Nein, sagte sie sich nachdrücklich, nicht einmal dann.
»Zara«, rief sie, »übernimm die Steuerung.«
»Verdammt«, begann Ti, »wenn du bloß …«
»Wir brauchen Ti viel zu sehr auf den Kommunikationskanälen, um ihn für die Steuerung frei zu haben«, warf Silver ein und hoffte verzweifelt, Ti würde diesen Köder nicht verschmähen, den sie seinem Stolz anbot.
»Mm.« Widerwillig ließ sich Ti von Zara beiseite schieben.
Der Andockring des Anschlußrohrs setzte nicht richtig auf. Ein zweites Andockmanöver, doch alles hoffnungsvolle Geschüttel der automatischen Fernsteuerung konnte den Andockring nicht dazu bringen, richtig abzuschließen. Silver fürchtete, sie würde sterben, oder wünschte, sie könnte es, sie war sich selbst nicht sicher. Alle ihre Hände schwitzten, und als sie die Laserlötpistole aus der einen in die andere Hand wechselte, wurde der Griff nur noch feuchter.
»Siehst du«, sagte Ti zu Zara, »du kannst es auch nicht besser.«
Zara funkelte ihn an. »Du hast einen von den Ringen verbogen, du Unglücksrappe. Hoffentlich ist es der ihre und nicht unserer.«
»Das heißt ›Unglücksrabe‹«, korrigiert Jon hilfsbereit, während er sich hinten an der Luke bemühte, sie richtig einrasten zu lassen. »Wenn du schon Planetarierausdrücke benutzt, dann wenigstens richtig.«
»Schubschiff R-26 ruft Galac-Tech-Supersprungschiff D620«, sprach Ti zitternd in den Kommunikator. »Jon, wir müssen uns noch einmal lösen und kommen dann auf die andere Seite hinüber. Das funktioniert hier nicht.«
»Nur zu, Ti«, antwortete die Stimme des Sprungpiloten. »Bist du krank? Du klingst nicht sonderlich gut. Das war miserabel angedockt. Worin besteht denn euer Notfall?«
»Das erkläre ich, wenn wir an Bord sind.« Ti blickte auf. Zara nickte bestätigend. »Wir lösen uns jetzt.«
An der Steuerbordluke hatten sie mehr Glück. Nein, erinnerte sich Silver erneut, wir schmieden unser eigenes Glück. Und ich bin dafür verantwortlich.
Ti schob sich als erster durch das Anschlußrohr. Auf der anderen Seite erwartete ihn der Ingenieur des Sprungschiffes. Silver hörte seine verärgerte Stimme: »Gulik, du hast unseren Andockring an Backbord verbogen. Ihr Drahtschädel haltet euch alle für die Größten, wenn ihr an euren Aggregaten hängt, aber bei der Handsteuerung seid ihr ohne Ausnahme die Tolpatschigsten …« Seine Worte gingen in ein leises Zischen über, als Silver durch die Luke gehuscht kam und ihre Laserlötpistole entschlossen auf seinen Bauch richtete. Er brauchte einen Moment, bis er die Waffe bemerkte. Er riß Augen und Mund weit auf, als Siggy und Jon sich Silver anschlossen.
»Nimm uns zum Piloten, Ti«, sagte Silver. Sie hoffte, daß die Angst ihre Stimme wütend und wild klingen lassen würde, nicht schüchtern und schwach. All ihre Kraft schien sie verlassen zu haben; nur ein flaues Gefühl im Magen war zurückgeblieben. Sie schluckte und packte die Lötpistole fester.
»Was, zum Teufel, ist hier los?«, begann der Ingenieur. Seine Stimme klang jetzt eine Oktave höher als zuvor. Er räusperte sich und sagte in seiner normalen Tonlage: »Wer seid ihr … überhaupt? Gulik, gehören die zu dir …?«
Ti zuckte die Achseln und setzte ein mattes Lächeln auf, das entweder gut gespielt oder echt war. »Nicht direkt. Ich gehöre eher zu ihnen.«
Siggy erinnerte sich und richtete seine Lötpistole auf Ti. Als Silver diesen Trick befürwortet hatte, hatte sie ihre eigenen Gedanken darüber völlig geheimgehalten. Daß Ti unbewaffnet und offensichtlich von den Waffen der Quaddies gezwungen daherkam, deckte ihn für den Fall einer späteren Gefangennahme und juristischen Verfolgung. Gleichzeitig wurde dadurch die Möglichkeit verschleiert, daß seine Scheinentführung echt werden könnte, falls er sich im letzten Augenblick entschließen sollte, wieder auf die Seite seiner zweibeinigen Gefährten überzuwechseln. Ein kompliziertes Räderwerk, mußten alle Führer so mehrschichtig denken? Es bereitete ihr Kopfschmerzen.
