Am frühen Morgen wurde ich von einem riesigen Wesen geweckt, das sich an mich schmiegte. Ich zuckte zusammen, schlug die Augen auf und erkannte meinen lieben alten Woola, der sich an mich kuschelte. Das treue Tier war uns über das weglose Ödland gefolgt, um unser Schicksal zu teilen, wie auch immer es verlaufen mochte. Ich umarmte es, legte meine Wange an sein Gesicht und schämte mich nicht dafür, auch nicht für die Tränen, die mir angesichts seiner offenkundigen Liebe für mich in die Augen traten. Kurz danach wachten Dejah Thoris und Sola auf, und wir beschlossen, sofort einen weiteren Vorstoß in Richtung Gebirge zu wagen.
Nach einer knappen Meile begann mein Thoat auf äußerst beklagenswerte Weise zu stolpern und zu schwanken, obwohl wir unsere Tiere seit Mittag des vorhergehenden Tages nicht weiter angetrieben hatten. Plötzlich torkelte es mit einem Satz zur Seite und stürzte zu Boden. Dejah Thoris und ich wurden abgeworfen und landeten unversehrt auf dem weichen Moos, doch das arme Tier befand sich in bemitleidenswertem Zustand und konnte nicht aufstehen, obwohl es nun von unserer Last befreit war. Sola meinte, die kühle Nacht und etwas Ruhe würden es zweifellos wieder auf die Beine bringen, weswegen ich es nun doch nicht tötete. Ich hatte es grausam gefunden, das Tier allein zurückzulassen, wo es an Hunger und Durst zugrunde gehen würde. Ich nahm ihm das Geschirr ab und legte es neben ihm auf die Erde. Dann überließen wir diesen armen Gefährten seinem Schicksal und setzten unseren Weg so gut es ging mit nur einem Thoat wieder fort. Sola und ich gingen zu Fuß und ließen Dejah Thoris reiten, worüber sie sehr ungehalten war. Auf diese Weise waren wir dem Gebirge bis auf eine Meile nahegekommen, als Dejah Thoris vom Sattel aus einige Meilen vor uns Reiter erblickte, die hintereinander aus einem Gebirgspaß auftauchten. Sola und ich blickten in die Richtung und konnten deutlich einige Hundert berittene Krieger erkennen. Sie schienen gen Südwesten zu reiten, also weg von uns.
Zweifellos waren es Krieger von Thark, die uns wieder einfangen sollten, und wir atmeten erleichtert auf, da sie in die entgegengesetzte Richtung ritten. Schnell hob ich Dejah Thoris vom Sattel, befahl dem Tier, sich hinzulegen, und auch wir machten uns so klein wie möglich, um nicht die Aufmerksamkeit der Krieger auf uns zu lenken.
Wir sahen, wie sie hintereinander aus dem Paß hervortraten, kurz bevor sie zu unserem Glück erneut hinter einem Felsen verschwanden, denn hätte dieser ihnen nicht für längere Zeit die Sicht genommen, wären wir mit Sicherheit entdeckt worden. Als der offenbar letzte Krieger auf dem Paß in unser Blickfeld kam, machte er halt, hielt sich zu unserem Entsetzen einen kleinen, doch scharfen Feldstecher ans Auge und suchte den Meeresboden in jeder Richtung ab. Offensichtlich war er ein Befehlshaber, denn bei den grünen Marsmenschen reitet in bestimmten Marschverbänden der Anführer immer als letzter. Als sein Glas in unsere Richtung schwenkte, stockte uns das Herz, und ich spürte, wie mir kalter Schweiß aus allen Poren meines Körpers brach.
Nun war das Glas direkt auf uns gerichtet – und verharrte. Unsere Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und ich zweifle, daß während der wenigen Sekunden, die er uns in seinem Blickfeld hatte, überhaupt einer von uns atmete. Dann ließ er das Glas sinken, und wir sahen, wie er den Kriegern, die hinter dem Felsvorsprung verschwunden waren, einen Befehl erteilte. Er wartete nicht auf sie, sondern wendete augenblicklich sein Thoat und sprengte ungestüm auf uns zu.
Wir hatten noch eine kleine Chance, und die mußte ich schnell nutzen. Ich hielt das seltsame Gewehr der Marsmenschen an die Schulter, nahm ihn ins Visier und betätigte den Knopf am Abzug. Es gab eine scharfe Explosion, als die Kugel auftraf, und der Angreifer stürzte rückwärts von seinem dahinfliegenden Tier.
