Ciaire nickte, dann stockte sie. Andy war nicht der einzige von ihnen, den die Biologie plagte, überlegte sie grimmig. »Tony, glaubst du, wir können auf dem Rückweg eine Toilette finden? Ich muß mal.«
»Jaa, ich auch«, gab Tony zu. »Hast du eine auf dem Weg hierher gesehen?«
»Nein.« Diese Örtlichkeiten ausfindig zu machen hatte sie auf dieser alptraumhaften Wanderung nicht sonderlich beschäftigt, als sie über den Boden krochen, vorbeieilenden Planetariern auswichen und sie Andy dicht an sich preßte, aus Angst, er könnte gleich losheulen. Ciaire war sich nicht einmal sicher, daß sie die Strecke rekonstruieren konnte, die sie gekommen waren, als sie aus ihrem ersten Versteck vertrieben worden waren, von jener geschäftigen Arbeitsmannschaft, die ihre Maschinen bestiegen und angelassen hatten.
»Es muß hier was geben«, überlegte Tony optimistisch, »schließlich arbeiten hier ja Menschen.«
»Nicht in diesem Bereich«, bemerkte Ciaire, als sie auf die Mauer aus Lagerzellen jenseits des Gangs schaute. »Hier gibt es nur Roboter.«
»Dann zurück zum Hangar. Sag mal…« Seine Stimme wurde unsicher. »Hm… weißt du zufällig, wie eine Toilette im Schwerkraftfeld aussieht? Wie geht es da vor sich? Luftabsaugung wird ja wohl nicht mit den Gravitationskräften fertig.«
In einem von Silvers eingeschmuggelten historischen Vid-Dramas hatte es eine Szene mit einem Aborthäuschen gegeben, aber Ciaire war sich sicher, daß diese Technik veraltet war. »Ich glaube, man benutzt irgendwie Wasser.«
Tony zog seine Nase kraus und zuckte verblüfft die Achseln. »Wir werden es herausfinden.« Sein Blick fiel sehnsüchtig auf die kleinen Windelknäuel in der Ecke. »Es ist zu schade…«
»Nein!«, sagte Ciaire entsetzt. »Oder zumindest — zumindest versuchen wir zuerst, eine Toilette zu finden.«
»In Ordnung…«
Ein fernes rhythmisches Klopfen wurde immer lauter. Tony, der gerade dabei war, sich auf die Leiter hinauszuschwingen, ließ sich ins Regalfach zurückfallen. Er hielt einen Finger vor den Mund, in seinem Gesicht zeichnete sich Panik ab. Sie zogen sich ganz schnell in den rückwärtigen Teil der Zelle zurück.
»Aaah?«, sagte Andy. Ciaire nahm ihn hoch und stopfte ihm eine Brustwarze in den Mund. Gesättigt und gelangweilt, lehnte er das Stillen ab und drehte seinen Kopf weg. Ciaire ließ ihr T-Shirt wieder herabfallen und versuchte ihn abzulenken, indem sie stumm alle seine geschäftigen Finger zählte. Er war jetzt auch wie sie mit Dreck beschmiert; das war keine große Überraschung, denn Planeten bestanden aus Dreck. Dreck sah aus der Entfernung besser aus. Etwa aus einer Entfernung von ein paar hundert Kilometern…
Das Klopfen wurde lauter, kam unter ihrer Zelle vorbei, wurde leiser.
»Ein Wachmann von der Firma«, flüsterte Tony in Claires Ohr.
Sie nickte und wagte kaum zu atmen. Das Klopfen kam von diesen harten Fußbekleidungen der Planetarier, die auf den Zementboden auftrafen. Einige Minuten vergingen, und das Klopfen kam nicht wieder. Andy gab nur leise gurrende Laute von sich.
Tony steckte den Kopf vorsichtig zur Kammer hinaus, schaute nach links und rechts, oben und unten. »In Ordnung. Mach dich bereit, mir beim Herunterlassen der Tasche zu helfen, sobald dieser nächste Gabelstapler vorbei ist. Wir müssen sie den letzten Meter fallen lassen, aber vielleicht überdeckt der Lärm des Gabelstaplers das Geräusch ein bißchen.«
Zusammen schoben sie die Tasche an den Rand der Zelle und warteten. Der surrende Robostapler kam den Gang heruntergefahren und hatte auf seinem Heber eine riesige Lagerkiste, die fast so groß wie eine Lagerzelle war.
Der Gabelstapler hielt unter ihnen an, piepste vor sich hin und drehte sich um neunzig Grad. Mit einem winselnden Geräusch begann sein Heber nach oben zu fahren.
In diesem Augenblick erinnerte sich Ciaire, daß ihre Zelle als einzige in diesem Regal leer war.
