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Was kannst du denn so spät noch für sie tun? verspottete ihn sein Gewissen. Sie deiner beständigen moralischen Unterstützung versichern, solange du damit in keine Unannehmlichkeiten verwickelt wirst? Was für ein Trost! Er schüttelte den Kopf und betätigte die Türsteuerung.

Schweigend schwebte er am Stationszimmer vorbei, ohne sich dort anzumelden. Silver befand sich in einer privaten Kabine ganz am Ende des Krankenstationsmoduls. Die Entfernung hatte dazu beigetragen, ihre Schreie zu dämpfen.

Leo schaute durch das Beobachtungsfenster. Silver war allein und hing schlaff in den Bettgurten an der Wand. Im Licht der Fluoros erschien ihr Gesicht grünlich, bleich und feucht. Ihre Augen schienen ihre funkelnd blaue Farbe verloren zu haben, jetzt wirkten sie wie verschwommene bleigraue Flecken. Eine der oberen Hände umklammerte eine noch unbenutzte Speitüte.

Leo selbst war auch übel. Er warf einen Blick den Korridor entlang, um sicher zu sein, daß er noch unbeobachtet war, schluckte den Klumpen hilfloser Wut hinunter, der sich in seiner Kehle angesammelt hatte, und schlüpfte in die Kabine. »Ach… hallo, Silver«, begann Leo mit einem schwachen Lächeln. »Wie geht es dir?« Er verfluchte sich selbst für seine albernen Worte.

Ihre verschmierten Augen richteten sich verständnislos auf ihn. Dann sagte sie: »O Leo. Ich glaube, ich habe eine Weile… geschlafen. Komische Träume… Mir ist noch übel.«

Die Wirkung der Droge schien schon nachzulassen. Ihre Stimme war nicht mehr undeutlich und träumerisch wie während des Verhörs; jetzt klang sie schwach und gepreßt, aber ihrer selbst bewußt. Leicht ungehalten fügte sie hinzu: »Wegen diesem Zeug habe ich mich erbrochen. Und ich habe noch nie gebrochen, nie. Dieses Zeug hat mich dazu gebracht.«

Wie Leo mitbekommen hatte, gab es in Silvers kleiner Welt stärkste soziale Hemmungen gegen das Erbrechen in der Schwerelosigkeit. Wahrscheinlich wäre Silvers Verlegenheit viel geringer gewesen, wenn man sie in der Öffentlichkeit entkleidet hätte. »Das war nicht dein Fehler«, versuchte Leo sie schnell zu beruhigen.

Sie schüttelte den Kopf; ihr Haar flatterte dabei in glatten Strähnen und bildete nicht mehr die gewohnte helle Aureole. Sie spitzte den Mund. »Ich hätte eigentlich — ich dachte, ich könnte… der Rote Ninja hat seinen Feinden nie seine Geheimnisse verraten, und ihn hatten sie sowohl unter Drogen gesetzt wie auch gefoltert.«

»Wer?«, fragte Leo verdutzt.

»Oh…!« Silver wimmerte. »Sie haben auch unsere Bücher entdeckt. Diesmal werden sie alle finden…« An ihren Wimpern hingen Tränen, die nicht fallen konnten, sondern sich ansammelten, bis sie weggewischt wurden. Als sie ihre Augen aufriß und Leo in entsetzter Erkenntnis anstarrte, lösten sich zwei oder drei Tröpfchen und machten sich als schimmernde Satelliten selbständig. »Und jetzt denkt Mr. Van Atta, daß Ti gewußt haben muß, daß Tony und Ciaire an Bord seines Shuttles waren — eine geheime Absprache —, und er sagt, er wird dafür sorgen, daß Ti gefeuert wird! Und er wird Tony und Ciaire dort unten finden — ich weiß nicht, was er ihnen antun wird. Ich habe Mr. Van Atta noch nie so wütend gesehen.«

Leo biß so fest die Zähne zusammen, daß aus seinem Lächeln eine Grimasse wurde. Trotzdem versuchte er vernünftig zu reden. »Aber du hast ihnen doch sicher — unter Drogen — gesagt, daß Ti es nicht wußte.«

»Er hat es nicht geglaubt. Er sagte, ich würde lügen.«

»Aber das wäre doch unlogisch…«, begann Leo, dann brach er ab. »Nein, du hast recht, das läßt ihn kalt. Gott, was für ein Arschloch!«

Silver öffnete schockiert den Mund. »Sie meinen — Mr. Van Atta?«

»Ich meine Brucie-Baby. Du kannst mir nicht einreden, daß du seit elf Monaten mit dem Mann zu tun hast und das noch nicht gemerkt hast.«

»Ich dachte, daß es an mir liegt — daß etwas mit mir nicht stimmt…« Silvers Stimme war immer noch schwach und verweint, aber in ihren Augen begann es zu dämmern. Sie bezwang ihr eigenes Leid und betrachtete Leo mit erhöhter Aufmerksamkeit.

