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»Natürlich bei Ciaire.«

»Aha.«

»Leo…« Dr. Yeis Blick wurde scharf, und sie schürzte die Lippen. »Wissen Sie etwas, das ich nicht weiß?«

»Ach…« Er blickte sie an. »Ich weiß, daß Tony in der letzten Woche bei der Arbeit ungewöhnlich unaufmerksam war. Ich würde vielleicht sogar sagen — deprimiert, außer, daß das ja eigentlich in Ihre Abteilung gehört, oder? Er war auf jeden Fall nicht so fröhlich wie sonst.« In Leos Unterleib bildete sich ein Klumpen Unbehagen und gab seinen Worten eine ungewohnte Schärfe. »Machen Sie sich irgendwelche Sorgen, gute Frau, die Sie mir verschwiegen haben?«

Sie preßte die Lippen aufeinander, ignorierte jedoch den Köder. »Sie wissen ja, daß in allen Abteilungen die Zeitpläne beschleunigt wurden. Ciaire hat ihren neuen Fortpflanzungsauftrag bekommen. Tony war darin nicht vorgesehen.«

»Fortpflanzungsauftrag? Sie meinen, ein Baby zu bekommen?« Leo spürte, wie sein Gesicht sich rötete. Irgendwo in seinem Innern begann sich ein lang zurückgehaltener Druck aufzubauen. »Verbergen Sie mit diesen doppelsinnigen Worten auch vor sich selbst, was Sie da wirklich machen? Und ich hatte gedacht, die Propaganda wäre nur für uns Fußvolk da.« Yei begann zu sprechen, doch Leo fiel ihr ins Wort und es brach aus ihm hervor: »Du lieber Himmel! Sind Sie schon von Geburt an so inhuman, oder sind Sie erst nach und nach so geworden — durch Ihr Studium und Ihre akademischen Grade…«

Yeis Gesicht verdüsterte sich und sie ging zu einem schneidigen Tonfall über. »Ein Ingenieur mit einem romantischen Gemüt, wie? Jetzt verstehe ich alles. Lassen Sie sich nicht von Ihren Phantasien davontragen, Mr. Graf. Tony und Ciaire wurden einander von Anfang an nach genau demselben System zugewiesen, und wenn gewisse Leute bereit gewesen wären, sich an meinen ursprünglichen Zeitplan zu halten, dann hätte man dieses Problem vermeiden können. Ich kann wirklich nicht begreifen, wieso man eine Expertin bezahlt und dann unbekümmert ihren Rat ignoriert. Ingenieure…!«

Ach, zum Teufel, sie leidet genauso schlimm unter Van Atta wie ich, erkannte Leo. Diese Einsicht dämpfte seine Wucht, verringerte aber seinen inneren Druck nicht.

»… Ich habe das Cay-Projekt nicht erfunden, und wenn ich es leiten würde, dann ganz anders, aber ich muß die mir zugewiesene Rolle spielen, Mr. Graf. Verdammt…« Sie zwang sich zur Beherrschung, und man konnte geradezu sehen, wie sie das Gespräch auf das ursprüngliche Gleis zurückzwang. »Ich muß sie bald finden, oder es bleibt mir nichts anderes übrig, als Van Atta zu veranlassen, die Vorführungen von hinten zu beginnen. Leo, es ist absolut wesentlich, daß Vizepräsidentin Apmad zuerst die Krippe zu sehen bekommt, bevor sie Zeit hat, irgendwelche… — haben Sie eine Ahnung, wo diese Kinder überhaupt sein können?«

Leo schüttelte den Kopf, ein plötzliche Eingebung strafte diese aufrichtige Geste Lügen, bevor er sie noch vollendet hatte. »Aber rufen Sie mich an, falls Sie sie eher finden als ich?«, bat er, und sein demütiger Ton signalisierte dabei die Bereitschaft zu einem Waffenstillstand.

Yeis Strenge lockerte sich ein bißchen. »Ja, gewiß.« Sie zuckte entschuldigend die Achseln und legte auf.

Leo schwang sich in den Umkleideraum zurück, schälte sich aus seinem Arbeitsanzug, zog einen Overall an und eilte davon, um seiner Eingebung zu folgen, bevor Dr. Yei ihrerseits darauf käme. Er war sich sicher, daß sie daraufkommen würde, und zwar bald.

Silver sah auf dem Arbeitsplan auf ihrem Vid-Display nach. Glockenpaprika. Sie schwebte durch den Hydrokulturraum zum Samenschrank, fand die korrekt beschriftete Schublade und holte ein schon vorher abgezähltes Papiertütchen heraus. Sie schüttelte das Tütchen geistesabwesend, und die getrockneten Samen raschelten zufriedenstellend.

