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Claires Weinen war so gedämpft, daß es kaum zu hören war.

Leo schloß gequält die Augen. »Gott«, fragte er, »warum ich?«

Er löste seinen letzten Gurt und ließ sich blindlings in seine Zukunft fallen.

KAPITEL 7

»Leo!« Silver hielt sich mit einer Hand fest und pochte mit den anderen drei sanft und verzweifelt zugleich an die Tür des Schlafraums des Ingenieurs. »Leo, schnell! Wachen Sie auf, helfen Sie uns!« Sie legte ihre Wange an das kalte Plastik und dämpfte die aus ihr hervorbrechenden Schreie zu einem leisen »Leo?« Sie wagte nicht lauter zu rufen, um nicht andere aufmerksam zu machen.

Endlich öffnete sich seine Tür. Er trug ein rotes T-Shirt und rote Shorts und war barfuß. Sein Schlafsack an der gegenüberliegenden Wand hing offen wie ein leerer Kokon, und sein dünnes sandblondes Haar war zerzaust. »Was, zum Teufel … Silver?« Sein Gesicht war runzelig vom Schlaf, dunkle Ringe umgaben die Augen, aber sein Blick erfaßte sie sofort.

»Kommen Sie schnell, kommen Sie schnell!«, zischte Silver und packte seine Hand. »Es geht um Ciaire. Sie hat versucht, sich durch eine Luftschleuse hinauszustürzen. Ich habe die Steuerung blockiert. Sie kann die äußere Tür nicht aufmachen, aber ich kann auch die innere Tür nicht öffnen, und sie ist da drinnen eingesperrt. Unsere Vorgesetzte kommt bald zurück, und dann weiß ich nicht, was man mit uns anstellen wird …«

»Mistkerl …« Er ließ sich von ihr in den Korridor ziehen, dann taumelte er zurück in seine Kabine und holte einen Werkzeuggürtel. »Schon gut, geh, geh, geh voran.« Sie eilten durch das Labyrinth des Habitats und lächelten gezwungen und höflich den Quaddies und Planetariern zu, an denen sie in den Korridoren vorbeischwebten. Endlich schloß sich die vertraute Tür mit der Aufschrift ›Hydrokultur D‹ hinter ihnen.

»Was ist geschehen? Wie ist das passiert?«, fragte Leo sie, während sie zwischen den Pflanzrohren hindurch auf das andere Ende des Moduls zustrebten.

»Vorgestern erlaubte man mir nicht, Ciaire zu besuchen, als ihr sie mit dem Shuttle zurückgebracht hattet, obwohl wir beide auf der Krankenstation waren. Gestern waren wir in verschiedenen Teams. Ich denke, das war Absicht. Heute ließ ich Teddie mit mir tauschen.« In Silvers Stimme war ihre Qual zu spüren. »Ciaire sagte, man lasse sie in ihrer schichtfreien Zeit nicht einmal in die Krippe, um Andy zu besuchen. Ich ging in das Lager, um Dünger für die Pflanzrohre zu holen, an denen wir arbeiteten, und als ich zurückkam, begann sich die Schleuse gerade zu aktivieren …« Wenn sie doch Ciaire bloß nicht allein gelassen hätte — wenn sie vor allem nicht zugelassen hätte, daß die beiden mit dem Shuttle nach unten flogen — wenn sie sie nur nicht wegen Dr. Yeis Drogen verraten hätte — wenn sie bloß als Planetarier zur Welt gekommen wären — oder überhaupt nicht geboren …

Die Luftschleuse am Ende des Hydrokultur-Moduls wurde fast nie benutzt und wartete nur darauf, die luftdichte Tür zum nächsten Modul zu werden, die durch zukünftiges Wachstum notwendig werden würde. Silver preßte ihr Gesicht an das Beobachtungsfenster. Zu ihrer ungeheuren Erleichterung war Ciaire noch in der Schleuse.

Aber sie rammte sich hin und her zwischen den beiden Türen. Ihr Gesicht war mit Tränen und Blut beschmiert, ihre Finger gerötet. Ob sie nach Luft japste oder nur schrie, konnte Silver nicht sagen, denn die Tür schluckte alle Geräusche von drinnen, es war wie ein Holovid mit abgeschaltetem Ton. Silver empfand ihre eigene Brust so zusammengepreßt, daß sie kaum zu atmen vermochte.