»… Brucie-Baby?«

»Was?« Die Erinnerung an einen von Dr. Yeis Vorträge über die Aufrechterhaltung einer einheitlichen und konsequenten Autorität ließ Leo innehalten. Damals war ihm dies sehr sinnvoll erschienen… »Schon gut! Aber mit dir ist alles in Ordnung, Silver.«

Ihr scharfer Blick wurde fast wissenschaftlich. »Sie fürchten ihn nicht.« Ihr überraschter Ton verriet, daß sie dies für eine unerwartete und bemerkenswerte Entdeckung hielt.

»Ich? Fürchten? Vor Bruce Van Atta?« Leo prustete. »Wohl kaum.«

»Damals, als er ankam und Dr. Cays Stellung übernahm, dachte ich… dachte ich, er würde wie Dr. Cay sein.« »Schau mal… äh… es gibt eine sehr alte Daumenregel, die besagt, daß Leute bis zur Stufe ihrer Inkompetenz befördert werden. Ich glaube, daß es mir bis jetzt gelungen ist, diese wenig beneidenswerte Ebene zu meiden. Und das gelang offensichtlich auch eurem Dr. Cay.« Zum Teufel mit Yeis Skrupeln, dachte Leo, und fügte schonungslos offen hinzu: »Van Atta ist es nicht gelungen.«

»Tony und Ciaire hätten nie versucht wegzurennen, wenn Dr. Cay noch hier wäre.« In ihren Augen glomm Hoffnung auf. »Wollen Sie damit sagen, daß dieses Durcheinander vielleicht Mr. Van Attas Schuld ist?«

Leo hob unsicher die Schultern. Ihn quälten geheime Gedanken, die er noch nicht einmal sich selber eingestanden hatte. »Eure S… S…« — Sklaverei — »Situation erscheint mir an sich, an sich«, falsch, schlug sein Denken vor, während seine Zunge es milderte, »anfällig zum Mißbrauch, zu allen möglichen Arten von Fehlbehandlung. Weil Dr. Cay sich so leidenschaftlich für euer Wohlergehen einsetzte…«

»Er war zu uns wie ein Vater«, bestätigte Silver traurig.

»… blieb diese… hm… Anfälligkeit verborgen. Aber früher oder später war es unvermeidlich, daß jemand begann, sie auszunutzen, und euch auch. Wenn es nicht Van Atta getan hätte, dann jemand anderer in der Hierarchie. Jemand…« — Schlimmerer? Leo hatte genügend Geschichtsbücher gelesen. Ja — »… viel Schlimmerer.«

Silver sah aus, als bemühte sie sich vergebens, sich jemanden vorzustellen, der schlimmer war als Van Atta. Sie schüttelte traurig den Kopf. Sie hob ihr Gesicht Leo entgegen, ihre Augen waren wie Purpurwindenblüten, die sich auf die Sonne richteten. Leo mußte unwillkürlich lächeln.

»Was geschieht jetzt mit Tony und Ciaire? Ich habe versucht, sie nicht zu verraten, aber dieses Zeug hat mich so wirr im Kopf gemacht — es war schon vorher für sie gefährlich, und jetzt ist es noch schlimmer…« Leo versuchte sie in einem rauhen, aber herzlichen Ton zu beruhigen. »Nichts wird ihnen passieren, Silver. Laß dir von Bruces Wut keinen Schreck einjagen. Es gibt wirklich nicht viel, was er ihnen antun kann, sie sind viel zu wertvoll für Galac-Tech. Er wird sie anschreien, ohne Zweifel, und das kann man ihm nicht übelnehmen; ich bin selbst willens, sie anzuschreien. Der Sicherheitsdienst wird sie unten auf dem Planeten aufgreifen — sie können nicht weit gekommen sein —, sie werden eine Strafpredigt zu hören bekommen, und in ein paar Wochen wird alles vergessen sein. Es wird ihnen eine Lehre sein« Leo zögerte. Welche Lehre würden sie denn aus diesem Fiasko ziehen? — »… alles in allem.«

»Sie tun so, als wäre es gar nichts, wenn man angeschrien wird.«

»Das kommt, wenn man älter wird«, erklärte er. »Eines Tages wirst du genauso empfinden.« Oder kam diese besondere Immunität mit der Macht? Leo war plötzlich unsicher. Aber er hatte keine nennenswerte Macht, außer der Fähigkeit, Dinge zu bauen. Wissen als Macht. Wer hatte jedoch Macht über ihn? Die logische Kette endete in Verwirrung; er zog ungeduldig seine Gedanken von ihr ab. Ein geistiges Spinnrad — so unproduktiv wie der Philosophieunterricht im College.