Sie nahm eine Keimbox aus Plastik, riß das Tütchen auf und füllte die kleinen bleichen Samen vorsichtig in den Behälter um, wo sie fröhlich herumhüpften. Dann zum Hydrationshahn. Sie schob den Wasserschlauch durch den ringförmigen Gummiverschluß an der Seite der Keimbox, ließ einen abgemessenen Spritzer hinein und schüttelte die Box extra noch einmal, um die schimmernde flüssige Kugel, die sich bildete, zu zerteilen. Sie schob die Keimbox in das entsprechende Fach im Brüter und stellte die optimale Temperatur ein für Paprika, glockenförmig; hybrider, phototroper, nicht-gravitationaler, axial sich differenzierender Klon 297-X-P, und seufzte.

Das Licht aus den mit Filtern versehenen Fenstern zog immer wieder ihre Aufmerksamkeit an. Zum vierten- oder fünftenmal in dieser Schicht unterbrach sie ihre Arbeit, schlängelte sich zwischen den Pflanzrohren hindurch und starrte auf den Teil von Rodeo, den sie aus diesem Blickwinkel sehen konnte. Irgendwo dort unten, auf dem Boden dieses Brunnenschachts aus Luft, krochen Ciaire und Tony jetzt herum — wenn sie nicht schon aufgegeben hatten — oder sich erfolgreich zu einem anderen Shuttle durchgeschlagen hatten — oder sich einer schrecklichen Katastrophe gegenübersahen… Silvers Phantasie gaukelte ihr ungebeten eine Auswahl möglicher Katastrophen vor.

Sie versuchte sie beiseitezuschieben, indem sie sich intensiv vorstellte, wie Tony und Ciaire und Andy erfolgreich an Bord eines Shuttles schlichen, das zur Transferstation unterwegs war, aber dieses Bild wich einer Szene, in der Ciaire versuchte, einen Abstand zum Lukeneingang des Shuttles zu überspringen (was für einen Abstand? von wo aus, um Himmels willen?), dabei vergaß, daß alle geraden Strecken durch die Schwerkraft zu Parabeln gekrümmt wurden, und ihr Ziel verfehlte. Silver dachte an die eigenartige Art und Weise, wie sich Objekte in dichten Gravitationsfeldern bewegten. Der Schrei, der beim Aufklatschen unten auf dem Beton erstickte — nein, sicher würde Ciaire Andy halten — beim doppelten Aufklatschen unten auf dem Beton… Silver massierte die Stirn mit den Ballen ihrer oberen Hände, als könnte sie die grausige Vision körperlich aus ihrem Gehirn wegdrücken. Ciaire hatte dieselben Vids über das Leben auf dem Planeten gesehen wie sie, sicher würde sie sich daran erinnern.

Das Zischen der luftdichten Türen holte Silver in die Realität zurück. Sie sollte lieber beschäftigt aussehen — was hatte sie jetzt als nächstes zu tun? Ach ja, benutzte Pflanzröhren reinigen, als Vorbereitung für die Unterbringung in dem neuen Raum, der eben angebaut wurde, um ihrer aller Fähigkeiten der Vizepräsidentin zu demonstrieren. Zum Teufel mit der Vizepräsidentin! Wenn sie nicht wäre, dann hätte es eine Chance gegeben, daß Tony und Ciaire vielleicht zwei oder sogar drei Schichten nicht vermißt wurden… Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie sah, wer den Hydrokulturraum betreten hatte. Ausgerechnet jetzt.

Für gewöhnlich wäre Silver froh gewesen, Leo zu sehen. Er schien ein großer, anständiger Mann zu sein — nein, nicht groß, aber irgendwie solide, erfüllt von einer prosaischen Ruhe, die sich sogar in seinen Geruch zu mischen schien, der Silver an planetarische Materialien erinnerte, mit denen sie schon zu tun gehabt hatte: Holz und Leder und bestimmte getrocknete Kräuter. Angesichts seines zögernden Lächelns lösten sich gespenstische Szenen wie Nebel auf. Vielleicht wäre sie doch froh, mit Leo zu sprechen…

Aber diesmal lächelte er nicht. »Silver…? Bist du hier?«

Einen Augenblick lang dachte Silver daran, sich zwischen den Pflanzrohren zu verstecken, aber die Blätter raschelten, als sie sich umdrehte, und verrieten, wo sie sich aufhielt. Sie lugte über die Blätter. »Ach… hallo, Leo.«

»Hast du in letzter Zeit Tony oder Ciaire gesehen?« Leo war immer direkt. Nenn mich Leo, hatte er zu ihr gesagt, als sie ihn beim erstenmal mit ›Mr. Graf‹ angeredet hatte, es ist kürzer. Er schwebte zu den Pflanzrohren herüber; sie schauten einander über eine Barriere aus Buschbohnen an.

»Ich habe außer meiner Vorgesetzten niemanden während der ganzen Schicht gesehen«, sagte Silver und war momentan erleichtert, daß sie eine vollkommen ehrliche Antwort geben konnte.