»Er kommt hierher! Wir werden zerquetscht!«
»Hinaus! Hinaus auf die Leiter!«, schrie Tony.
Statt dessen sauste sie zurück, um Andy zu packen, den sie an der Rückseite der Kammer abgelegt hatte, so weit weg vom schreckenerregenden Rand wie möglich, bevor sie Tony geholfen hatte, die Tasche nach vorn zu schieben. Die Kammer wurde dunkel, als die heraufkommende Kiste die Öffnung verdeckte. Tony konnte sich mit Mühe und Not daran vorbei zur Leiter schieben, während der Stapler begann, die Kiste hineinzuschieben.
»Ciaire!«, schrie Tony. Er trommelte sinnlos auf die Seitenwand der großen Plastikkiste. »Ciaire! Nein, Nein! Blöder Roboter! Stop, stop!«
Aber der Gabelstapler war offensichtlich nicht sprachgesteuert. Er machte weiter und schob ihre Tasche vor sich her. An den Seiten der Kiste und oben waren nur wenige Zentimeter Spielraum. Ciaire wich zurück. Sie war so entsetzt, daß ihre Schreie wie Baumwollknäuel in ihrer Kehle steckenblieben und sie nur ein unartikuliertes Quietschen hervorbrachte. Zurück, zurück; die kalte Metallwand hinter ihr hielt sie auf. Sie drückte sich dagegen, so gut sie konnte; dabei stand sie auf ihren unteren Händen und hielt Andy mit den oberen. Er heulte jetzt, angesteckt von ihrer Angst, und gab ein ohrenbetäubendes Gekreisch von sich.
»Ciaire!«, schrie Tony von der Leiter, ein entsetztes Gebrüll unter Tränen. »ANDY!« Die Tasche neben ihnen wurde zusammengepreßt. Leise knirschende Geräusche drangen aus ihr. Im letzten Augenblick nahm Ciaire Andy mit ihren unteren Armen, unter ihrem Rumpf, und stemmte sich mit den oberen gegen die Kiste, gegen die Schwerkraft. Vielleicht würde ihr Körper, wenn er zerquetscht würde, die Kiste gerade weit genug weghalten, um Andy zu retten — die Servomechanismen des Gabelstaplers kreischten unter der Überlast…
Und begannen sich zurückzuziehen. Ciaire entschuldigte sich stumm bei ihrer übergroßen Tasche für all die Flüche, mit denen sie und Tony in den vergangenen Stunden ihr Gepäck bedacht hatten. Nichts darin würde noch so aussehen wie zuvor, aber es hatte sie gerettet.
Der Gabelstapler ruckte, sein Getriebe knirschte verwirrt. Die Kiste verschob sich auf ihrer Palette und stand jetzt nicht mehr normgerecht. Während sich der Hebearm zurückzog, rutschte die Kiste mit, von Reibung und Schwerkraft gezogen, und entfernte sich mehr und mehr aus der richtigen Stellung.
Mit offenem Mund beobachtete Ciaire, wie die Kiste sich neigte und aus der Öffnung fiel, dann stürzte Ciaire nach vorn. Als die Kiste auf dem Beton aufschlug, erschütterte der Aufprall das Lagerhaus, darauf folgte ein dröhnendes Echo, das lauteste Geräusch, das Ciaire je gehört hatte. Die Kiste riß den Gabelstapler mit sich, dessen Räder hilflos in der Luft surrten, während der Roboter auf die Seite fiel.
Die Macht der Schwerkraft war erstaunlich. Die Kiste platzte auf, ihr Inhalt quoll heraus. Hunderte von Radkappen sprangen heraus und klirrten wie eine Horde von Zimbeln. Ungefähr ein Dutzend rollten nach beiden Seiten des Gangs davon, als wollten sie fliehen, eierten gegen die Korridorwände und fielen auf die Seite, wobei sie sich immer noch drehten und allmählich leiser werdende Geräusche von sich gaben. In der erstaunlichen Stille, die darauf folgte, klangen die Echos noch einen Moment lang in Claires Ohren nach.
»O Ciaire!« Tony kroch zurück in die Zelle und umschlang sie mit allen Armen, mit Andy dazwischen, als ob er sie nie wieder loslassen würde. »O Ciaire…« Seine Stimme schnappte über, während er sein Gesicht an ihrem weichen kurzen Haar rieb.
Ciaire schaute über seine Schulter auf das Durcheinander, das sie unten angerichtet hatten. Der umgefallene Robostapler piepste wieder, wie ein verletztes Tier. »Tony, ich glaube, wir sollten lieber hier abhauen«, schlug sie leise vor.