Sie durchquerten schnell den kompakten Mannschaftsbereich in Richtung auf den Steuerraum. Der Sprungpilot thronte in seinem gepolsterten Sessel und war an die massive Krone seines Steueraggregats angeschlossen: ein zeitweiliger königlicher Cyborg. Sein purpurner Firmenoverall war mit grellbunten Aufnähern versehen, die stolz seinen Rang und seine Spezialfunktionen verkündeten. Er hielt die Augen geschlossen und summte lautlos im Rhythmus des pulsierenden Biofeedbacks seines Schiffes.
Er schrie überrascht auf, als sein Aggregat sich löste und in die Höhe ging und damit seine Kommunikation mit dem Schiff unterbrach. Ti hatte den Trennschalter gedrückt. »Himmel, Ti, mach sowas nicht — du weißt doch …« Beim Anblick der Quaddies schluckte er einen zweiten Schrei hinunter. Er lächelte Silver völlig verwirrt zu. Sein Blick hatte geschockt ihre Anatomie wahrgenommen und richtete sich jetzt höflich auf ihr Gesicht. Sie wackelte mit der Lötpistole, um ihn darauf aufmerksam zu machen.
»Raus aus dem Sessel«, befahl sie.
Er duckte sich. »Hören Sie mal, Lady … hm … was ist das?«
»Eine Laserpistole. Raus aus dem Sessel.«
Er taxierte sie mit den Augen, taxierte Ti, warf seinem Ingenieur einen Blick zu. Seine Hand stahl sich zu der Schnalle seines Sitzgurtes, zögerte dann. Seine Muskeln spannten sich.
»Raus, aber langsam«, fügte Silver hinzu.
»Warum?«, fragte er.
Er spielt auf Zeit, dachte Silver.
»Diese Leute wollen dein Schiff ausleihen«, erklärte Ti.
»Entführer!«, keuchte der Ingenieur, der neben der luftdichten Tür schwebte. Jons und Siggys Lötpistolen drehten sich ihm zu. »Mutanten …«
»Raus!«, wiederholte Silver, ihr Stimme war unwillkürlich schärfer geworden.
Das Gesicht des Piloten war gespannt und nachdenklich. Seine Hände wanderten vom Gürtel zu seinen Knien und ruhten dort in geheuchelter Entspannung. »Was ist, wenn ich es nicht tue?«, forderte er sie sanft heraus.
Silver glaubte zu spüren, wie die Kontrolle über die Situation allmählich von ihr auf den Piloten überging, angezogen von seiner überlegenen Imitation von Gelassenheit. Sie warf Ti einen Blick zu, aber der hielt sich sicher und fest an seine Rolle des hilflosen — und nicht hilfreichen — Opfers.
Ein Herzschlag verging, ein zweiter, ein dritter. Der Pilot begann sich zu entspannen und atmete langsam aus. In seinen Augen erschien ein selbstgefällig triumphierendes Funkeln. Er hatte sie durchschaut; er wußte, daß sie nicht feuern konnte. Seine Hände kehrten zu der Gürtelschnalle zurück und er zog die Füße an, um sich gleich von seinem Sitz abzustoßen.
Sie hatte es so oft in ihrer Vorstellung geübt, daß das tatsächliche Geschehen fast nichts besonderes mehr war. Sie empfand eine gläserne Klarheit, als ob sie sich aus einer Distanz oder aus einer anderen Zeit, Vergangenheit oder Zukunft, beobachtete. Der Augenblick schrieb die Wahl des Zieles vor, und das war sie zuvor schon immer wieder ohne Überlegung durchgegangen; sie zielte mit der Lötpistole auf einen Punkt direkt unter seinen Knien, weil sich dahinter keine wertvollen Steuerinstrumente befanden.
Es war überraschend leicht, den Knopf zu drücken, die Arbeit eines einzigen kleinen Muskels in ihrem oberen rechten Daumen. Der Strahl war von einem stumpfen Blau und ließ sie nicht einmal blinzeln; allerdings flackerte kurz eine helle gelbe Flamme am Rande des geschmolzenen Stoffs seines angeblich unbrennbaren Overalls auf und erlosch dann. Ihre Nasenflügel zuckten bei dem Gestank des verbrannten Stoffes, der durchdringender war als der Geruch verbrannten Fleisches. Dann krümmte sich der Pilot zusammen und schrie.