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»Schmerzlos für wen?«

»Für alle.« Van Atta wurde entschlossener und beugte sich mit einem finsteren Blick Leo entgegen. »Das bedeutet, daß ich keine Panik gebrauchen kann und keine wilden Gerüchte, hören Sie? Ich möchte, daß alles seinen gewohnten Gang geht, bis zur allerletzten Minute. Sie und alle anderen Lehrer werden weiter ihren Unterricht halten, so als ob die Quaddies wirklich zu einem Arbeitsprojekt hinausgeschickt würden, bis die Einrichtungen unten auf dem Planeten fertig sind und wir anfangen können, sie mit dem Shuttle hinabzufliegen. Vielleicht nehmen wir die Kleinen zuerst — die wiederverwertbaren Teile des Habitats sollen im Orbit zur Transferstation gebracht werden, wir können vielleicht einige Kosten senken, wenn wir für diese Arbeit Quaddies verwenden.«

»Sie auf dem Planeten einzusperren …«

»Ach, werden Sie doch nicht melodramatisch. Die Quaddies werden in einem völlig gewöhnlichen Wohnheim für Bohrarbeiter untergebracht, das erst vor sechs Monaten verlassen wurde, als das Ölfeld erschöpft war.« Van Attas Gesicht hellte sich etwas auf, weil er sich selber auf die Schulter klopfen konnte. »Ich habe es selbst gefunden, als ich die möglichen Standorte durchschaute, wohin man sie bringen könnte. Dieses Wohnheim zu renovieren wird fast nichts kosten, wenn man es mit einem Neubau vergleicht.«

Leo konnte es sich genau vorstellen. Er schauderte. »Und was geschieht in vierzehn Jahren, wenn und falls Orient IV Rodeo enteignet?«

Van Atta fuhr sich ungehalten mit beiden Händen durch das Haar. »Wie, zum Teufel, soll ich das wissen? Zu dem Zeitpunkt wird es das Problem von Orient IV werden. Ein Mensch kann nicht alles tun, Leo.«

Leo lächelte, grimmig betroffen. »Ich bin mir nicht sicher … was ein Mensch tun kann. Ich habe mich nie bis zu meiner Grenze vorgewagt. Ich dachte einmal, ich hätte es schon getan, aber jetzt erkenne ich, daß ich es nicht getan habe. Meine Selbstversuche waren immer vorsichtigerweise nichtzerstörerisch.«

Dieser Test war insgesamt von einer höheren Größenordnung. Dieser TESTER verschmähte vielleicht das lediglich Menschenmögliche. Leo versuchte sich zu erinnern, wie lange es her war, seit er zum letztenmal gebetet oder überhaupt geglaubt hatte. Auf jeden Fall niemals so sehr wie jetzt. Und nie zuvor hatte er dessen so sehr bedurft wie jetzt …

Van Atta blickte ihn mißtrauisch an. »Sie sind seltsam, Leo.« Er richtete sich auf, als wollte er eine Befehlspose einnehmen. »Nur für den Fall, daß Sie mich nicht richtig verstanden haben, lassen Sie es mich laut und deutlich wiederholen. Sie dürfen diese Sache mit der künstlichen Schwerkraft niemandem gegenüber erwähnen, das bedeutet besonders: nicht den Quaddies gegenüber. Gleicherweise halten Sie geheim, daß die Quaddies auf den Planeten kommen werden. Ich werde Dr. Yei veranlassen, daß sie sich etwas ausdenkt, wie man es den Quaddies beibringen kann, ohne daß die störrisch werden. Es wird Zeit, daß sie sich ihr überhöhtes Gehalt verdient. Keine Gerüchte, keine Panik, keine gottverdammten Arbeiterunruhen — und wenn es welche gibt, dann werde ich genau wissen, wessen Haut ich an die Wand zu nageln habe. Kapiert?«

Leo zeigte ein hündisches Lächeln, das alles verbarg. »Kapiert.« Er zog sich zurück, ohne sich umzuwenden und ohne ein weiteres Wort von sich zu geben.

Dr. Yei war für gewöhnlich nicht leicht ausfindig zu machen, da es ihre Gewohnheit war, oft unter den Quaddies herumzugehen und dabei ihr Benehmen zu beobachten, sich Notizen zu machen und Anregungen zu geben. Aber diesmal fand Leo sie sofort, in ihrem Büro, wo an jeder verfügbaren Fläche Plastikfolien hingen und ihre Schreibtischkonsole wie ein Weihnachtsbaum leuchtete. Gab es im Cay-Habitat Weihnachten? fragte sich Leo. Eigentlich nicht, dachte er.

