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»Jetzt empfinde ich es nicht so«, sagte Silver praktisch.

»Schau… hm… ich sag dir was. Wenn du dich dadurch besser fühlst, dann fliege ich mit runter, wenn sie die Kinder ausfindig machen. Vielleicht kann ich die Dinge irgendwie unter Kontrolle halten.«

»Oh, würden Sie das tun? Könnten Sie das tun?«, fragte Silver erleichtert. »So wie Sie versucht haben, mir zu helfen?«

Leo hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. »Hm, ja. So in der Art.«

»Sie haben keine Angst vor Mr. Van Atta. Sie können ihm die Stirn bieten.« Sie verzog entschuldigend die Augenbrauen und winkte mit ihren unteren Armen. »Danke, Leo.« Jetzt zeigte ihr Gesicht sogar etwas Farbe.

»Hm, schon gut. Ich werde mich jetzt lieber beeilen, damit ich noch das Shuttle erwische, das zu Hafen Drei hinunterfliegt. Wir werden sie zum Frühstück wieder gesund und sicher hier haben. Sieh es auf diese Weise: wenigstens kann Galac-Tech ihnen nicht die Kosten für den Extrashuttleflug vom Gehalt abziehen.« Damit erntete er bei ihr sogar ein kurzes Lächeln.

»Leo…« Ihre Stimme klang nüchtern, und er hielt auf seinem Weg zur Tür an. »Was tun wir, wenn… wenn eines Tages jemand kommt, der schlimmer ist als Mr. Van Atta?«

Überquere diese Brücke, wenn du vor ihr stehst, wollte er sagen und der Frage ausweichen. Aber wenn er noch eine einzige Platitüde von sich gab, würde er daran ersticken. Er lächelte, schüttelte den Kopf und floh.

Das Lagerhaus erinnerte Ciaire an ein Kristallgitter. Es hatte überall rechte Winkel und erstreckte sich mit neunzig Grad in jede Dimension; riesige genutete Regale reichten bis zur Decke und bildeten endlose Reihen mit Quergängen. Sie blockierten die Sicht, und sie blockierten den Flug.

Aber hier konnte man nicht fliegen. Sie kam sich vor wie ein verirrtes Molekül, das in den Zwischenräumen eines dotierten Kristallmikroplättchens gefangen war, fehl am Platz, aber in der Falle sitzend. Im Rückblick erschienen ihr jetzt die behaglichen Kurven des Habitats wie umschließende Arme.

Sie drängten sich jetzt in einer leeren Zelle eines Lagerregals zusammen, in einer der wenigen, die sie nicht mit Material belegt gefunden hatten. Ihre Seitenlänge war etwa zwei Meter. Tony hatte darauf bestanden, daß sie zur dritten Lage emporkletterten, damit sie sich über der Augenhöhe eines Planetariers befanden, der zufällig den Korridor entlanggehen mochte, aufrecht auf seinen langen Beinen. Wie sich herausstellte, ließen sich die Leitern, die in Abständen an den Regalen befestigt waren, leichter bewältigen als das Kriechen am Boden, aber es war schrecklich anstregend gewesen, die Tasche nach oben zu bringen, da ihre Leine zu kurz war, als daß sie hätten zuerst hochklettern und sie dann nachziehen können.

Ciaire war insgeheim entmutigt. Andy entdeckte bei sich schon die Fähigkeit, mit Schieben, Grunzen und Zappeln gegen die Schwerkraft anzukämpfen, zwar nur ein paar Zentimeter auf einmal, aber sie hatte die Schreckensvorstellung, daß er über den Rand fallen könnte. Ciaire entwickelte eine Abneigung gegen Ränder.

Ein Gabelstaplerroboter surrte vorbei. Ciaire erstarrte, duckte sich in den hinteren Bereich ihres Schlupfwinkels, preßte Andy an sich und packte eine von Tonys Händen. Das Surren entfernte sich. Sie wagte wieder zu atmen.

»Entspann dich«, quiekste Tony. »Entspann dich…« Er holte tief Luft und bemühte sich offenkundig, seinen eigenen Rat zu befolgen.

Ciaire lugte vorsichtig aus dem Abteil auf den Gabelstapler, der weiter unten im Gang angehalten hatte und jetzt damit beschäftigt war, einen Plastikkarton aus dessen codierter Zelle zu holen.

»Können wir jetzt essen?« In den letzten drei Stunden hatte sie Andy in dem Bemühen, ihn zu beruhigen, immer wieder gestillt, und war jetzt in jedem Sinne des Wortes erschöpft. Ihr Magen knurrte, und ihre Kehle war ausgetrocknet.