Leo blickte hinein. Er verzog die Lippen, sein bleiches Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. Dann wandte er sich zischend dem Schleusenmechanismus zu und tastete suchend an seinem Werkzeuggürtel herum. »Du hast das aber gut hingekriegt, Silver …« »Ich mußte schnell etwas tun. Diese Art Kurzschluß hat verhindert, daß in der Systemzentrale der Alarm losgeht.«

»Oh …« Leos Hand zögerte kurz. »Dann war der Versuch nicht so willkürlich, wie es aussieht?«

»Willkürlich? Im Steuerkasten einer Luftschleuse?« Sie starrte ihn überrascht und etwas ungehalten an. »Ich bin doch keine Fünfjährige mehr!« »Wirklich nicht.« Ein schiefes Grinsen huschte für einen Augenblick über sein angespanntes Gesicht. »Jeder sechsjährige Quaddie kennt sich schon aus. Ich entschuldige mich, Silver. Das Problem ist also nicht, wie wir die Tür aufbekommen, sondern wie wir das schaffen, ohne den Alarm auszulösen.«

»Ja, richtig.« Sie schaute ihm ängstlich über die Schulter.

Er überprüfte den Mechanismus und blickte dann zögernd auf die Tür der Luftschleuse, die unter den Schlägen von innen vibrierte. »Bist du sicher, daß Ciaire nicht irgendwie — mehr Hilfe braucht?«

»Sie braucht vielleicht Hilfe«, versetzte Silver, »aber was sie bekommt, ist Dr. Yei.«

»Ach ja … du hast recht.« Sein Grinsen verschwand völlig. Er schnitt ein paar winzige Drähte durch und verband sie erneut. Mit einem letzten mißtrauischen Blick auf die Schleusentür tippte er auf eine Druckplatte innerhalb des Steuermechanismus.

Die innere Tür glitt zur Seite und Ciaire taumelte heraus. Sie keuchte heiser: »… laßt mich gehen, laßt mich gehen, oh, warum habt ihr mich nicht gehen lassen — ich halte das nicht aus …« Sie rollte sich mitten in der Luft zu einer Kugel zusammen und verbarg ihr Gesicht.

Silver eilte zu ihr und umschlang sie mit den Armen. »O Ciaire! Tu das nicht. Denk daran — denk daran, wie Tony sich fühlen würde, wenn man es ihm im Krankenhaus, wo er jetzt steckt, erzählen würde …«

»Was spielt das noch für eine Rolle?«, fragte Ciaire. Silvers blaues T-Shirt dämpfte ihre Stimme. »Ihn wird man mich nie wiedersehen lassen. Ich könnte genauso gut tot sein. Man wird mich Andy nie wiedersehen lassen …«

»Ja«, schaltete sich Leo ein, »denk an Andy. Wer wird ihn schützen, wenn du nicht mehr da bist? Nicht nur heute, sondern auch nächste Woche, nächstes Jahr …«

Ciaire streckte sich und schrie ihn geradezu an: »Man wird mich ihn nicht einmal sehen lassen! Man hat mich aus der Krippe hinausgeworfen …« Leo ergriff ihre oberen Hände. »Wer? Wer hat dich hinausgeworfen?«

»Mr. Van Atta …«

»Stimmt, das hätte ich mir denken können. Ciaire, hör mir mal zu. Die richtige Reaktion auf Bruce ist nicht Selbstmord, sondern Mord.«

»Wirklich?«, sagte Silver, deren Interesse geweckt war. Selbst Ciaire wurde so weit aus ihrem Elend gerissen, daß sie zum erstenmal Leo direkt in die Augen schaute.

»Na ja … vielleicht nicht buchstäblich. Aber du darfst nicht zulassen, daß der Mistkerl dich fertigmacht. Schau her, wir alle hier sind intelligent, nicht wahr? Ihr Kinder seid intelligent — von mir weiß man, daß ich zu meiner Zeit ein oder zwei Probleme gelöst habe — wir sollten doch fähig sein, einen Ausweg aus diesem Schlamassel zu finden, wenn wir es nur versuchen. Du bist nicht allein, Ciaire. Wir werden dir helfen. Ich werde dir helfen.«

»Aber Sie sind ein Mann von der Firma — ein Planetarier — warum sollten Sie …«

»Galac-Tech ist nicht Gott, Ciaire. Du solltest der Firma nicht deinen Erstgeborenen opfern müssen. Galac-Tech — und jede Firma — ist nur eine Art, eine bestimmte Art, wie Menschen sich organisieren, um eine Aufgabe zu erfüllen, die zu groß für eine Person allein ist. Galac-Tech ist nicht Gott, es ist nicht einmal ein Lebewesen, um Himmels willen! Es hat keinen freien Willen, für den es verantwortlich ist. Es ist nur eine Ansammlung von Leuten, die arbeiten. Bruce ist nur Bruce; es muß eine Methode geben, ihn zu umgehen.«