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»Meinen Sie, über seinen Kopf hinweggehen?«, fragte Silver nachdenklich. »Vielleicht zu der Vizepräsidentin, die letzte Woche hier war?«

Leo zögerte. »Na ja … vielleicht nicht zu Apmad. Aber ich habe darüber nachgedacht — drei Tage lang habe ich über nichts anderes nachgedacht als darüber, wie wir diesen ganzen miserablen Laden hochgehenlassen können. Aber du mußt durchhalten, damit ich Zeit habe, daran zu arbeiten — Ciaire, kannst du durchhalten? Kannst du das?« Seine Hände umfaßten die ihren beschwörend.

Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es tut so weh …«

»Du mußt! Schau, hör zu! Es gibt nichts, was ich hier auf Rodeo tun könnte, denn es befindet sich in dieser seltsamen juristischen Luftblase. Wenn es da eine reguläre planetarische Regierung gäbe, dann würde ich mich bis über den Hals verschulden, das schwöre ich dir, und jedem einzelnen von euch ein Ticket weg von hier kaufen, aber wenn Rodeo ein regulärer Planet wäre, dann brauchte ich das nicht. Auf jeden Fall hat hier Galac-Tech ein Monopol auf die Plätze in den Sprungschiffen; man reist mit einem Firmenschiff oder überhaupt nicht. Also müssen wir warten und den rechten Zeitpunkt abpassen. Aber bald — in nur ein paar Monaten — werden die ersten Quaddies Rodeo zu den ersten echten Arbeitseinsätzen verlassen. Dort, wo sie arbeiten und durchreisen, werden wirkliche planetarische Jurisdiktionen gelten. Regierungen, die selbst für Galac-Tech zu groß und zu mächtig sind, als daß die Firma sich mit ihnen anlegen könnte. Ich bin mir sicher — ziemlich sicher, wenn ich mir den richtigen Gerichtsort aussuche — natürlich nicht Apmads Planet, aber zum Beispiel die Erde — die Erde ist bei weitem am besten geeignet, ich bin Bürger dort —, dann kann ich einen Gruppenprozeß anstrengen und euch zu rechtsfähigen Personen erklären lassen. Ich werde wahrscheinlich meinen Job verlieren, und die Kosten werden mich auffressen, aber es ist möglich. Nicht gerade die Lebensarbeit, die ich vorhatte … aber am Ende könnt ihr von Galac-Tech losgelöst werden.«

»Das dauert so lang«, seufzte Ciaire.

»Nein, nein, Aufschub ist unser Freund. Die Kleinen werden mit jedem Tag größer. Zu dem Zeitpunkt, wenn der Prozeß durch ist, dann werdet ihr alle bereit sein. Geht als Gruppe — nehmt einen Auftrag an — findet Arbeit — selbst Galac-Tech wäre nicht so schlecht als Arbeitgeber, wenn ihr Staatsbürger und Angestellte mit allem gesetzlichen Schutz wäret. Vielleicht würde euch sogar die Raumfahrergewerkschaft aufnehmen, obwohl euch das vielleicht einengen würde — nun, da bin ich mir nicht sicher. Falls sie euch nicht als Bedrohung sehen … auf jeden Fall kann etwas zuwege gebracht werden. Aber du mußt durchhalten! Versprichst du es mir?«

Silver atmete auf, als Ciaire langsam nickte. Sie zog Ciaire mit sich zu dem Erste-Hilfe-Schränkchen an der Wand, um ihr das Blut von ihrem verletzten Gesicht abzuwischen und auf ihre zerbrochenen Fingernägel Antiseptika und Plastikverband aufzutragen. »Ja. Ja. So ist es besser …«

Leo stellte inzwischen die Steuerung der Luftschleuse wieder auf ihre ursprüngliche Funktionsweise ein, dann schwebte er zu ihnen hinüber. »Ist jetzt alles in Ordnung?« Er wandte sein Gesicht Silver zu. »Wird es gehen mit ihr?«

Silver konnte einen finsteren Blick nicht unterdrücken. »So gut wie mit uns allen … es ist nicht fair!«, brach es aus ihr heraus. »Das ist meine Heimat, aber ich beginne mich darin zu fühlen wie in einer Sauerstoffflasche mit Überdruck. Alle sind besorgt, alle Quaddies, über Tony und Ciaire. So etwas hat es nicht mehr gegeben seit damals, als Jamie bei dem schrecklichen Schubschiffunfall getötet wurde. Aber das jetzt — das war Absicht. Wenn sie das Tony antun, der doch so gut ist, was ist dann … ist dann mit mir? Mit uns allen? Was wird als nächstes geschehen?«

»Ich weiß es nicht.« Leo schüttelte grimmig den Kopf. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß die Idylle vorbei ist. Das ist erst der Anfang.«

»Aber was werden wir machen? Was können wir machen?«

»Nun — geratet nicht in Panik. Und verzweifelt nicht. Vor allem — verzweifelt nicht …«

