Mein Begleiter gab mir Zeichen, das Tempo zu verlangsamen, zog seine Maschine neben die meine und schlug vor, weiter hinunterzugehen und die Zeremonie zu beobachten, bei der einzelne Offiziere und Mannschaften für ihren Heldenmut und andere außergewöhnliche Dienste ausgezeichnet wurden. Dann entfaltete er ein kleines Banner, das sein Flugzeug als das eines Mitglieds des Königshauses von Zodanga auswies, und gemeinsam bahnten wir uns den Weg durch das Labyrinth tief über dem Erdboden liegender Luftschiffe, bis wir direkt über dem Jeddak von Zodanga und seinem Stab angelangt waren. Sie alle saßen auf den kleinen Thoatbullen der roten Marsmenschen, wobei sowohl ihr Staatsgeschirr als auch ihr Schmuck mit einer solchen Unmasse prächtig gefärbter Federn überladen war, daß mich die auffallende Ähnlichkeit mit einem Indianerstamm auf der Erde schier sprachlos machte.
Ein Mitglied des Stabes wies Than Kosis auf meinen Begleiter hin, der über ihnen schwebte, und der Herrscher gab ihm Zeichen, zu landen. Während sie darauf warteten, daß die Truppen gegenüber dem Jeddak Aufstellung bezogen, führten die beiden ein ernsthaftes Gespräch, wobei der Jeddak und die anderen gelegentlich zu mir blickten. Ich konnte ihre Unterhaltung nicht mitverfolgen. Sie war auch bald zu Ende, und alle saßen ab, da die letzte Einheit einen Schwenk ausgeführt und ihren Platz gegenüber dem Herrscher eingenommen hatte. Ein Stabsmitglied schritt dann auf die Truppen zu, rief einen Soldaten auf und befahl ihm, hervorzutreten. Dann schilderte der Offizier die Heldentat, durch die er sich die Anerkennung des Jeddaks erworben hatte. Dieser trat auf den glücklichen Mann zu und legte ihm ein Metallornament auf den linken Arm.
Zehn Männer waren auf diese Weise ausgezeichnet worden, als der Adjutant rief: »John Carter, Aufklärer!«
Noch nie in meinem Leben war ich so überrascht wie jetzt, doch bin ich militärischen Gehorsam gewohnt. Daher ließ ich meine kleine Maschine sanft zu Boden und trat näher, wie ich es bei den anderen beobachtet hatte. Als ich vor dem Offizier stand, sprach er mich mit lauter Stimme an, so daß die gesamte Menge von Soldaten und Zuschauern es hören mußte: »John Carter! In Anerkennung deines bemerkenswerten Mutes und Könnens, das du bewiesen hast, indem du den Vetter des Jeddaks Than Kosis ohne fremde Hilfe verteidigt und dabei drei grüne Krieger getötet hast, ist es die Freude unseres Jeddaks, dir das Zeichen seiner Wertschätzung zu überreichen.«
Dann trat Than Kosis auf mich zu, befestigte an mir ein Ornament und sagte: »Mein Vetter hat mir ausführlich über deine wunderbaren Leistungen berichtet, die an ein Wunder grenzen. Wenn du einen Vetter der Jeddaks so zu verteidigen vermagst, wie viel besser könntest du den Jeddak selber verteidigen? Hiermit ernenne ich dich zum Padwar der Garden und gewähre dir von heute an eine Stellung in meinem Palast.«
Ich dankte ihm und trat auf seinen Befehl zum Stab. Nach der Zeremonie brachte ich meine Maschine in die Flugzeughallen auf dem Kasernendach der Kundschafterstaffel und ließ mich von einer Ordonnanz zum diensthabenden Haushofmeister bringen.
22. Ich finde Dejah
Der Haushofmeister, bei dem ich mich meldete, hatte Anweisungen erhalten, mich in der Nähe des Jeddak zu postieren, der in Kriegszeiten leicht Opfer eines Attentats werden kann, da die auf dem Mars vorherrschenden Kriegsregeln jedes Mittel gestatten. Aus diesem Grunde brachte er mich augenblicklich zu den Gemächern von Than Kosis. Der Herrscher unterhielt sich gerade mit seinem Sohn, Sab Than, und anderen Höflingen, so daß er mein Kommen nicht bemerkte.
Die Wände der Gemächer waren dick mit prächtigen Teppichen verhängt, und so waren keine Fenster oder Türen zu sehen. Der Raum wurde von gespeicherten Sonnenstrahlen erhellt, die zwischen der Decke und einer Art Zwischendecke aus Mattglas einige Zoll weiter unten gehalten wurden.