»Ich glaube schon«, sagte Tony und holte ein paar Nährriegel aus ihrem Vorrat in der Tasche. »Und dann sollten wir lieber versuchen, uns wieder in den Hangar vorzuarbeiten.«

»Können wir hier nicht ein bißchen länger ausruhen?«

Tony schüttelte den Kopf. »Je länger wir warten, desto größer wird das Risiko, daß sie nach uns suchen. Wenn wir nicht bald an Bord eines Shuttles zur Transferstation kommen, dann fangen sie vielleicht an, die nach draußen bestimmten Sprungschiffe zu durchsuchen, und dann ist unsere Chance dahin, unentdeckt zu bleiben, bis sie unumkehrbar beschleunigt haben.« Andy quäkte und gurgelte; aus seiner Richtung kam ein wohlbekannter Geruch.

»Ach, Schatz, würdest du mir bitte eine Windel geben?«, bat Ciaire.

»Schon wieder? Das ist jetzt schon das viertemal, seit wir das Habitat verlassen haben.« »Ich glaube, ich habe nicht annähernd genug Windeln mitgenommen«, sorgte sich Ciaire, während sie das laminierte Stück aus Papier und Plastik glättete, das Tony ihr gereicht hatte.

»Unsere Tasche ist zur Hälfte mit Windeln gefüllt. Kannst du es nicht so einrichten, daß sie etwas länger reichen?«

»Ich befürchte, er bekommt vielleicht Durchfall. Wenn man die Kacke zu lange an seinem Po läßt, dann beißt sie in seine Haut, die wird ganz rot, blutet sogar, wird infiziert — und dann schreit und heult er jedesmal, wenn man den Po anfaßt und sauberzumachen versucht. Dann schreit er wirklich laut«, betonte sie.

Die Finger von Tonys unterer linker Hand trommelten auf den Boden des Regalfaches, und mit einem Seufzen unterdrückte er seine Frustration. Ciaire wickelte die gebrauchte Windel fest zusammen und machte sich daran, sie wieder in die Tasche zu stopfen.

»Müssen wir die mitschleppen?«, fragte Tony plötzlich. »Nach einiger Zeit wird alles in der Tasche zu stinken anfangen. Außerdem ist sie schon schwer genug.« »Ich habe nirgendwo einen Müllentsorger gesehen«, sagte Ciaire. »Was sollen wir sonst damit tun?«

Tonys Gesicht verzerrte sich in einem inneren Ringen. »Laß sie einfach liegen«, stieß er hervor. »Auf dem Boden. Hier wird sie nicht durch den Gang davonfliegen und in die Belüftungsanlage geraten. Laß sie alle hier.«

Ciaire war sprachlos ob dieser entsetzlichen, revolutionären Idee. Tony folgte seinem eigenen Vorschlag, bevor seine Entschlossenheit ihn wieder verließ, holte die vier kleinen Knäuel heraus und stopfte sie in die hinterste Ecke des Lagerfachs. Er lächelte unsicher, in einer Mischung aus Schuldgefühl und Stolz. Ciaire betrachtete ihn besorgt. Ja, die Situation war außergewöhnlich, aber was war, wenn Tony eine Neigung zu kriminellem Verhalten entwickelte? Würde er wieder zur Normalität zurückkehren, wenn sie dort ankamen — wohin auch immer sie unterwegs waren?

Falls sie dort ankamen. Ciaire stellte sich vor, wie ihre Verfolger der Fährte der schmutzigen Windeln folgten, die sich durch die halbe Galaxis zog, wie die Spur aus Blütenblättern, die jene Heldin in einem von Silvers Buch hatte fallenlassen…

»Wenn du ihn fertig hast«, sagte Tony mit einem Kopfnicken in Richtung seines Sohnes, »dann sollten wir uns vielleicht lieber auf den Weg machen, zurück zum Hangar. Die Planetarier sind inzwischen vielleicht schon wieder weg.«

»Wie wählen wir diesmal ein Shuttle aus?«, fragte Ciaire. »Wie wissen wir, daß es nicht einfach direkt zurück zum Habitat fliegt — oder daß es eine Fracht aufnimmt, die im Vakuum entladen wird? Wenn sie im All die Luft aus dem Frachtraum rauslassen, während wir drin sind…«

Tony schüttelte den Kopf und preßte die Lippen aufeinander. »Ich weiß es nicht. Aber Leo sagt — wenn man ein großes Problem lösen oder ein großes Projekt fertigstellen möchte, dann besteht das Geheimnis darin, daß man es in lauter kleine Schritte zerlegt und dann der Reihe nach einen nach dem anderen in Angriff nimmt. Also — gehen wir zuerst einfach zum Hangar zurück. Und schauen, ob dort überhaupt Shuttles sind.«