Genau zwölf Uhr Mittags fielen entlang der Linie zwischen den Zodanganern und den beiden Städten heftige Schüsse, und wir erfuhren auf diesem Wege, daß die lebensnotwendige Verstärkung eingetroffen war.
Erneut rief Tars Tarkas zum Angriff, ein weiteres Mal trugen die riesigen Thoats ihre erbarmungslosen Reiter zu den feindlichen Schutzwällen. Im selben Augenblick erstürmten die Soldaten von Helium in einem Anlauf die gegenüberliegende Brustwehr der Zodanganer, die einen Moment später wie von zwei Mühlsteinen zermalmt wurden. Sie kämpften heldenhaft, doch umsonst.
Das Flachland vor der Stadt verwandelte sich in ein wahrhaftiges Schlachtfeld, doch schließlich hatte das Gemetzel ein Ende, der letzte Zodanganer ergab sich, die Gefangenen marschierten unter Begleitung gen Helium, und wir zogen durch die Tore der größeren Stadt, ein Triumphzug siegreicher Helden.
Entlang der breiten Promenaden hatten sich sowohl Frauen und Kindern versammelt als auch die wenigen Männer, die anderen Pflichten hatten nachgehen und deswegen während der Schlacht in der Stadt bleiben müssen. Uns begrüßte nicht enden wollender Applaus, man überschüttete uns mit Gold, Platin, Silber und wertvollen Juwelen. Die Stadt schien vor Freude außer Rand und Band geraten zu sein.
Meine wilden Thark sorgten überall für helle Aufregung und riefen Begeisterungsstürme hervor. Nie zuvor war ein bewaffneter Trupp grüner Krieger durch die Tore von Helium geschritten, und daß sie nun als Freunde und Verbündete kamen, erfüllte die roten Menschen mit Freude.
Meine armseligen Dienste für Dejah Thoris waren zweifellos ganz Helium zu Ohren gekommen, denn die Leute riefen laut meinen Namen und befestigten unzählige Ornamente an mir und meinem riesigen Thoat, als wir die Promenade zum Palast entlangritten. Sogar das furchteinflößende Aussehen von Woola hielt das Volk nicht davon ab, sich um mich zu scharen.
Als wir uns dem prächtigen Turm näherten, empfing uns eine Gruppe Offiziere, die Tars Tarkas, seine Jeds sowie die Jeddaks und Jeds der wilden Verbündeten und mich wärmstens begrüßten und uns aufforderten, abzusitzen und sie zu begleiten, um Tardos Mors’ Dank für unsere Dienste entgegenzunehmen.
Ganz oben auf der Treppe, deren breite Stufen zum Hauptportal des Palastes hinaufführten, stand die Königsfamilie, und als wir unten am Fuß der Treppe angekommen waren, löste sich einer von ihnen und kam uns entgegen. Er war das Sinnbild der Vollkommenheit, von hohem, kerzengeraden Wuchs, mit wohlgeformten Muskeln, und der Haltung und dem Auftreten eines Herrschers. Man mußte mir nicht sagen, daß das Tardos Mors war, der Jeddak von Helium.
Als erstes Mitglied unserer Gruppe begrüßte er Tars Tarkas, und seine Worte besiegelten für immer die neue Freundschaft zwischen diesen so verschiedenen Völkern.
»Es ist Tardos Mors eine unschätzbare Ehre, dem größten Soldaten, der derzeit auf Barsoom lebt, zu begegnen, doch weitaus glücklicher macht ihn, seine Hand auf die Schulter eines Freundes und Verbündeten zu legen«, sagte er ernst.
»Jeddak von Helium«, entgegnete Tars Tarkas. »Wir haben es einem Mann aus einer anderen Welt zu verdanken, der den grünen Kriegern die Bedeutung des Wortes Freundschaft beibrachte. Ihm schulden wir den Dank dafür, daß euch die Horden der Thark verstehen und diese wohlwollenden Gefühle schätzen und erwidern können.«
Dann begrüßte Tardos Mors jeden einzelnen der grünen Jeddaks und Jeds und bedachte jeden von ihnen mit einigen freundlichen, anerkennenden Worten.
Als er bei mir angelangt war, legte er mir beide Hände auf die Schultern.
»Willkommen, mein Sohn«, sagte er. »Dir gebührt ohne Zweifel das wertvollste Juwel von ganz Helium, ja, von ganz Barsoom als erstes Zeichen meiner Hochachtung.«
Dann wurden wir Mors Kajak vorgestellt, dem Jed von Kleinhelium, dem Vater von Dejah Thoris. Er war dicht auf Tardos Mors gefolgt, und das Treffen schien ihn sogar noch mehr zu berühren als seinen Vater. Dutzendmal versuchte er, mir seine Dankbarkeit auszudrücken, doch seine Stimme versagte, er konnte vor Rührung nicht sprechen, und dennoch, so erfuhr ich später, genoß er einen Ruf als wilder und furchtloser Kämpfer, und das hatte sogar im kriegerischen Barsoom etwas zu bedeuten. Gleich ganz Helium betete er seine Tochter an, und es bereitete ihm noch immer Seelenqualen, wenn er daran dachte, welchen Gefahren sie entronnen war.
