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Ti stammelte: »Warum machst du das? Er war noch an seinen Sessel gegurtet, Silver!« Er blickte sie verdutzt an. Der Ingenieur war zuerst krampfhaft zusammengezuckt und erstarrte dann unterwürfig. Seine Augen huschten von einem Quaddie zum anderen. Siggys Mund stand offen; Jon preßte seine Lippen zusammen.

Die Schreie des Piloten machten ihr Angst und drangen ihr wie Stiche in den Kopf. Sie richtete die Lötpistole wieder auf ihn. »Schluß mit dem Lärm!«, herrschte sie ihn an. Erstaunlicherweise hörte er auf. Sein Atem pfiff durch die zusammengebissenen Zähne, als er den Kopf drehte und sie mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen anstarrte. Die Verbrennungen an seinen Beinen schienen in der Mitte kauterisiert zu sein, schwarze, undeutliche Schatten — Silver war hin- und hergerissen zwischen Abscheu und dem neugierigen Verlangen, sich näher anzuschauen, was sie da angerichtet hatte. Die Ränder der Verbrennungen schwollen rot an, gelbes Plasma sickerte schon durch, klebte aber an seiner Haut; eine Absaugung war nicht notwendig. Die Verletzung schien nicht unmittelbar lebensbedrohlich zu sein.

»Siggy, gurte ihn los und hol ihn aus dem Steuersitz heraus!«, befahl Silver. Diesmal gehorchte Siggy sofort, ohne weitere Argumente und ohne jede Anregung aus seinen Holodramen, wie man es besser machen könnte.

Genaugenommen hatte ihre Aktion auf alle Anwesenden, nicht nur die Gefangenen, eine höchst erfreuliche Wirkung. Alle bewegten sich schneller. Man könnte süchtig danach werden, dachte Silver. Kein Streit, keine Beschwerden …

Doch eine Beschwerde. »War das notwendig?«, fragte Ti, als sie die Gefangenen vor sich her durch den Korridor schoben. »Er war dabei, für dich seinen Sitz zu räumen …«

»Er war drauf und dran, auf mich loszugehen.«

»Das weißt du aber nicht sicher.« »Ich hätte ihn nicht mehr treffen können, sobald er sich bewegte.«

»Aber das mußte doch nicht sein …«

Sie wandte sich ihm mit einer heftigen Bewegung zu; er zuckte zurück. »Wenn wir dieses Schiff nicht in die Hand bekommen, dann werden tausend meiner Freunde sterben. Es mußte sein, und ich habe mich dafür entschieden. Ich würde mich wieder so entscheiden. Kapiert?« Und du triffst deine Entscheidung für alle, Silver, hörte sie das Echo von Leos Stimme in ihrer Erinnerung.

Ti gab sofort nach. »Jawohl, Chefin.«

Jawohl, Chefin? Silver blinzelte und drängte sich an ihm vorbei nach vorn, um ihre Verwirrung zu verbergen. Als Reaktion auf das Geschehene zitterten jetzt ihre Hände. Sie betrat als erste das Rettungspod, scheinbar, um die gesamten Kommunikationsgeräte außer dem Notfallsignalgeber herauszureißen und den Erste-Hilfe-Kasten zu überprüfen — er war vorhanden und komplett —, aber auch, um einen Moment lang allein zu sein, außerhalb des Blickfeldes der staunenden Augen ihrer Gefährten.

War das die Lust an der Macht, die Van Atta empfand, wenn alle ihm gegenüber nachgaben? Es war offensichtlich, was das Abfeuern der Waffe bei dem widerspenstigen Piloten bewirkt hatte, aber was hatte es bei ihr bewirkt? Für jede Aktion gab es eine gleichartige, gegensätzliche Reaktion. Das war eine körperliche Intuition, ein instinktives Wissen, das von der Geburt an tief in jedem Quaddie vorhanden war und an jeder Bewegung deutlich demonstriert werden konnte.

Sie verließ das Pod wieder. Ein heiseres Stöhnen kam über die Lippen des Piloten, als seine Beine aus Versehen gegen die Luke stießen, während sie ihn und den Ingenieur in das Rettungspod steckten. Dann verschlossen sie es und sprengten es vom Sprungschiff ab. Silvers Erregung wich innerlich einem kühlen Gefühl der Entschlossenheit, obwohl ihre Hände noch zitterten, aus Mitleid mit den Schmerzen des Piloten. So war es also. Die Quaddies waren letztlich nicht anders als die Planetarier. Alle schlimmen Dinge, die Planetarier tun konnten, konnten auch Quaddies tun. Wenn sie sich dafür entschieden.

