Das Gesicht des Piloten blieb verschlossen und unbeteiligt. »Nun, das tut mir sehr leid für sie«, er schaute Silver nicht an, »aber ich kann überhaupt nicht sehen, was ich dabei tun soll. In sechs Stunden verlasse ich Rodeo auf Nimmerwiedersehen — was mir übrigens nichts ausmacht. Für mich ist es eine Abfallgrube.«
»Silver und die Quaddies werden in diese Grube geworfen und dann wird der Deckel über ihnen festgeklemmt. Und das einzige Verbrechen, das sie begangen haben, ist technologisch obsolet zu sein. Bedeutet das Ihnen gar nichts?«, schrie Leo hitzig.
Ti richtete sich empört kerzengerade auf. »Sie wollen mit mir über etwas reden, das technologisch obsolet ist? Ich werde Ihnen etwas technologisch Obsoletes zeigen. Das hier!« Seine Hand berührte die Anschlüsse seines Implantats in der Mitte der Stirn und an den Schläfen und die Kanüle in seinem Nacken. »Das! Ich habe zwei Jahre lang ein Training mitgemacht und ein Jahr auf die Operation zur Einpflanzung meines Sprungpilotensets gewartet. Es ist eine Tensor-Bitcode-Version, weil Galac-Tech dieses Sprungsystem verwendet und auch einen Teil der Kosten übernommen hat. Trans-Stellar Transport und ein paar unabhängige Firmen benutzen es ebenfalls. Alle anderen im Universum stellen sich auf Necklin-Colordrive ein. Wissen Sie, wie hoch meine Chancen sind, von TST angestellt zu werden, nachdem ich von Galac-Tech gefeuert wurde? Null. Nix. Nada. Wenn ich die Stelle eines Sprungpiloten haben möchte, dann muß das hier chirurgisch entfernt werden und ich brauche ein neues Implantat. Ohne Job kann ich mir kein Implantat leisten. Ohne ein Implantat kann ich keinen Job bekommen. Scher dich zum Teufel, Ti Gulik!« Er saß da und keuchte.
Leo lehnte sich vor. »Ich gebe Ihnen eine Pilotenkabine, Gulik«, sagte er deutlich. »Auf dem größten Sprungschiff, das je fliegen wird.« Bevor der Pilot ihn unterbrechen konnte, schilderte er schnell und detailliert seine Vision von der Umwandlung des Habitats in ein Kolonieschiff. »Da ist alles vorhanden. Alles, was wir noch brauchen, ist ein Pilot. Ein Pilot, der sich an das Galac-Tech-Flugsystem anhängen kann. Alles, was wir brauchen, sind — Sie!«
Ti blickte ganz entsetzt drein. »Das ist nicht nur heller Wahnsinn, wovon Sie reden, das ist — schwerer Diebstahl! Haben Sie eine Vorstellung, wieviel die ganze Konfiguration wert wäre? Man würde Sie bis zum nächsten Jahrtausend nicht mehr aus dem Gefängnis rauslassen!« »Ich werde nicht ins Gefängnis gehen. Ich reise mit den Quaddies zu den Sternen.«
»Sie werden in einer Gummizelle landen.«
»Was wir vorhaben, ist kein Verbrechen. Das ist Krieg, oder so etwas ähnliches. Ein Verbrechen ist es, wenn Sie den Quaddies den Rücken zukehren und weggehen.«
»Nicht nach den Gesetzen, die ich kenne.«
»Also gut, dann ist es eine Sünde.«
»O Mann!« Ti rollte mit den Augen. »Jetzt kommt es heraus. Sie sind von Gott beauftragt worden, nicht wahr? Lassen Sie mich bitte an der nächsten Station aussteigen.«
Gott ist nicht hier. Jemand muß seine Arbeit übernehmen. Leo ließ schnell von diesem Gedankengang ab. Gummizellen, ja wirklich. »Ich hatte gedacht, Sie wären in Silver verliebt. Wie können Sie sie einem langsamen Tod überlassen?«
»Ti ist nicht in mich verliebt«, unterbrach Silver überrascht. »Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen, Leo?«
Ti schaute sie unsicher an. »Nein, natürlich nicht«, stimmte er matt zu. »Du … äh … du hast es immer gewußt, nicht wahr? Wir hatten nur eine kleine Abmachung, die für beide Seiten nützlich war, das ist alles.«
»Das stimmt«, bestätigte Silver. »Ich habe Bücher und Vids bekommen, Ti bekam Erleichterung von physiologischem Stress. Männliche Planetarier brauchen Sex, um gesund zu bleiben, wissen Sie, sie werden mit Stress nicht fertig. Stress zerrüttet sie. Das liegt vermutlich an den wilden Genen.«
»Wer hat denn diesen Quatsch aufgebracht …?«, begann Leo und brach dann ab. »Ach, lassen wir’s.« Er konnte es sich schon vorstellen. Er schloß die Augen, massierte sie mit den Fingerspitzen und suchte den verlorenen Faden wiederzufinden. »Ja, richtig. Für Sie ist Silver also … ein Wegwerfprodukt. Wie ein Papiertaschentuch. Einmal reinschneuzen und dann wegwerfen.«
Ti blickte pikiert drein. »Geben Sie es auf, Graf. Ich bin nicht schlechter als alle anderen.«
»Aber ich gebe Ihnen eine Chance, besser zu sein, verstehen Sie das nicht …«
»Leo«, unterbrach Silver ihn erneut. Sie lag jetzt auf dem Bauch ausgestreckt auf dem Bett und hatte ihr Kinn linkisch in eine obere Hand gestützt. »Sobald wir zu unserem Asteroidengürtel gekommen sind — wo auch immer der sein mag —, was tun wir dann mit dem Supersprungschiff?«
»Dem Supersprungschiff?«
»Wir werden dann doch das Habitat davon abmontieren und es sicherlich wieder auseinanderfalten und weiter daran bauen — die Sprungeinheit würde einfach im Orbit parken. Können wir sie nicht Ti geben?«
»Was?«, sagten Leo und Ti wie aus einem Munde.
