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Silver gab an der Tür ein Zeichen, daß alles klar war; sie hielt alle vier Daumen nach oben und grinste Leo zu, während ein letzter Quaddie in einem T-Shirt sich hastig hereinzwängte. Die Tür schloß sich und verdeckte Silver, die auf dem Korridor Wache schob.

Leo nahm seinen Posten in der Mitte ein. In der Mitte, der Nabe des Rades, wo sich die Belastungen am stärksten konzentrieren. Nach ein bißchen anfänglichem Geflüster und Geknuffe verstummten die Quaddies, und es herrschte eine fast beängstigende Aufmerksamkeit. Er konnte ihre Atemzüge hören. Wir würden Sie brauchen, selbst wenn Sie kein Ingenieur wären, Leo, hatte Silver bemerkt. Wir alle sind zu sehr daran gewöhnt, Befehle von Leuten mit Beinen entgegenzunehmen.

Willst du damit sagen, daß du einen Strohmann brauchst? hatte er amüsiert gefragt.

Nennt man das so? Sie hatte ihn dabei ganz kühl pragmatisch angeblickt.

Er wurde zu alt dafür. Sein Gehirn schaltete auf einen fernen Rockrhythmus um, zurück zur lärmenden Musik seiner Jugend. Laß mich dein Strohmann sein, Baby. Ruf mich Leo. Ruf mich jederzeit, am Tag oder bei Nacht. Laß mich dir helfen. Er schaute auf die geschlossene luftdichte Tür. Zog der Mann, der an der Spitze des Zuges den Taktstock schwenkte, die anderen hinter sich her — oder wurde er von ihnen vorangeschoben? Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß er die Antwort bald erfahren würde. Er knurrte leise und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Unterrichtsraum.

»Wie einige von euch schon gehört haben«, begann Leo, und seine Worte fielen wie Kieselsteine in den Teich des Schweigens, »ist von den Außenplaneten eine neue Schwerkrafttechnologie gekommen. Sie basiert anscheinend auf einer Variation der Necklinfeld-Tensorgleichungen, der gleichen Art Mathematik, die der Technologie zugrundeliegt, die wir benutzen, um durch jene Verbiegungen des Raumzeitgefüges zu stoßen, die wir Wurmlöcher nennen. Ich habe mir bisher noch keine technischen Spezifikationen besorgen können, aber es sieht so aus, als wäre das Ganze schon so weit entwickelt, daß man es auf den Markt bringen kann. Die theoretische Möglichkeit war genaugenommen nicht neu, aber ich zum Beispiel hatte nie erwartet, noch zu meiner Zeit die praktische Umsetzung zu erleben. Offensichtlich ging es den Leuten, die euch Quaddies geschaffen haben, genauso.

Da ist eine Art seltsamer Symmetrie am Werk. Der Sprung nach vorn in der genetischen Biotechnik, der euch möglich machte, basierte auf der Vervollkommnung einer neuen Technologie, dem Uterusreplikator, auf Kolonie Beta. Jetzt kommt knapp eine Generation später aus derselben Quelle die neue Technologie, die euch obsolet macht. Das seid ihr nämlich geworden, bevor ihr zum erstenmal im Einsatz wart — technologisch veraltet. Zumindest vom Standpunkt der Firma Galac-Tech aus gesehen.« Leo holte Luft und wartete auf ihre Reaktionen.

»Nun, wenn eine Maschine veraltet ist, dann verschrotten wir sie. Wenn die Ausbildung eines Mannes veraltet ist, dann schicken wir ihn wieder auf die Schule. Aber eure Veralterung ist euch schon einprogrammiert worden. Sie ist entweder ein grausamer Fehler oder … oder … oder …« — er legte eine kurze Pause ein, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen — »die größte Chance, die ihr je haben werdet, um ein freies Volk zu werden. Macht euch … macht euch keine Notizen«, würgte Leo, als etliche ihre Köpfe automatisch über ihre Notizpanels beugten und seine Stichworte mit ihren Lichtgriffeln hervorhoben, während die Autotranskription über die Displays flimmerte. »Das ist kein Unterricht. Das ist das wirkliche Leben.« Er mußte für einen Augenblick innehalten, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Er war sich sicher, daß irgendein Kind im Hintergrund ganz reflexartig ›keine Notizen — das wirkliche Leben‹ hervorhob.

