Als wir uns dem hohen Turm näherten, stieß eine Patrouille von oben auf uns, richtete ihren durchdringenden Scheinwerfer auf mein Flugzeug, und eine Stimme befahl mir zu halten. Als ich dem Gebrüll keine Beachtung schenkte, folgte ein Schuß. Kantos Kan glitt schnell in die Dunkelheit, während ich steil aufstieg und in atemberaubender Geschwindigkeit über den Marshimmel raste, dicht gefolgt von einem Dutzend Luftaufklärungsmaschinen, die sich der Verfolgung angeschlossen hatten, und später noch von einem schnellen Kreuzer mit einigen hundert Mann Besatzung sowie einer Reihe von Schnellfeuerkanonen. Ich vollführte mit meiner kleinen Maschine Drehungen und Wendungen, stieg mal auf und ließ mich ein andermal fallen, so daß ich mich die meiste Zeit ihren Suchscheinwerfern entziehen konnte. Doch gleichzeitig verlor ich mit dieser Taktik an Boden, so daß ich beschloß, auf einen direkten Kurs zu setzen und den Rest dem Schicksal und der Schnelligkeit meiner Maschine zu überlassen.
Kantos Kan hatte mir verraten, wie man durch eine bestimmte Art zu schalten die Leistungsfähigkeit der Maschine heraufsetzen kann. Da dieser Kniff nur der Marine von Helium bekannt war, würde ich nach meiner Überzeugung meine Verfolger weit hinter mir lassen, wenn ich nur für einige Augenblicke den Geschossen auszuweichen vermochte.
Als ich durch die Luft raste, überzeugte mich das Schwirren der Kugeln um mich herum, daß mir nur noch ein Wunder helfen konnte, doch die Würfel waren gefallen. Ich trieb die Maschine zum äußersten und raste auf direktem Wege in Richtung Helium. Stück für Stück blieben meine Verfolger hinter mir zurück, schon wollte ich mir zu meinem glücklichen Entkommen gratulieren, als ein wohlgezielter Schuß des Kreuzers vorm Bug meines kleinen Flugzeuges explodierte. Durch die Erschütterung überschlug es sich beinahe und stürzte kopfüber abwärts durch die dunkle Nacht, daß einem übel werden konnte.
Ich weiß nicht, wie tief ich fiel, bevor ich die Maschine erneut unter Kontrolle bekam, doch ich mußte dem Erdboden sehr nahe gekommen sein, da ich unter mir deutlich Tiere schreien hörte. Als ich wieder aufstieg, suchte ich den Himmel nach meinen Verfolgern ab, deren Lichter ich schließlich weit hinter mir ausmachte. Sie landeten und suchten offensichtlich nach mir.
Erst als ich ihre Lichter nicht mehr erkennen konnte, wagte ich, meine kleine Lampe auf den Kompaß zu richten, und mußte zu meiner Bestürzung feststellen, daß mein einziger Helfer sowie mein Tachometer von einem Geschosssplitter völlig zerstört worden waren. Sicherlich konnte ich an den Sternen die generelle Richtung nach Helium ablesen, doch ohne die genaue Position der Stadt und meine Reisegeschwindigkeit zu kennen, hatte ich nur geringe Chancen, sie zu finden.
Helium liegt eintausend Meilen südwestlich von Zodanga, mit intaktem Kompaß hätte ich es ohne Störung in vier bis fünf Stunden geschafft. Dennoch fand ich mich am Morgen nach fast sechs Stunden ununterbrochenen Fluges über einem ausgetrockneten Meer mit riesigen Ausdehnungen wieder. Bald tauchte eine große Stadt vor mir auf, doch nicht Helium, da von allen Metropolen auf Barsoom nur diese aus zwei riesigen, kreisförmigen und von Mauern umgebenen Einzelstädten besteht, und die ungefähr fünfundsiebzig Meilen voneinander entfernt waren und unschwer aus der Höhe, in der ich mich befand, zu erkennen gewesen wären.
Ich glaubte, zu weit nach Nordwesten gelangt zu sein, drehte in südwestlicher Richtung ab und kam im Verlaufe des Vormittags an einigen anderen großen Städten vorbei, auf die jedoch keine von Kantos Kans Beschreibungen zutraf. Zusätzlich zu den Zwillingsstädten besaß Helium noch ein weiteres Merkmal, zwei riesige Türme, einem in leuchtendem Scharlachrot, der im Zentrum der einen Stadt fast eine Meile in die Höhe ragt, während die Partnerstadt sich durch einen ebenso hohen, knallgelben Turm auszeichnet.
