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»Ist dein Vater nun bei uns, Sola?« fragte ich.

»Ja, aber er kennt mich nicht und weiß auch nicht, wer meine Mutter an Tal Hajus verraten hat«, entgegnete sie. »Ich allein kenne seinen Namen, und nur ich, Tal Hajus und Sarkoja wissen, daß sie die Geschichte preisgegeben hat, die letztendlich seiner Geliebten Qual und Tod brachten.«

Wir schwiegen kurze Zeit, sie voll düsterer Gedanken über ihre schreckliche Vergangenheit, ich voller Mitleid für die armen Kreaturen einer Rasse, deren herzlose und unsinnige Bräuche sie zu einem lieblosen Dasein voller Grausamkeit und Haß verdammten. Dann hub sie erneut an: »John Carter, wenn jemals ein echter Mann die kalte, tote Oberfläche des Mars betreten hat, bist du es. Ich weiß, daß ich dir vertrauen kann, und da dieses Wissen eines Tages dir, ihm, Dejah Thoris oder mir helfen kann, will ich dir sagen, wer mein Vater ist, ohne dir Einschränkungen oder Bedingungen aufzuerlegen. Ist die Zeit reif, dann sage die Wahrheit, sofern du es für richtig hältst. Ich vertraue dir, da ich weiß, daß du nicht zu jener absoluten und unerschütterlichen Treue verdammt bist, sondern lügen würdest, wie es jeder Gentleman von Virginia tun würde, wenn diese Lüge anderen Leid und Leiden ersparte. Der Name meines Vaters ist Tars Tarkas.«

16. Fluchtpläne

Der Rest der Reise nach Thark verlief ohne weitere Vorkommnisse. Wir waren zwanzig Tage unterwegs und passierten zwei ausgetrocknete Meere sowie zahlreiche verfallene Städte, wovon die meisten kleiner als Korad waren. Zweimal überquerten wir die berühmten Wasserwege des Mars, von unseren Astronomen auf der Erde auch Marskanäle genannt. Als wir uns diesen näherten, wurde ein Krieger mit einem starken Feldstecher ausgesandt, um nach größeren Truppen roter Marsmenschen Ausschau zu halten. Heimlich schlichen wir uns heran, so weit es ging, und da wir unbemerkt bleiben wollten, machten wir bis zum Einbruch der Dunkelheit Rast und bewegten uns erst dann langsam auf das kultivierte Land zu. Auf einer der zahlreichen, breiten Straßen, die dieses Gebiet in regelmäßigen Abständen kreuzten, stahlen wir uns vorsichtig an das unfruchtbare Gelände auf der anderen Seite heran. Wir brauchten ohne Pause fünf Stunden bis zur nächsten Kreuzung, und der Marsch zur nächsten nahm die ganze Nacht in Anspruch. Es wurde bereits hell, als wir die von hohen Mauern eingegrenzten Felder verließen.

Beim Marsch im Dunkeln konnte ich nicht das geringste erkennen, immer nur dann, wenn der erste Mond forsch seine unablässige Bahn über den Himmel von Barsoom zog, dabei zeitweise kleine Flecken der Umgebung, eingegrenzte Felder sowie flache, unregelmäßig gebaute Gebäude erhellte, die fast so aussahen wie auf der Erde unsere Farmen. Hier wuchsen viele Bäume, man hatte sie in regelmäßigen Abständen angepflanzt. Einige davon waren von stattlicher Größe. In manchen Gehegen stand Vieh, das seine Anwesenheit durch erschrecktes Schreien und Schnauben zu erkennen gab, sobald es die sonderbaren wilden Tiere und die noch wilderen Menschenwesen witterte.

Nur einmal entdeckte ich ein menschliches Wesen, und zwar an einem weißen, großen Schlagbaum, wo unsere Straße einen der Wege kreuzte, der jedes bebaute Feldstück in der Mitte durchzog. Der Mann mußte neben der Straße geschlafen haben, denn als ich an ihm vorbeiritt, richtete er sich etwas auf, sprang nach einem kurzen Blick auf die herannahende Karawane schreiend davon, stürzte blindlings die Straße entlang und verschwand behend wie eine erschreckte Katze hinter der nächsten Eingrenzung. Die Thark schenkten ihm keine Beachtung, denn sie hegten keine kriegerischen Absichten. Das einzige, was daraufhinwies, daß sie ihn gesehen hatten, war, daß sie ihren Schritt in Richtung der angrenzenden Wüste beschleunigten, an der Tal Hajus’ Reich begann.