Mein Führer raffte einen der Gobelins beiseite und enthüllte einen Gang, der zwischen den Teppichen und den eigentlichen Wänden um den Raum herumführte. Dort sollte ich mich aufhalten, solange Than Kosis im Gemach weilte. Verließ er es, sollte ich ihm folgen. Meine einzige Pflicht bestand darin, den Herrscher zu bewachen und dabei, soweit möglich, ungesehen zu bleiben. Nach vier Stunden würde man mich ablösen. Dann verließ mich der Haushofmeister.
Die Teppiche waren von seltsamer Webart. Von der Seite erschienen sie sehr schwer und fest, doch konnte ich aus meinem Versteck alles verfolgen, was im Gemach vor sich ging, als seien sie von meiner Seite aus durchsichtig.
Kaum hatte ich meinen Posten bezogen, teilten sich die Gobelins auf der gegenüberliegenden Seite des Gemaches und vier Gardesoldaten erschienen, die eine weibliche Gestalt mit sich führten. Einige Schritte vor Than Kosis traten die Soldaten beiseite, und vor dem Jeddak, keine zehn Fuß von mir entfernt, stand Dejah Thoris, deren wunderschönes Gesicht vor Freude strahlte.
Sab Than, der Prinz von Zodanga, ging ihr entgegen, dann schritten sie Hand in Hand zum Jeddak. Kosis blickte überrascht auf, erhob sich und begrüßte sie.
»Welch seltsamer Laune habe ich diesen Besuch der Prinzessin von Helium zu verdanken, die mir noch vor zwei Tagen mit nur geringer Rücksicht auf meinen Stolz versicherte, daß sie Tal Hajus, den grünen Thark, meinem Sohn vorziehen werde?«
Doch Dejah Thoris lächelte nur um so mehr und antwortete mit verschmitzten Grübchen an den Mundwinkeln: »Seit jeher auf Barsoom gehört es zum Vorrecht der Frau, ihre Meinung zu ändern, wie es ihr beliebt, und sich in Herzensangelegenheiten zu verstellen. Du wirst mir vergeben, Than Kosis, wie es bereits dein Sohn getan hat. Vor zwei Tagen war ich von seiner Liebe nicht überzeugt, doch jetzt bin ich es und komme, um dich zu bitten, mir die unbedachten Worte zu» verzeihen und die Zusage der Prinzessin von Helium anzunehmen, Sab Than, den Prinz von Zodanga, zu heiraten, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Ich bin glücklich über deine Entscheidung«, entgegnete Than Kosis. »Nichts liegt mir ferner, als den Krieg mit Helium weiter voranzutreiben. Wir werden dein Versprechen zu Protokoll nehmen und meinem Volk unverzüglich eine Erklärung abgeben.«
»Es wäre besser, damit auf das Ende des Krieges zu warten, Than Kosis«, erwiderte Dejah Thoris. »Würde es meinem und deinem Volk doch in der Tat seltsam vorkommen, wenn die Prinzessin von Helium inmitten der Feindseligkeiten den Gegner ihres Volkes heiratet.«
»Können wir den Krieg nicht sofort beenden?« fragte Sab Than. »Ein Wort von Than Kosis, und es herrscht Frieden. Bitte, Vater, sprich das Wort aus, das mich dem Glück näherbringt und diesen unpopulären Zwist beendet.«
»Wir werden sehen, ob das Volk von Helium auch daran interessiert ist. Ich werde ihnen zumindest ein Friedensangebot unterbreiten«, entgegnete Than Kosis.
Nach einigen Worten wandte sich Dejah Thoris ab und verließ, weiterhin unter Bewachung, das Gemach.
So lag das Gebäude, das ich mir in meinem kurzen Traum vom Glück errichtet hatte, zerborsten und zerbrochen auf dem Boden der Realität. Die Frau, der ich mein Leben angeboten und von deren Lippen ich kürzlich erst die Bestätigung vernommen hatte, daß sie mich liebe, hatte meine Existenz bereits vergessen und sich freudestrahlend dem Sohn des Erzfeindes ihres Volkes an den Hals geworfen.
Obwohl ich es mit eigenen Ohren vernommen hatte, konnte ich es nicht glauben. Ich mußte sie finden und zwingen, die grausame Wahrheit in meiner Gegenwart zu wiederholen, bevor ich endgültig davon überzeugt war. So verließ ich meinen Posten und eilte hinter der Teppichwand zu der Tür, durch die sie verschwunden war. Leise schlüpfte ich hinaus und fand mich in einem Labyrinth von gewundenen Gängen, die sich hier und da verzweigten und ständig irgendwohin abbogen.
Schnell lief ich den ersten entlang, dann einen zweiten, und bald hatte ich mich hoffnungslos verirrt und lehnte keuchend an der Wand, als ich in der Nähe Stimmen vernahm. Offensichtlich kamen sie von der gegenüberliegenden Seite, und bald erkannte ich Dejah Thoris. Zwar verstand ich nicht, was sie sagte, doch ein Irrtum war ausgeschlossen.