24. Tars Tarkas findet einen Freund
Gegen Mittag flog ich tief über eine große tote Stadt vom alten Mars hinweg, und als ich das darunterliegende Flachland überquerte, sah ich einige tausend grüne Krieger, die einander ein schreckliches Gefecht lieferten. Kaum hatte ich sie erblickt, wurde auch schon eine Salve auf mich abgegeben, und dank ihrer fast unfehlbaren Zielgenauigkeit verwandelte sich mein kleines Fahrzeug augenblicklich in ein Wrack, das in Richtung Boden taumelte.
Ich fiel fast in die Mitte des Getümmels, zwischen all die Krieger, die mein Auftauchen gar nicht bemerkten, so sehr nahm der Kampf um Leben und Tod sie in Anspruch. Die Männer kämpften unberitten mit den langen Schwertern, während der Schuß eines Scharfschützen vom Rand des Schlachtfeldes gelegentlich einen Krieger niederstreckte, der sich nur für einen Augenblick aus der ineinander verschlungenen Masse gelöst hatte.
Als meine Maschine aufsetzte, war mir klar, daß es nun galt, zu kämpfen oder zu sterben, wobei für letzteres in jedem Falle gute Aussichten bestanden, und so berührte ich den Boden, das lange Schwert gezückt, bereit, mich nach besten Kräften zu verteidigen.
Ich fand mich neben einem riesigen Monster wieder, das es mit drei Gegnern zu tun hatte, und als ich in sein grimmiges, vor Kampfeseifer erhitztes Gesicht blickte, erkannte ich Tars Tarkas, den Thark. Er sah mich nicht, da ich ein Stück hinter ihm stand, und gerade in diesem Augenblick griffen ihn seine drei Widersacher gemeinsam an, die ich als Warhoon identifizierte. Der Hüne machte mit einem von ihnen kurzen Prozeß, doch als er zurücktrat, um einen weiteren Hieb auszuteilen, stürzte er über einen Toten hinter sich und lag augenblicklich der Gnade seiner Gegner ausgeliefert am Boden. Blitzschnell waren sie auf ihm, und Tars Tarkas wäre in Kürze zu seinen Vorvätern gerufen worden, wäre ich nicht vor ihn gesprungen und hätte die Angreifer beschäftigt. Als der mächtige Tars Tarkas wieder auf den Beinen stand, hatte ich einen von ihnen zur Strecke gebracht, die anderen erledigte er wieder selbst.
Er warf mir einen Blick zu, und ein flüchtiges Lächeln streifte seine finsteren Züge, als er mich an die Schulter tippte und sagte:
»Ich hätte dich beinahe gar nicht erkannt, John Carter, doch es gibt auf Barsoom keinen Sterblichen, der das getan hätte, was du für mich getan hast. Ich denke, ich weiß jetzt, daß es so etwas wie die Freundschaft gibt.«
Mehr sagte er nicht, da auch nicht dazu Gelegenheit war, denn die Warhoon schlössen sich erneut um uns, und gemeinsam kämpften wir Schulter an Schulter den ganzen langen heißen Nachmittag, bis sich das Blatt wendete und die Überreste der wilden Warhoon auf ihren Thoats zurückwichen und in die einbrechende Dunkelheit flohen.
Zehntausend Mann waren in diese gigantische Schlacht verwickelt, und auf dem Feld lagen weitere dreitausend. Keine der beiden Seiten erbat oder gewährte Gnade, noch wurden Gefangene genommen.
Nach unserer Rückkehr zur Stadt begaben wir uns geradewegs zu Tars Tarkas’ Unterkunft, wo ich allein gelassen wurde, während der Anführer den Rat aufsuchte, der üblicherweise unmittelbar nach einem Kampf zusammentrat.
Während ich auf seine Rückkehr wartete, hörte ich, wie sich etwas im Nebenraum regte, und als ich aufblickte, warf sich plötzlich eine riesige, bedrohliche Kreatur auf mich, so daß ich rücklings auf den Stapel von Seidentüchern und Pelzen geworfen wurde, auf denen ich lag. Es war Woola – mein treuer, geliebter Woola. Er hatte den Weg zu den Thark zurückgefunden und, wie mir Tars Tarkas später erzählte, sich sofort zu meiner früheren Unterkunft begeben, wo er begann, auf ergreifende und doch völlig nutzlose Weise nach mir Ausschau zu halten.