»Haben Sie gehört …«

Ihre niedergedrückte Haltung beantwortete seine Frage, obwohl sein heftiger Atem verhinderte, daß er sie vollendete.

»Ja, ich habe es gehört«, sagte sie müde und blickte zu ihm auf. »Bruce hat mir gerade die Logistik zur Evakuierung des Personals des ganzen Habitats auf meinen Schreibtisch geknallt, damit ich es organisiere. Da er Ingenieur ist, wird er die Flußdiagramme für die Zerlegung der Anlagen und die Wiederverwertung der Ausrüstung erstellen, sagt er. Sobald ich ihm die ›Körper‹ aus dem Weg schaffe. Verzeihen Sie, die ›verdammten Körper‹.«

Leo schüttelte hilflos den Kopf. »Werden Sie das tun?«

Sie zuckte die Achseln und preßte die Lippen aufeinander. »Wie könnte ich es nicht tun? Soll ich empört kündigen? Das würde überhaupt nichts ändern. Diese Geschichte würde um kein Iota weniger brutal ablaufen, wenn ich wegginge, und es könnte noch viel schlimmer werden.«

»Ich sehe nicht, wie«, brachte Leo mühsam hervor.

»Das sehen Sie nicht?« sagte sie mit einem Stirnrunzeln. »Nein, vermutlich nicht. Ihnen ist nie bewußt gewesen, auf welcher gefährlichen juristischen Grenzlinie die Quaddies hier angesiedelt sind. Aber mir war es bewußt. Eine falsche Bewegung und … — oh, zum Teufel mit allem. Ich wußte, daß man Apmad vorsichtig behandeln mußte. Alles ist mir entglitten. Obwohl ich vermute, daß diese Geschichte mit der künstlichen Schwerkraft das Projekt zu Fall gebracht hätte, egal, wer die Verantwortung trug, haben wir sehr viel Glück, daß sie nicht die Anweisung zur Beseitigung der Quaddies gab. Sie müssen wissen, als sie eine junge Frau war, auf ihrem Heimatplaneten, da wurden bei ihr vier oder fünf Schwangerschaften wegen genetischer Defekte abgebrochen. Das verlangte das Gesetz. Schließlich gab sie auf, ließ sich scheiden, nahm eine Stelle außerhalb ihres Planeten bei Galac-Tech an — und arbeitete sich in der Hierarchie nach oben. Sie hat ein tiefes, emotional begründetes Interesse an ihren Vorurteilen gegen genetische Manipulationen, und das wußte ich. Und habe es vermasselt … Sie könnte immer noch befehlen, daß die Quaddies getötet werden. Abspritzen. Vergasen. Vergiften — verstehen Sie? Jeder Bericht über Schwierigkeiten, Unruhen, verstärkt durch ihre genetische Paranoia, und sie …« Sie kniff die Augen zusammen und massierte ihre Stirn mit den Fingerspitzen.

»Sie könnte es befehlen — wer sagt aber, daß Sie es ausführen müssen? Sie haben gesagt, Ihnen sei an den Quaddies gelegen. Wir müssen etwas tun!«, sagte Leo.

»Was?« Yei ballte die Hände zu Fäusten, dann öffnete sie sie wieder weit. »Was, was, WAS? — Einen oder zwei — selbst wenn ich einen oder zwei adoptieren, mit mir mitnehmen könnte — sie irgendwie hinausschmuggeln, wer weiß —, was dann? Mit mir auf einem Planeten leben? Sozial isoliert als Krüppel, Mißgeburten, Mutanten — Früher oder später würden sie erwachsen werden, und was dann? Und was ist mit den anderen? Ein ganzes Tausend, Leo!«

»Und wenn Apmad die Ausrottung der Quaddies befehlen würde, welche Entschuldigung würden Sie dann dafür finden, nichts dagegen zu unternehmen?«

»Ach, gehen Sie weg«, stöhnte sie. »Sie haben kein Verständnis für die Kompliziertheit der Situation, überhaupt keins. Was glauben Sie denn, was eine einzelne Person tun kann? Ich hatte einmal ein eigenes Leben, bevor dieser Job es auffraß. Ich habe sechs Jahre hingegeben — fünf und dreiviertel mehr als Sie —, ich habe alles gegeben, wozu ich fähig bin. Ich bin ausgebrannt. Wenn ich aus diesem Loch wegkomme, dann möchte ich nie wieder von Quaddies hören. Sie sind nicht meine Kinder. Ich habe keine Zeit gehabt, Kinder zu bekommen.« Sie rieb sich verärgert die Augen und zog die Nase hoch, unterdrückte Tränen — oder bloß ihre Gereiztheit? Leo wußte es nicht. Und es war ihm gleich.