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»Ich habe für eine kleine Weile meine Perspektive verloren, das stimmt«, gab Leo zu. »Jetzt habe ich sie wiedergefunden.«

»Ein bißchen spät«, spottete Van Atta.

»Aber ich könnte meine Sache gutmachen«, argumentierte Leo und überlegte, wie man den Effekt eines schuldbewußten Füßescharrens in der Schwerelosigkeit erreichen konnte. Vielleicht sollte er besser nicht übertreiben. »Ich brauche wirklich eine Empfehlung, etwas, das diese Verweise aufwiegt. Mir sind ein paar Ideen gekommen, die einen ungewöhnlich hohen Anteil an Wiederverwertung erzielen und die Verluste begrenzen könnten. Damit würde Ihnen die ganze langweilige Plackerei abgenommen und Sie wären frei für die administrativen Maßnahmen.«

»Hm«, sagte Van Atta, sichtlich verlockt von einer Vision, in der sein Büro zu seiner früheren, ursprünglichen klaren Ordnung zurückkehrte. Er musterte Leo mit zusammengekniffenen Augen. »Sehr gut — nehmen Sie’s. Hier sind meine Notizen, die gehören jetzt alle Ihnen. Ach, schicken Sie die Pläne und Berichte durch mein Büro. Ich schicke sie dann weiter. Das ist schließlich meine wahre Aufgabe, die Verwaltung.«

»Gewiß.« Leo räumte alles zusammen. Ja, durch Sie schicken — damit Sie meinen Namen durch Ihren ersetzen können. In dem selbstgefälligen Leuchten von Van Attas Augen konnte Leo fast sehen, wie sich die Rädchen drehten. Soll doch Leo die Arbeit tun, und Van Atta das Verdienst einheimsen. Oho, Sie werden schon das Verdienst dafür ernten, wie dieses Projekt endet, Brucie-Baby — das ganze Verdienst.

»Ich brauche noch ein paar Sachen«, bat Leo demütig. »Ich möchte alle Quaddie-Mannschaften von den Schubschiffen haben, die bei ihrem regelmäßigen Dienst abkömmlich sind, zusätzlich zu meinen Unterrichtsgruppen. Diese nutzlosen Kinder werden zu arbeiten lernen, wie sie nie zuvor gearbeitet haben. Ersatzteile, Ausrüstung, die Befugnis, Schubschiffe und Treibstoff anzufordern — ich muß mit einigen Vermessungen an Ort und Stelle anfangen —, und ich muß in der Lage sein, nach Bedarf andere Quaddie-Arbeitsgruppen anzufordern. In Ordnung?«

»Oh, Sie melden sich auch für den praktischen Teil der Arbeit?« Eine rachsüchtige Gier erschien flüchtig auf Van Attas Gesicht, gefolgt von Zweifeln. »Wie steht es damit, diese Sache bis zur letzten Minute geheimzuhalten?«

»Ich kann die Vorplanung zuerst als eine theoretische Übung im Unterricht präsentieren. Eine Woche oder zwei herausschinden. Am Ende muß man es ihnen doch sagen, wissen Sie.«

»Nicht zu bald. Ich mache Sie dafür verantwortlich, daß die Schimpansen unter Kontrolle gehalten werden, kapiert?«

»Ich verstehe. Habe ich die Befugnis? Oh — und ich brauche eine Dienstverlängerung zum Aufschub meines Schwerkrafturlaubs auf dem Planeten.«

»Die Zentrale hat das nicht gern. Wegen der Haftung.«

»Entweder ich oder Sie, Bruce.«

»Stimmt …« Van Atta, der sich schon entspannt hatte, winkte mit der Hand. »In Ordnung. Sie haben die Verlängerung.«

Einen Blankoscheck. Leo machte aus einem wölfischen Grinsen ein schmeichlerisches Lächeln. »Sie werden sich daran erinnern, nicht wahr, Bruce — später?«

Van Atta verzog auch die Lippen. »Das garantiere ich Ihnen, Leo. Ich werde mich an alles erinnern.«

Leo murmelte dankbar und zog sich zurück.

