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»Eine moralische Verpflichtung«, brachte Leo verzweifelt vor. »Sicherlich muß Galac-Tech eine gewisse moralische Verpflichtung ihnen gegenüber eingestehen — wir haben sie ja schließlich geschaffen.« Jetzt betrat er schwankenden Boden, wie er an ihrem Gesicht ablesen konnte, in dem sich kein Mitgefühl zeigte, aber er konnte noch nicht erkennen, in welche Richtung der Boden sich neigen würde.

»Moralische Verpflichtung allerdings«, stimmte Apmad zu und ballte die Fäuste. »Haben Sie die Tatsache übersehen, daß Dr. Cay diese Kreaturen fortpflanzungsfähig geschaffen hat? Sie sind eine neue Spezies, wissen Sie; er hat sie Homo quadrimanus genannt, nicht Homo sapiens Unterart quadrimanus. Er war der Genetiker; wir dürfen annehmen, daß er wußte, worüber er sprach. Wie steht es mit Galac-Techs moralischer Verpflichtung gegenüber der menschlichen Gesellschaft als Ganzem? Was meinen Sie, wie sie reagieren wird, wenn diese Kreaturen und all ihre Probleme einfach ihr aufgehalst werden? Falls Sie meinen, daß die Öffentlichkeit auf chemische Umweltverschmutzung überreagiert, dann stellen Sie sich einmal die Aufregung über genetische Verunreinigung vor!«

»Genetische Verunreinigung?«, murmelte Leo und versuchte, diesem Begriff eine rationale Bedeutung abzugewinnen. Zumindest klang er beeindruckend.

»Nein. Wenn das Cay-Projekt sich als Galac-Techs teuerster Flop entpuppt, dann werden wir es entsprechend ad acta legen. Die Cay-Arbeiter werden sterilisiert und in eine geeignete Anstalt gesteckt, wo sie dann ihr Leben ansonsten ungestört zu Ende führen können. Keine ideale Lösung, aber der bestmögliche Kompromiß.« »St-st…«, stotterte Leo. »Welches Verbrechen haben sie begangen, daß sie zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt werden? Und wenn Rodeo geschlossen werden soll, wo werden Sie ein anderes passendes Habitat in einer Umlaufbahn finden oder bauen? Wenn Sie sich über die Kosten Sorgen machen, Madame, so wird das teuer werden.«

»Sie werden natürlich auf einen Planeten gebracht, zu einem Bruchteil der Kosten.«

Vor Leos geistigem Auge entstand eine Vision von Silver, wie sie ungeschickt über den Boden krabbelte, wie ein Vogel, dessen Schwingen beide gebrochen sind. »Das ist obszön! Sie werden nicht mehr als bloße Krüppel sein.«

»Obszönität«, versetzte Apmad, »bestand von Anfang an darin, daß sie überhaupt geschaffen wurden. Bis nach Dr. Cays Tod seine Abteilung mir unterstellt wurde, hatte ich keine Ahnung, daß sich hinter seiner Bezeichnung ›Biologische Forschung und Entwicklung‹ solche enormen invasiven Manipulationen an menschlichen Genen verbargen. Meine Heimatwelt hat die strengsten drakonischen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, daß unser Genpool nicht von zufälligen Mutationen überwuchert wird — loszugehen und absichtlich Mutationen einzuführen, erscheint als das scheußlichste Verbrechen…« Sie hielt den Atem an und drängte wieder ihre Emotionen zurück. Nur ihre Finger verrieten mit ihrem nervösen Trommeln, was sie fühlte. »Die richtige Methode ist Euthanasie. So schrecklich sie auf den ersten Blick erscheinen mag, ist sie vielleicht auf lange Sicht gesehen in Wirklichkeit weniger grausam.«

Gavin, der Buchhalter, wand sich und lächelte seiner Chefin unsicher zu. Er hatte seine Augenbrauen zuerst überrascht gehoben, dann bestürzt gesenkt, und schließlich wieder gehoben — vielleicht nahm er sie nicht ernst. Leo dachte nicht, daß sie einen Scherz gemacht hatte, aber Gavin fügte in einem spaßhaft professionellen Ton an: »Sie wäre kosteneffektiver. Wenn man es vor dem Ende dieses Steuerjahrs erledigen würde, dann könnten wir die Quaddies als Verlust — und zwar als totalen — bei den Orient-Steuern verbuchen.«

Leo kam sich vor, als hinge er in einem Glaskäfig. »Das können Sie nicht tun«, flüsterte er. »Sie sind Menschen — Kinder —, das wäre Mord …«