Pramod schwebte in seine Nähe und blickte ihn erregt aus seinen dunklen Augen an. »Leo? Es ist ein Gerücht herumgegangen, daß die Firma uns alle zum Planeten hinunterbringt und erschießen läßt, wie Tony.«

Leo lächelte säuerlich. »Das ist eigentlich das am wenigsten wahrscheinliche Szenario. Ihr sollt zum Planeten hinuntergebracht werden, ja, in eine Art Internierungslager. Aber so wird ein schuldfreier Genozid eingefädelt. Ein Administrator gibt euch weiter an den nächsten, und der wieder an den nächsten, und immer so weiter. Ihr werdet zu einer Routineausgabe im Inventar. Die Ausgaben steigen, wie immer. Als Reaktion darauf werden die planetarischen Angestellten, die auch für euren Unterhalt sorgen sollen, allmählich abgezogen, da die Firma euch ›autark‹ nennt. Die lebenserhaltenden Geräte werden mit zunehmendem Alter schlechter. Pannen ereignen sich immer häufiger, Wartung und Ersatzteillieferung werden immer unregelmäßiger.

Dann ereignet sich eines Nachts — ohne daß jemand je einen Befehl gegeben oder einen Auslöser gedrückt hätte — eine kritische Panne. Ihr schickt einen Hilferuf. Niemand weiß, wer ihr seid. Niemand weiß, was zu tun ist. Diejenigen, die euch dort untergebracht haben, sind längst über alle Berge. Kein Held ergreift eine Initiative, denn Initiativen sind durch administrative Pfuscherei und dunkle Hinweise längst entmutigt worden. Nachdem der untersuchende Inspektor die Leichen gezählt hat, entdeckt er mit Erleichterung, daß ihr nur zum Inventar gehört habt. Die Bücher werden still über dem Cay-Projekt geschlossen. Ende. Abgeschlossen. Das mag zwanzig Jahre dauern, vielleicht auch nur fünf oder zehn. Ihr werdet einfach tödlich vergessen.« Pramod griff sich an die Kehle, als spürte er schon, wie die toxische Atmosphäre von Rodeo seine Atemwege reizte. »Ich meine, ich würde mich lieber erschießen lassen«, murmelte er.

»Oder«, Leo hob seine Stimme, »ihr könnt euer Leben in eure eigenen Hände nehmen. Folgt mir und setzt alles auf eine Karte. Das große Spiel mit dem großen Gewinn. Laßt mich erzählen«, er schluckte, um Mut zu fassen, und wünschte sich den Größenwahnsinn als Verbündeten — denn gewiß konnte nur ein Größenwahnsinniger dieses Vorhaben zum Erfolg bringen —, »laßt mich erzählen vom Land der Verheißung …«

KAPITEL 9

Leo streckte sich, um aus dem Ausguckfenster des Frachtschubschiffes einen Blick auf die Transferstation zu werfen, die schnell größer wurde. Verdammt. Das wöchentliche Passagierschiff von Orient IV war schon an der Nabe des Rades angedockt. Da es neu angekommen war, war es zweifellos noch in der Phase des Entladens, aber nichts erschien Leo für einen Piloten — oder Expiloten — wie Ti wahrscheinlicher, als sich früh zu einem Besuch an Bord einzuladen, um heimlich zu kiebitzen.

Das Sprungschiff entzog sich wieder ihrer Sicht, als sie zu der ihnen zugewiesenen Shuttleluke eine Spirale um die Station flogen. Die Quaddie, die das Schubschiff steuerte, ein dunkelhaariges, kupferhäutiges Mädchen namens Zara, deren T-Shirt und Shorts die purpurne Farbe der Schubschiffmannschaften trugen, dockte das Schiff geschickt an und ließ es sanft in die Klampen auf der Landespeiche einklicken. Leo war endlich bereit zu glauben, daß Zara zu den besten unter den Schubschiffpiloten gehörte, trotz seiner Bedenken wegen ihres Alters: sie war knapp fünfzehn.

Der sanfte Beschleunigungsvektor aus der Drehung der Station machte sich ruckartig bemerkbar, und Leos gepolsterter Sessel schwenkte in seiner kardanischen Aufhängung in die neu definierte ›aufrechte‹ Stellung. Zara grinste Leo über die Schulter zu; es war deutlich, daß sie die Empfindung genoß. Silver, die neben Zara auf einem den Formen der Quaddies angepaßten Beschleunigungssitz saß, sah etwas unsicherer drein.

Zara beendete die Litanei des formellen Prüfdialogs mit der Flugkontrolle der Transferstation und schaltete ihre Systeme ab. Leo seufzte — unlogischerweise — erleichtert, daß die Flugkontrolle nicht bei dem vage formulierten Zweck ihres angemeldeten Fluges nachgehakt hatte: ›Abholen von Material für das Cay-Habitat.‹ Es gab keinen Grund für eine eingehendere Nachfrage. Leo war noch weit davon entfernt, seine Befugnisse zu überschreiten. Noch.