Ich sprang auf, drängte das Thoat aufzustehen und hieß Sola hinter Dejah Thoris aufsitzen. Sie sollten mit allen Mitteln versuchen, das Gebirge zu erreichen, bevor die grünen Krieger bei uns anlangten. Ich wußte, daß sie sich eine Zeitlang in den Schluchten und Hohlwegen versteckt halten konnten, und obwohl sie dort vor Hunger und Durst zugrunde gehen würden, war das noch immer besser, als den Thark in die Hände zu fallen. Auch bestand ich darauf, daß sie meine beiden Revolver mitnahmen, damit sie wenigstens etwas hatten, um sich zu verteidigen und sich das schreckliche Ende zu ersparen, das eine erneute Gefangennahme mit Sicherheit nach sich ziehen würde. Ich nahm Dejah Thoris in die Arme und setzte sie hinter Sola aufs Thoat, die meinem Befehl zum Aufsitzen bereits gefolgt war.
»Lebe wohl, meine Prinzessin«, flüsterte ich. »Noch können wir uns in Helium treffen. Ich bin schon schlimmeren Gefahren entronnen.« Bei dieser Lüge versuchte ich zu lächeln.
»Wie, du kommst nicht mit uns?« sagte sie.
»Wie denn? Irgend jemand muß sie eine Zeitlang aufhalten, und allein entkomme ich eher als wir drei zusammen.« Schnell sprang sie vom Thoat, legte mir die reizvollen Arme um den Hals, wandte sich an Sola und sagte mit stiller Würde: »Flieh, Sola! Dejah Thoris möchte mit dem Mann sterben, den sie liebt.«
Diese Worte prägten sich mir für immer ein. Gern gäbe ich tausendmal mein Leben dafür, sie noch einmal zu hören, doch damals hatte ich keine Sekunde Zeit, um mich an ihrer süßen Umarmung zu ergötzen. Zum ersten Mal drückte ich meine Lippen auf die ihren, packte sie und setzte sie mit Gewalt hinter Sola auf den Platz. Dann befahl ich Sola mit energischer Stimme, sie festzuhalten, versetzte dem Reittier einen Klaps auf die Flanke und sah, wie sie losritten, wobei sich Dejah Thoris mit aller Kraft aus Solas Griff zu befreien versuchte.
Ich wandte mich um und bemerkte, daß die grünen Krieger den Felsen erklommen und nach ihrem Anführer Ausschau hielten. Kaum hatten sie mich jedoch entdeckt, lag ich flach ins Moos gepreßt am Boden und setzte meinen Beschüß fort, bis all jene Krieger, die als erste wieder hinter dem Felsen aufgetaucht waren, tot waren oder hastig Deckung suchten.
Dennoch war der Aufschub nur von kurzer Dauer, denn bald bekam ich den ganzen Trupp zu sehen. Es waren einige tausend Mann, die mich nun angriffen und auf mich zustürmten. Ich feuerte, bis ich keine Munition mehr hatte und sie fast bei mir waren. Nachdem mir ein Blick nach hinten gezeigt hatte, daß Dejah Thoris und Sola zwischen den Hügeln verschwunden waren, sprang ich auf, ließ mein nutzloses Gewehr fallen und rannte in der entgegengesetzten Richtung von Sola und Dejah Thoris davon.
Wenn den Marsmenschen jemals eine Darbietung im Springen zuteil wurde, dann jenen erstaunten Kriegern an diesem längst vergangenen Tag. Zwar führten meine Sprünge sie von Dejah Thoris weg, doch gaben sie deswegen ihre Absicht nicht auf, mich gefangen zu nehmen.
Sie stürmten hinter mir her, bis ich schließlich über ein vorstehendes Felsstück stolperte und lang ausgestreckt ins Moos stürzte. Als ich aufblickte, waren sie bei mir, und obwohl ich, im Bestreben, mein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, das lange Schwert zog, war alles bald vorbei. Unter ihren gezielt verabreichten Schlägen begann ich zu taumeln, mir schwindelte, alles wurde dunkel, und ich verlor das Bewußtsein.
18. Angekettet in Warhoon
Ich mußte einigen Stunden bewußtlos gewesen sein und erinnere mich noch gut, wie überrascht ich war, noch am Leben zu sein.
Ich lag unter einem Stapel von Seidentüchern und Fellen in der Ecke eines kleinen Raumes, in dem sich außer mir einige grüne Krieger aufhielten. Eine alte, häßliche Frau beugte sich über mich.
Als ich die Augen aufschlug, wandte sie sich an einen der Männer und sagte: »Er bleibt am Leben, oh Jed.«
»Gut so«, erwiderte der Angesprochene, erhob sich und trat an mein Lager. »Er wird bei den großen Spielen ein seltenes Schauspiel bieten.«
Als ich ihn genauer ansah, bemerkte ich, daß er kein Thark war, denn sowohl sein Schmuck als auch sein Metall waren anders. Er war riesengroß, gräßliche Narben verunstalteten Gesicht und Oberkörper, einer der Stoßzähne war abgebrochen und ein Ohr fehlte. An jede Brust waren menschliche Schädel geschnallt, von denen getrocknete Menschenhände herabhingen.