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»Sie sind niemandes Kinder«, knurrte er. »Das ist das Problem. Sie sind eine Art … genetischer Waisen oder so etwas.«

»Wenn Sie nichts Brauchbares zu sagen haben, dann hauen Sie bitte endlich ab!«, schrie sie. Mit einer Handbewegung zeigte sie auf die vielen Folien. »Ich habe zu arbeiten.«

Seit seinem fünften Lebensjahr hatte Leo kein weibliches Wesen mehr geschlagen. Er entfernte sich, am ganzen Leibe zitternd. Er schwebte langsam durch die Korridore, zurück zu seiner eigenen Unterkunft, und beruhigte sich. Was hatte er sich denn überhaupt von Yei erwartet? Befreiung von seiner Verantwortung? Hätte er ihr sein Gewissen auf den Schreibtisch knallen sollen, a la Bruce, und sagen: »Kümmern Sie sich darum …«

Und doch, und doch, und doch … es mußte hier irgendwo eine Lösung geben. Er konnte sie fühlen, eine greifbare dunkle Gestalt, wie etwas Festes im Bauch, eine hochsteigende, schrille Frustration. Das Problem, das sich weigerte, in die richtigen Einzelteile zu zerfallen, die Lösung, die sich einem entzog — er hatte technische Probleme gelöst, die sich zuerst als solche massive unübersteigbare Mauern präsentiert hatten. Er wußte nicht, woher die Sprünge jenseits der Logik kamen, mit denen man letztlich diese Mauern überwand, außer, daß es sich nicht um einen bewußten Prozeß handelte, wie elegant er das Ganze auch post factum aufzeichnen mochte. Er konnte es nicht lösen, und er konnte es nicht in Ruhe lassen, kratzte nutzlos in einer zunehmenden zwanghaften Besessenheit daran herum, aber das war kontraproduktiv, wie das Herumkratzen an einem Schorf. Die Räder drehten sich, übertrugen aber keine Bewegung.

»Sie ist hier drinnen«, flüsterte er und berührte seinen Kopf. »Ich spüre sie. Ich kann … sie einfach … nicht sehen …« Sie mußten irgendwie aus dem Lokalraum von Rodeo herausgebracht werden, soviel war sicher. Alle Quaddies. Hier gab es für sie keine Zukunft. Schuld daran war die verdammt eigenartige juristische Lage. Was sollte er tun — ein Sprungschiff entführen? Aber die Personalsprungschiffe konnten nicht mehr als dreihundert Passagiere befördern. Er konnte sich mit Mühe und Not vorstellen, wie er etwas in Händen hielt — ja, was? Welche Waffe? Er hatte keine Schußwaffe, sein Taschenmesser enthielt hauptsächlich Schraubenzieher — richtig, dem Piloten einen Schraubenzieher an den Kopf halten und rufen: »Bringen Sie uns per Sprung zu Orient IV!« — wo er auf der Stelle verhaftet werden und wegen Piraterie für die nächsten zwanzig Jahre ins Gefängnis wandern würde und die Quaddies zurückließe, damit sie … was täten? Auf jeden Fall konnte er nicht drei Schiffe auf einmal entführen, und das war die Mindestanzahl, die er benötigte.

Leo schüttelte den Kopf. »Das Glück begünstigt«, murmelte er, »das Glück begünstigt, das Glück begünstigt …«

Orient IV würde die Quaddies nicht wollen. Niemand würde die Quaddies wollen. Worin könnte eigentlich ihre Zukunft bestehen, selbst wenn es gelänge, sie von Galac-Tech zu befreien? Zigeunerwaisen, abwechselnd ignoriert, ausgebeutet oder mißbraucht, aufgrund ihrer Abhängigkeit von der begrenzten Umwelt des Systems der Weltrauminstallationen der Menschheit. Ein treffendes Beispiel für eine Technologiefalle. Er stellte sich Silver vor — er hatte wenig Zweifel, welche Art von Ausbeutung ihr Los wäre, mit diesem eleganten Gesicht und diesem eleganten Körper. Für sie gab es dort draußen keinen Ort …

Nein! sagte Leo stumm. Das Universum war so verdammt groß. Es mußte einen Ort geben. Einen eigenen Ort, weit, weit weg von den Fesseln und Fallen der sogenannten menschlichen Zivilisation. Die Geschichte früherer utopischer sozialer Experimente in Abgeschiedenheit waren nicht gerade ermutigend, aber die Quaddies waren in jeder Hinsicht ein Ausnahmefall.