Silver steckte den Kopf durch die Tür zum privaten Schlafraum der Krippenmutter. »Mama Nilla?«

»Pst!« Mama Nilla hielt den Finger an die Lippen und nickte in Richtung auf Andy, der in einem Sack an der Wand schlief; man konnte gerade noch sein Gesicht sehen. Sie flüsterte: »Um Himmels willen, weck das Baby nicht auf. Er war heute so heikel mit dem Essen — ich glaube, er verträgt die künstliche Nahrung nicht. Ich wünschte mir, Dr. Minchenko wäre wieder da. Warte, ich komme hinaus in den Korridor.«

Die Tür glitt hinter ihr zu. Mama Nilla hatte sich zur Nachtruhe fertiggemacht und ihren rosafarbenen Arbeitsoverall gegen einen Pyjama mit Blumenmuster vertauscht, der um ihre üppige Taille etwas straff saß. Silver unterdrückte den Impuls, sich an diesen weichen Leib zu klammern, wie sie es in verzweifelten Augenblicken getan hatte, als sie noch klein war — jetzt war sie viel zu erwachsen, um noch gehätschelt zu werden, sagte sie sich streng. »Wie geht es Andy?«, fragte sie statt dessen mit einem Nicken in Richtung auf die geschlossene Tür. »Hm. Alles in Ordnung«, sagte Mama Nilla. »Ich hoffe allerdings, daß ich dieses Problem mit der Nahrung bald lösen kann. Und … na ja … ich bin mir nicht sicher, ob man es wirklich Depression nennen kann, aber seine Aufmerksamkeitsspanne scheint kürzer zu sein, und er ist heikel beim Essen — sag das aber bitte nicht Ciaire, der Armen, sie hat schon genug Schwierigkeiten. Sag ihr, es sei alles in Ordnung.«

Silver nickte. »Ich verstehe.« Mama Nilla runzelte Sie Stirn. Ihr Blick war nach innen gerichtet. »Ich habe einen Protest geschrieben, aber meine Vorgesetzte hat ihn nicht weitergeleitet. Ungünstiger Zeitpunkt, hat sie gesagt. Sieht eher aus, als ob Mr. Van Atta ihr Angst eingejagt hätte. Ich könnte einfach … hm. Jedenfalls habe ich Überstundenzettel eingereicht wie verrückt, und ich habe für meine Krippeneinheit eine zusätzliche Assistentin angefordert. Vielleicht wird man nachgeben, wenn man einsieht, daß diese Narretei Geld kostet. Das kannst du Ciaire sagen, meine ich.«

»Ja«, sagte Silver, »ein bißchen Hoffnung täte ihr gut.«

Mama Nilla seufzte. »Das ganze ist mir so unangenehm. Was ist überhaupt in diese Kinder gefahren, daß sie versuchen, wegzulaufen? Ich könnte Tony packen und schütteln. Und was diesen dummen Wachmann angeht, den könnte ich einfach … na ja …« Sie schüttelte den Kopf.

»Haben Sie noch mehr über Tony gehört, was ich an Ciaire weitererzählen könnte?«

»Ach ja.« Mama Nilla blickte den Korridor hinauf und hinab, um sicherzugehen, daß niemand mithörte. »Dr. Minchenko hat mich gestern Abend über den persönlichen Kanal angerufen. Er hat mir versichert, daß Tony jetzt außer Gefahr ist und daß man diese Infektion unter Kontrolle hat. Aber er ist immer noch sehr schwach. Dr. Minchenko hat vor, ihn wieder ins Habitat zurückzubringen, wenn er seinen Schwerkrafturlaub beendet. Er meint, Tony wird sich hier oben schneller erholen. Das ist also ein bißchen gute Nachricht, und die kannst du an Ciaire weitererzählen.« Silver rechnete, und mit ihren unteren Fingern zählte sie unauffällig unterhalb von Mama Nillas Gesichtskreis die Tage, dann atmete sie erleichtert auf. Das war ein massives Problem gewesen, und sie konnte jetzt Leo mitteilen, daß es gelöst war. Tony würde zurück sein, bevor ihre Revolte an die Öffentlichkeit drang. Seine sichere Rückkehr würde vielleicht sogar das Signal für die Revolte werden. Ein Lächeln strahlte auf ihrem Gesicht. »Danke, Mama Nilla, das ist eine gute Nachricht.«

Kurs 101: Revolution für die Verwirrten, so sollte der Titel seines Kurses sein, entschied Leo grimmig. Oder noch schlimmer: Kurs 050: Revolution als Fördermaßnahme … Die Schar der Quaddies, die ihn im Unterrichtsmodul erwartungsvoll umschwebten, war offiziell durch die beiden dienstfreien Schubschiffmannschaften verstärkt worden; dazu kamen alle schichtfreien älteren Quaddies, die Silver hatte heimlich kontaktieren können. Insgesamt waren es sechzig oder siebzig. Sie hatten sich alle in das Unterrichtsmodul gezwängt, was Leo geistig vorauseilen und an Pläne über Sauerstoffverbrauch und -erneuerung im rekonfigurierten Habitat denken ließ. Es lag eine Spannung in der Luft. Gerüchte machten schon die Runde, wie Leo erkannte, in Gott weiß welchen verzerrten Formen. Es war an der Zeit, Gerüchte durch Tatsachen zu ersetzen.