Na also! Indem man die Pflanzrohre in diesem Winkel positionierte, mit einer Rotationszeit von sechs Stunden, konnte man im Hydrokulturmodul mit vier Spektrallampen weniger auskommen, und es fiel noch genug Licht auf die Blätter, um binnen vierzehn Tagen die Blüte auszulösen. Ciaire gab den Befehl in ihrem Laptop-Computer ein und ließ das Analogmodell einmal den ganzen Zyklus schnell vorwärts durchlaufen, einfach um sicher zu gehen. Die neue Wachstumskonfiguration würde nach ihrer ersten Schätzung den Energieverbrauch des Moduls um etwa zwölf Prozent reduzieren. Das war gut, denn bis das Habitat seinen Bestimmungsort erreichte und die empfindlichen Solarkollektoren wieder ausrollte, würde Energie sehr kostbar sein.

Sie schaltete den Laptop ab und seufzte. Das war die letzte Planungsaufgabe, die sie noch erledigen konnte, solange sie sich noch hier oben im Clubhaus einschloß. Es war ein gutes Versteck, aber zu ruhig. Es war schrecklich schwer gewesen, sich zu konzentrieren, aber nichts zu tun zu haben, war schlimmer, wie sie jetzt entdeckte, während die Sekunden vorüberkrochen. Sie schwebte zum Schrank, holte einen Beutel Rosinen heraus und aß sie einzeln. Als sie damit fertig war, umschloß sie wieder das klebrige Schweigen.

Sie stellte sich vor, wie sie Andy wieder in den Armen hatte, wie seine warmen kleinen Finger die ihrigen in gegenseitiger Geborgenheit festhielten, und sie wünschte sich, Silver möge sich beeilen und ihr Signal senden. Sie stellte sich Tony vor, wie er unten auf dem Planeten im Krankenhaus gefangen war, und hoffte schmerzlich, daß Silver sich verspätete, damit Tony durch irgendein Wunder im letzten Augenblick zurückgeholt werden konnte. Sie wußte nicht, ob sie die vorübergehenden Minuten beschleunigen oder anhalten sollte, aber jede einzelne schien sie körperlich zu treffen.

Die Türen zischten und ließen sie ängstlich zusammenfahren. War sie entdeckt …? Nein, es waren drei Quaddiemädchen, Emma, Patty und Kara, die Helferin auf der Krankenstation.

»Ist es Zeit?«, fragte Ciaire heiser.

Kara schüttelte den Kopf. »Warum geht es nicht los, was hält Silver auf …« Ciaire verstummte. Sie konnte sich allzu viele verhängnisvolle Gründe für Silvers Verspätung vorstellen.

»Sie sollte lieber ihr Signal bald geben«, sagte Kara. »Im ganzen Habitat wird nach dir gejagt. Mr. Wyzak, der Leiter der Abteilung Wartung Luftsysteme ist schließlich auf den Gedanken gekommen, hinter die Wände zu schauen. Jetzt sind sie im Abschnitt Andockbucht. In seiner Mannschaft ist bei allen plötzlich die fürchterlichste Ungeschicklichkeit ausgebrochen«, ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen, »aber sie werden sich am Ende bis hierher durcharbeiten.«

Emma packte einen von Karas unteren Armen. »Ist das hier in diesem Fall wirklich das beste Versteck für uns?«

»Für jetzt muß es ausreichen. Ich hoffe, die Dinge entwickeln sich, bevor Dr. Curry sich bis zum Ende seiner Liste vorgearbeitet hat, sonst wird es hier drinnen schrecklich eng«, sagte Kara.

»Hat sich Dr. Curry denn erholt?«, fragte Ciaire und war sich dabei nicht sicher, ob sie ein Ja oder ein Nein hören wollte. »Genug erholt, um operieren zu können? Ich hatte gehofft, er würde länger außer Gefecht sein.« Kara kicherte. »Nicht ganz. Er hängt dort schielend und keuchend herum und führt die Aufsicht, während die Krankenschwester die Injektionen gibt. Oder er würde die Aufsicht führen, wenn sie welche von den Mädchen finden könnten, denen sie Injektionen geben wollen.«

»Injektionen?«

»Zur Abtreibung«, sagte Kara mit einer Grimasse.

»Oh. Das war dann eine andere Liste als die, auf der ich stand.« Deshalb also sahen Emma und Patty so bleich aus, als wären sie nur knapp davongekommen.

Kara seufzte. »Na ja, wir hier sind wahrscheinlich alle auf der einen oder anderen Liste.« Sie schlüpfte wieder hinaus.

Die Gesellschaft der beiden anderen Quaddies heiterte Ciaire auf, obwohl deren Verschwinden eine größere Gefahr der Entdeckung nicht nur ihrer selbst, sondern auch ihrer Pläne bedeutete. Wieviel mehr konnte noch falschlaufen, bevor das planetarische Personal des Habitats anfing, die richtigen Fragen zu stellen? Mal angenommen, der ganze Plan wurde vorzeitig aufgedeckt, indem man der Spur folgte, die sie gelegt hatte? Hätte sie sich widerstandslos Dr. Currys Prozedur fügen sollen, bloß um das Geheimnis noch ein bißchen länger zu bewahren? Angenommen, ›ein bißchen länger‹ war genau der Unterschied zwischen Erfolg und Desaster?