Die luftdichten Türen am anderen Ende des Moduls öffneten sich, und die Stimme der Leiterin der Hydrokulturabteilung, einer Planetarierin, war zu hören: »Mädels? Wir haben endlich die Samenlieferung mit dem Shuttle bekommen — ist dieses Pflanzrohr schon fertig?«

Leo zuckte zusammen, aber bevor er davoneilte, drehte er sich ein letztesmal um und ergriff je eine Hand der beiden Quaddies und drückte sie entschlossen. »Es ist nur eine alte Redensart, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, daß sie wahr ist: Das Glück begünstigt den, der vorbereitet ist. Also bleibt stark — ich werde zu euch zurückkommen …« Mit einem kunstvoll beiläufigen Gähnen drückte er sich an der Leiterin der Hydrokultur vorbei, so als hätte er nur mal einen Moment hereingeschaut, um zu sehen, wie die Arbeit vonstatten ginge.

Silvers Magen krampfte sich zusammen, als sie Ciaire ängstlich beobachtete. Ciaire schniefte und wandte sich eilends ab, um sich an dem Pflanzrohr zu schaffen zu machen, wobei sie ihr Gesicht vor der Leiterin verbarg. Silver zitterte vor Erleichterung. Im Augenblick war alles in Ordnung. Der Krampf in Silvers Magen wurde langsam durch etwas anderes ersetzt, etwas Heißes und Unbekanntes, das sie erfüllte und die Angst verdrängte. Wieso wagen sie es, ihr das anzutun — mir — uns? Sie haben kein Recht, kein Recht, kein Recht …

Die Empörung ließ ihr Herz pochen, aber das war besser als die Angst. Und sie empfand fast ein Hochgefühl. Als Silver den Kopf beugte, um ihr Gesicht vor der Leiterin zu verbergen, war ihr Blick grimmig und finster.

Die Ernährungsassistentin, ein Quaddie-Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren, reichte Leo sein Essenstablett durch die Durchreiche ohne ihr gewohntes strahlendes Lächeln. Als Leo lächelte und ›Danke‹ sagte, verzog sie nur kurz den Mund mechanisch nach oben. Leo fragte sich, in welcher verzerrten Form die Geschichte von Claires und Tonys Katastrophe vergangene Woche auf dem Planeten ihr zu Ohren gekommen war. Nicht, daß die korrekten Fakten nicht schon deprimierend genug waren. Das ganze Habitat schien in eine Atmosphäre von Argwohn und Bestürzung getaucht zu sein.

Leo war plötzlich der Quaddies und ihrer Probleme schrecklich überdrüssig. Einer Gruppe seiner Schüler, die in der Nähe der Durchreiche ihr Mittagessen einnahmen, wich er aus, obwohl sie ihm mit verschiedenen Händen zuwinkten; statt dessen schwebte er durch das Modul, bis er einen freien Platz fand, wo er sein Tablett neben einer Person mit Beinen an einen Tisch kletten konnte. Als Leo erkannte, daß es sich bei der Person mit Beinen um den Kapitän des Nachschubshuttles, Durrance, handelte, war es zum Rückzug schon zu spät. Aber Durrances gebrummter Gruß war ohne Animosität. Offensichtlich hielt er, im Gegensatz zu einigen anderen, die Leo benennen konnte, den Ingenieur nicht auf undurchsichtige Weise verantwortlich für das spektakuläre Fiasko seines Schülers Tony. Leo schlüpfte mit seinen Beinen in die Haltegurte, um seine Hände für das Essen freizubekommen, erwiderte das Brummeln des Kapitäns und saugte heißen Kaffee aus seiner Spritztasse. Es gab im ganzen Universum nicht genug Kaffee, um seine Dilemmas aufzulösen.

Durrance, so schien es, war sogar in der Stimmung für höfliche Konversation. »Nehmen Sie bald Ihren Planetenurlaub?«

»Bald …« In etwa einer Woche, wurde Leo mit Überraschung bewußt. Die Zeit entfernte sich von ihm, wie alles andere hier oben. »Wie ist Rodeo?« »Langweilig.« Durrance schob sich mit dem Löffel etwas Gemüseauflauf in den Mund.

»Aha.« Leo blickte sich um. »Ist Ti bei Ihnen?«

Durrance schnaubte. »Wohl kaum! Er ist unten auf dem Planeten, auf Eis gelegt. Er hat Einspruch erhoben.« Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Dabei stößt er bei mir nicht auf Mitgefühl. Wegen dieser verdammten Kaulquappe habe ich einen Verweis in meiner Personalakte. Wenn das sein erster Schnitzer gewesen wäre, dann hätte er vielleicht einer Kündigung entgehen können, aber jetzt glaube ich, daß er keine Chance mehr hat. Ihr Van Atta möchte sein Fell an eine Luftschleusentür genagelt sehen.«