Zwischen zwei Atemzügen ergriff die Vision von ihm Besitz. Sie kam nicht als eine Kette vernünftiger Überlegungen, als mehr Worte, Worte, Worte, sondern als blendendes Bild, vom ersten Augenblick an ganz vollständig, eigenständig, ganzheitlich, organisch, inspiriert. Von jetzt an würde er jede weitere Stunde seines Lebens nur der linearen Erforschung der Fülle dieser Vision widmen.

Ein Sonnensystem mit einem Stern von Typ M oder G oder K, der sanft und beständig war und Energie ausstrahlte für diejenigen, die sie auffingen. Umkreisen müßte ihn ein Gasgigant von der Art des Jupiter mit einem Ring aus Methan- und Wassereis, der Wasser, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff lieferte. Am wichtigsten von allem war ein Asteroidengürtel.

Und ebenso wichtig war das Fehlen bestimmter Dinge: diesen Stern durfte kein erdähnlicher Planet umkreisen, der Konkurrenz anlocken könnte; er durfte sich nicht auf einer Wurmlochsprungroute befinden, die für potentielle Konquistadoren von strategischer Bedeutung war. Die Menschheit hatte auf ihrer zwanghaften Suche nach neuen Erden Hunderte solcher Systeme links liegengelassen. Die Sternenkarten waren voll von ihnen.

Eine Quaddiekultur, die sich von ihrer ursprünglichen Basis aus entlang des Asteroidengürtels ausbreitete, eine Gesellschaft von Quaddies, von den Quaddies geschaffen, für die Quaddies bestimmt. Sie konnten Stollen und Gänge in die Felsen graben, um sich gegen die Strahlung zu schützen, und darin ihre kostbare Luft einschließen, sie konnten sich ausdehnen, indem sie von Felsen zu Felsen hüpften, um sich neue Heimstätten zu bohren und zu bauen. Überall gab es dort Mineralien, mehr als sie je verbrauchen konnten. Ganze Hydrokulturfarmen für Silver. Eine neue Welt war zu bauen. Eine Raumwelt, die Station Morita wie ein Spielzeug erscheinen lassen würde.

»Natürlich«, Leos Augen weiteten sich vor Freude, »das ist letztlich nur ein Ingenieurproblem!« Er hing schlaff in der Luft, wie in einem Trancezustand; glücklicherweise kam in diesem Augenblick niemand durch den Korridor, sonst hätte man ihn sicher für verrückt oder unter Drogen stehend gehalten.

Diese Lösung war die ganze Zeit in Einzelstücken um ihn herum dagewesen, unsichtbar, bis er sich geändert hatte. Er grinste verrückt, wie besessen. Er gab sich dieser Vision vorbehaltlos hin. Ganz. Ganz. Es gab keine Grenze für das, was ein einzelner Mensch tun konnte, wenn er alles gab und nichts zurückhielt.

Er hielt nichts zurück, er blickte nicht zurück — denn einen Weg zurück gab es nicht, es war nicht mehr möglich zurückzugehen. Das war buchstäblich, medizinisch, der Kern der Sache. Menschen, die an die Schwerelosigkeit angepaßt waren — ein Zurück zum Gehen machte Krüppel aus ihnen.

»Ich bin ein Quaddie«, flüsterte Leo verwundert. Er betrachtete seine Hände, ballte sie zu Fäusten und streckte wieder die Finger aus. »Einfach ein Quaddie mit Beinen.« Er würde nicht zurückgehen. Was diese ursprüngliche Basis anging — er schwebte im Augenblick in ihr herum. Sie mußte nur verlegt werden. Seine kaskadenartig dahineilenden Gedanken klickten über die Verbindungen zu schnell hinweg, als daß er sie hätte analysieren können. Er brauchte kein Raumschiff zu entführen: er befand sich schon in einem. Alles, was er brauchte, war ein bißchen Energie.

Und die Energie lag griffbreit im Orbit von Rodeo; sie wurde sogar gerade in diesem Augenblick unentgeltlich verschwendet, um bloße Massen von Petrochemikalien aus der Umlaufbahn zu schieben. Welche Masse mochte ein Bündel von petrochemischen Behältern haben, verglichen mit einem Teilstück des Cay-Habitats? Leo wußte es nicht, aber er wußte, daß er es herausfinden konnte. Die Zahlen würden jedenfalls auf seiner Seite sein, egal, wie groß sie auch waren.

Die Frachtbeschleuniger konnten das Habitat manövrieren, wenn es passend rekonfiguriert wurde, und mit allem, das die Beschleuniger manövrieren konnten, konnte auch einer der riesigen Frachtsuperjumper fertigwerden. Alles war vorhanden, alles — man mußte es nur nehmen.