»Als Bezahlung. Er dirigiert für uns die Sprünge zu unserem Ziel und bekommt dafür das Sprungschiff. Dann kann er seiner Wege gehen und Pilot-Eigner werden, seine eigene Transportfirma aufmachen, wie es ihm gefällt.«
»In einem gestohlenen Schiff?«, schrie Ti auf.
»Wenn wir weit genug weg sind, so daß Galac-Tech uns nicht einholen kann, dann sind wir auch weit genug weg, daß Galac-Tech dich nicht einholen kann«, sagte Silver logisch. »Dann hast du ein Schiff, das zu deinem neuralen Implantat paßt, und niemand wird dich je wieder entlassen können, weil du dann selbständig arbeitest.«
Leo biß sich auf die Zunge. Er hatte Silver ausdrücklich dazu mitgebracht, daß sie helfen sollte, Ti zu überreden — was machte es also aus, wenn sie nicht die Schmeicheleien sagte, die er sich vorgestellt hatte? Nach dem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht des Piloten zu schließen, hatten sie endlich seinen roten Knopf entdeckt. Leo kniff die Augen zusammen und lächelte Silver ermutigend zu.
»Außerdem«, fuhr sie fort und zwinkerte Leo zu, »wenn wir mit dem Habitat und allem Drum und Dran den Sprung von hier weg schaffen, dann wird Mr. Van Atta ganz schön blamiert zurückbleiben.« Sie ließ ihren Kopf wieder auf das Bett gleiten und lächelte Ti von der Seite her zu.
»Oh«, sagte Ti in einem Ton, der nach Erleuchtung klang, »ah …« »Haben Sie Ihr Gepäck schon beisammen?«, fragte Leo hilfreich.
»Da drüben«, Ti deutete mit einem Nicken auf einen Stapel Gepäck in der Ecke. »Aber … aber … verdammt, wenn das schief geht, dann schlagen die mich ans Kreuz!« »Ach«, sagte Leo. »Hier, schauen Sie …« Er öffnete seinen roten Overall am Hals und holte die Laserlötpistole heraus, die er in einer Innentasche versteckt hatte. »Ich habe an dem Ding die Sicherung entfernt; es schießt jetzt einen extrem starken Strahl über eine beträchtliche Entfernung, bis die Atmosphäre ihn auflöst — sicher weiter als dieser Raum hier lang ist.« Er wedelte nachlässig damit herum; Ti duckte sich und riß die Augen auf. »Wenn wir verhaftet werden sollten, dann können Sie wahrheitsgemäß bezeugen, daß Sie von einem verrückten Ingenieur und seiner verrückten Mutantenassistentin mit vorgehaltener Waffe entführt und zur Mitarbeit gezwungen wurden. Sie können zu einem Helden werden — so oder so.«
Die verrückte Mutantenassistentin lächelte Ti strahlend zu, ihre Augen funkelten wie Sterne. »Sie … äh … würden dieses Ding da doch nicht wirklich abfeuern, oder?«, würgte Ti vorsichtig hervor.
»Natürlich nicht«, sagte Leo vergnügt und fletschte die Zähne. Dann steckte er die Lötpistole weg.
»Ah.« Ti reagierte mit einem kurzen Zucken seines Mundes. Aber seine Augen wanderten danach noch öfter zu der Ausbuchtung in Leos Overall.
Als sie wieder zu der Shuttleluke kamen, wo das Schubschiff angedockt lag, war Zara verschwunden. »O Gott«, stöhnte Leo. War sie davongewandert? Verloren gegangen? Gewaltsam weggebracht worden? Eine verzweifelte Durchsuchung ergab, daß sie keine Nachricht auf dem Kommunikator zugerückgelassen hatte; nirgendwo war ein Zettel angepinnt.