Kein einziges Mal sprach ich mit Dejah Thoris, da sie mich nicht wissen ließ, daß ich in ihrer Kutsche willkommen sei. Mein törichter Stolz hielt mich davon ab, von allein die Initiative zu ergreifen. Ich bin fest überzeugt: Je kühner ein Mann unter seinesgleichen auftritt, desto unsicherer ist sein Verhalten Frauen gegenüber. Dem Schwachling und Hohlkopf fällt es oft leicht, das schöne Geschlecht für sich zu gewinnen, während der Krieger, der sonst ohne Zaudern tausend wirklichen Gefahren die Stirn bietet, sich wie ein ängstliches Kind in den Schatten flüchtet.

Genau dreißig Tage nach meiner Ankunft auf Barsoom erreichten wir das altehrwürdige Thark, die uralte Stadt jenes vor Zeiten untergegangenen Volkes, dessen Namen sich diese grüne Horde zu eigen gemacht hatte. Etwa dreißigtausend Menschen hausten hier, sie teilten sich in fünfundzwanzig Gemeinschaften auf. Eine jede von ihnen besaß ihren eigenen Jed und niedere Befehlshaber, doch standen alle unter der uneingeschränkten Herrschaft von Tal Hajus, Jeddak von Thark. Fünf Gemeinschaften hatten ihren Wohnsitz ausschließlich in Thark, der Rest hauste vereinzelt in anderen verlassenen Städten des Gebietes, das Tal Hajus für sich beanspruchte.

Am frühen Nachmittag trafen wir auf dem großen Zentralplatz ein. Die Willkommensfreude gegenüber den Ankömmlingen hielt sich in Grenzen. Die zufällig Anwesenden nannten bei ihrer formellen Begrüßung jene Krieger und Frauen beim Namen, mit denen sie in Berührung kamen. Als jedoch bekannt wurde, daß der Zug zwei Gefangene mit sich führte, wurde das Interesse größer, Dejah Thoris und ich rückten in den Mittelpunkt des Geschehens.

Man teilte uns bald neue Unterkünfte zu. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns einzurichten. Meine Wohnung befand sich an der südlichen Ausfallstraße, die wir, von den Stadttoren kommend, entlangmarschiert waren. Sie führte zum Zentralplatz. Ich hatte das Gebäude ganz für mich allein, es lag am hinteren Teil des Viertels. Jene Erhabenheit, durch die sich die Architektur von Korad ausgezeichnet hatte, war auch hier zu finden, nur in größeren Dimensionen, wenn das überhaupt möglich war. Meine Bleibe hätte dem mächtigsten Kaiser der Erde als Unterkunft wohl angestanden, doch diese seltsamen Kreaturen beeindruckte daran nur die Größe der Bauwerke und Gemächer. Je weiträumiger ein Gebäude war. desto begehrter war es. So belegte Tal Hajus ein Haus, das früher öffentlichen Zwecken gedient haben mußte. Es war riesengroß und als Unterkunft gänzlich ungeeignet. Das zweitgrößte war Lorquas Ptomel vorbehalten, das nächste dem niedrigeren Jed, und so weiter bis zum letzten der fünf Jeds. Die Krieger hausten in den Gebäuden der Befehlshaber, deren Gefolge sie angehörten, oder suchten sich, wenn sie wollten, ihre Bleibe in einem der vielen tausend unbewohnten Baulichkeiten der unmittelbaren Umgebung, denn jeder Gemeinschaft war ein bestimmtes Stadtviertel zugeteilt worden. Dementsprechend hatte auch die Auswahl der Unterkünfte zu erfolgen. Lediglich die Jeds bildeten eine Ausnahme, sie bewohnten alle Gebäude am Zentralplatz.

Als ich mich in meiner Bleibe endlich eingerichtet, oder besser gesagt, dabei zugesehen hatte, war es kurz vor Sonnenuntergang, und ich eilte hinaus, um Sola und ihre Schützlinge ausfindig zu machen. Ich wollte unbedingt mit Dejah Thoris sprechen, sie zumindest zu einer Art Waffenstillstand bewegen, bis ich einen Weg gefunden hatte, wie ich ihr bei der Flucht behilflich sein konnte. Der obere Rand der großen, roten Sonne verschwand gerade am Horizont, und ich war noch immer auf der Suche, als ich den häßlichen Kopf Woolas erspähte, der im ersten Stock eines gegenüberliegenden Gebäudes aus dem Fenster blickte. Es befand sich in eben meiner Straße, lag nur mehr zum Platz hin.