27. Aus der Glückseligkeit in den Tod
Zehn Tage wurden die Horden der Thark und ihre wilden Verbündeten gefeiert und bewirtet, dann machten sie sich mit wertvollen Geschenken beladen in Begleitung von zehntausend Soldaten aus Helium unter Mors Kajaks Befehl auf den Rückweg in ihre Heimat. Der Jed von Kleinhelium und eine kleine Gruppe von Edelleuten geleiteten sie bis nach Thark, um die neugeknüpften Bande des Friedens und der Freundschaft weiter zu festigen.
Sola begleitete Tars Tarkas, ihren Vater, der sich vor allen Befehlshabern zu seiner Tochter bekannt hatte.
Drei Wochen später kehrten Mors Kajak und seine Offiziere in Begleitung von Tars Tarkas und Sola auf einem Schlachtschiff, das nach Thark gesandt worden war, zurück, um sie rechtzeitig zu den Feierlichkeiten, die Dejah Thoris und John Carter vereinigen sollte, zu holen.
Neun Jahre stand ich als Prinz des Hofes von Tardos Mors in den Diensten der Räte von Helium und seiner Armeen. Die Menschen wurden ihrer Ehrenbekundungen für mich niemals müde, und es verging kein Tag, an dem sie nicht einen neuen Beweis ihrer Zuneigung für meine Prinzessin, die unvergleichliche Dejah Thoris, erbrachten.
In einer goldenen Brutstation auf dem Dach des Palastes lag ein schneeweißes Ei. Fast fünf Jahre hielten rund um die Uhr zehn Soldaten aus der Garde des Jeddaks daneben Wache, und wenn ich in der Stadt war, verging kein Tag, an dem Dejah Thoris und ich nicht Hand in Hand vor unserem kleinen Heiligtum standen und Pläne für die Zeit schmiedeten, wenn die empfindliche Schale zerbrechen würde.
Noch sehr lebhaft habe ich die letzte Nacht vor Augen, als wir zusammen saßen und uns leise über die seltsamen Abenteuer unterhielten, die unser beider Leben miteinander verbunden hatten, und über das kommende freudige Ereignis, das unser Glück vergrößern und mit dem sich unsere Hoffnungen erfüllen würden.
In der Feme sahen wir die grellen Lichter eines nahenden Luftschiffes, doch schenkten wir einem solch alltäglichen Anblick keine besondere Beachtung. Blitzschnell raste es auf Helium zu, und lediglich die Geschwindigkeit verriet, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen war. Es hißte die Flaggen eines Eilboten für den Jeddak und zog ungeduldige Kreise, während es auf das säumige Patrouillenboot wartete, das es zu den Anlegeplätzen des Palastes geleiten sollte.
Zehn Minuten nach seiner Ankunft wurde ich in den Ratssaal gerufen, der sich bei meinem Eintreffen gerade zu füllen begann.
Auf dem Podest sah ich Tardos Mors, wie er mit angespannter Miene vor dem Thron auf und ab ging. Als alle Mitglieder ihre Plätze eingenommen hatten, wandte er sich an uns und sagte: »An diesem Morgen wurden die Regierungen von Barsoom informiert, daß der Verwalter der Atmosphärenfabrik seit zwei Tagen keinen Bericht mehr gesendet hat. Auch erhielt keine der zwanzig Hauptstädte ein Antwortzeichen auf ihre fast unablässigen Anrufe.
Die Abgesandten der anderen Völker baten uns, diese Angelegenheit in die Hand zu nehmen und schnellstens den Gehilfen zur Fabrik zu schicken. Den ganzen Tag haben Tausende von Kreuzern nach ihm gesucht, und soeben kehrte eines von ihnen mit seinem Leichnam zurück, der, von unbekannter Hand aufs schrecklichste verstümmelt, in den Gruben neben seinem Haus aufgefunden wurde. Ich brauche den Anwesenden nicht zu erklären, was das für Barsoom bedeutet. Man braucht Monate, um sich durch die dicken Mauern zu arbeiten, wobei wir mit der Arbeit schon begonnen haben. Eigentlich bestünde wenig Anlaß zur Besorgnis, wenn die Pumpen wie schon seit Jahrhunderten ordnungsgemäß liefen, doch wir fürchten, daß das Schlimmste bereits eingetreten ist. Die Instrumente zeigen einen rapide abfallenden Luftdruck auf ganz Barsoom – die Anlage steht still. Meine Herren, wir haben bestenfalls noch drei Tage zu leben«, schloß er.