schlug ihr einen Gegenstand aus der erhobenen Hand, der im Sonnenlicht aufblitzte, als er auf dem Boden aufschlug. Nun verstand ich, was mich in diesem entscheidenden Moment des Kampfes geblendet hatte, und welchen Weg Sarkoja gefunden hatte, mich zu töten, ohne selbst Hand anzulegen. Dann erlebte ich noch etwas, was mich fast das Leben kostete, denn es nahm für den Bruchteil eines Augenblicks meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Als Dejah Thoris Sarkoja den winzigen Spiegel aus der Hand stieß, zog Sarkoja mit haßerfülltem Gesicht wutentbrannt den Dolch, um Dejah Thoris einen tödlichen Stoß zu versetzen. In diesem Moment warf sich Sola, unsere liebe und treue Sola, dazwischen, und ich sah als letztes das große Messer über ihrer Brust niedergehen.
Inzwischen hatte sich mein Feind von dem Hieb erholt und forderte erneut meine ganze Konzentration, so daß ich mich widerwillig meiner unmittelbaren Gegenwart widmen mußte, obwohl ich nicht bei der Sache war.
Wütend drangen wir immer wieder aufeinander ein, bis ich plötzlieh die scharfe Spitze seines Schwertes auf meiner Brust spürte. Ich hatte den Schlag weder parieren noch ihm ausweichen können, so daß ich mich mit ausgestrecktem Schwert und dem ganzen Gewicht auf ihn warf, fest entschlossen, wenigstens nicht allein zu sterben. Ich fühlte den Stahl in meine Brust dringen, mir wurde schwarz vor Augen, in meinem Kopf drehte sich alles, und ich spürte, wie die Knie unter mir nachgaben.
15. Solas Geschichte
Als ich das Bewußtsein wiedererlangte –, wie ich bemerkte, mußte ich nur kurze Zeit besinnungslos gewesen sein –, sprang ich auf und suchte nach meinem Schwert. Es steckte bis zum Heft in Zads Brust, der entseelt auf dem ockerfarbenen Moos des ehemaligen Meeresbodens lag. Wieder Herr meiner Sinne, stellte ich fest, daß seine Waffe in meine linke Brust gefahren war, doch hatte sie nur das über den Rippen liegende Muskelgewebe verletzt und kam unterhalb der Schulter wieder heraus. Bei meinem Sprung hatte ich mich gedreht, so daß das Schwert lediglich eine schmerzhafte, aber ungefährliche Fleischwunde hinterlassen hatte.