»Nein, wäre es nicht«, leugnete Apmad. »Widerwärtig, gewiß, aber kein Mord. Das war der andere Grund, warum das Cay-Projekt in der Umlaufbahn um Rodeo stationiert wurde. Rodeo ist nicht nur physikalisch, sondern auch juristisch isoliert. Das gehört zu der Neunundneunzigjahre-Pacht. Das einzige Gesetz, das im Lokalraum von Rodeo gilt, sind die Vorschriften von Galac-Tech. Ich fürchte, das hat weniger mit Voraussicht zu tun als mit Dr. Cays erfolgreicher Blockade jeglicher Einmischung in seine Pläne. Aber wenn sich Galac-Tech dafür entscheidet, die Arbeiter vom Cay-Habitat nicht als Menschen zu definieren, dann gelten die Firmenvorschriften über Verbrechen diesbezüglich nicht.«

»Oh, wirklich?« Bannerjis Gesicht hellte sich etwas auf.

»Wie definiert Galac-Tech sie dann?«, fragte Leo neugierig. »Juristisch.«

»Postfötale experimentelle Gewebekulturen«, sagte Apmad. »Und wie bezeichnen Sie es dann, wenn man sie ermordet? Retroaktive Abtreibung?«

»Entsorgung«, sagte Apmad, und es klang, als wäre ihre Nase plötzlich verstopft.

»Oder«, Gavin warf Bannerji einen sarkastischen Blick zu, »vielleicht Vandalismus. Unsere einzige gesetzliche Bedingung ist, daß experimentelles Gewebe bei der Entsorgung verbrannt wird. Nach den IGS-Standardregeln für Biolabors.«

»Schießt sie mit einer Rakete in die Sonne«, schlug Leo gereizt vor. »Das wäre billig.«

Van Atta strich sich sanft übers Kinn und blickte Leo unsicher an. »Beruhigen Sie sich, Leo. Wir reden hier nur über mögliche Szenarios. Militärische Stäbe tun das die ganze Zeit.«

»Ganz recht«, stimmte die Vizepräsidentin zu. Sie hielt inne und warf Gavin, dessen Schnoddrigkeit ihr nicht gefiel, einen mißbilligenden Blick zu. »Hier müssen ein paar harte Entscheidungen getroffen werden, auf die ich nicht scharf bin, aber es scheint, daß sie mir zugeschoben wurden. Besser mir als jemandem, der für die langfristigen Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft blind ist wie Dr. Cay. Aber vielleicht, Mr. Graf, werden Sie den Wunsch haben, sich Mr. Van Atta anzuschließen und zu zeigen, wie Dr. Cays ursprüngliche Vision immer noch mit einem Gewinn realisiert werden kann, sodaß wir alle es vermeiden können, die härtesten Entscheidungen treffen zu müssen.«

Van Atta lächelte Leo ölig triumphierend zu. Gerechtfertigt, rachsüchtig, berechnend … »Um zum vorliegenden Fall zurückzukehren«, sagte Van Atta, »ich habe gefordert, daß Captain Bannerji fristlos gekündigt wird, wegen seiner Fehlentscheidung und« — er blickte auf Gavin — »wegen Vandalismus. Ich möchte auch vorschlagen, daß seine Abteilung mit den Kosten der Krankenhausbehandlung von TY-776-424-X-G belastet wird.« Bannerji sank zusammen, Administratorin Chalopin erstarrte.

»Aber es wird für mich zunehmend offensichtlich«, fuhr Van Atta fort und richtete dabei sein unangenehmstes Lächeln an Leo, »daß hier noch einer anderen Angelegenheit nachgegangen werden muß …«

Ach du große Scheiße, dachte Leo, jetzt wird er mich mit dem tätlichen Angriff belasten — eine achtzehnjährige Karriere löst sich in Rauch auf — und ich habe es mir selbst eingebrockt — und ich bin nicht einmal dazu gekommen, die Sache zu Ende zu bringen …

»Subversion.«

»Was?«, sagte Leo.

»Die Quaddies sind in den letzten paar Monaten zunehmend widerspenstig geworden. Gleichzeitig mit Ihrer Ankunft, Leo.« Van Atta kniff die Augen zusammen. »Nach dem Ereignis des heutigen Tages frage ich mich, ob das ein Zufall war. Ich denke eher nicht. Ist es nicht so«, er wirbelte herum und zeigte dramatisch auf Leo, »daß Sie Tony und Ciaire zu dieser Eskapade angestachelt haben?«

»Ich!« sprudelte Leo empört heraus, dann hielt er inne. »Es stimmt, Tony kam einmal zu mir mit einigen sehr seltsamen Fragen, aber ich dachte, er sei bloß neugierig über seinen zukünftigen Arbeitsauftrag. Jetzt wünschte ich, ich hätte …«