»Einer von den älteren Quaddies hat sie mitgenommen. Er sagte mir, ich sollte hierherkommen. Ich hielt es nicht für richtig, mich mit ihm zu streiten, während diese Alarmsirene heulte …«
»Funktioniert nicht.« Mit einer Grimasse klappte der Mann die Verkleidung zu.
»Also, ich werde zurückgehen und es herausfinden«, sagte die junge Frau entschlossen.
»Nein, das werden Sie nicht«, unterbrach Van Atta. »Hier drinnen sind zu viele Leute, die hier atmen wollen, als daß wir die Tür öffnen und unnötigerweise Luft verlieren können. Nicht, bis wir herausgefunden haben, was los ist, welchen Umfang diese Störung hat und wie lange sie wahrscheinlich dauert.«
Der Mann klopfte auf die Verkleidung des Holovids. »Falls dieses Ding sich nicht wieder einschaltet, dann ist die einzige Methode, um etwas herauszufinden, daß wir jemanden mit einer Atemmaske hinausschicken, damit er nachschaut.«
»Wir warten noch ein paar Minuten länger.« Zum Teufel mit Graf, diesem eingebildeten Laffen. Was hatte der wohl angestellt? Und wo war er? Irgendwo mit einer Atemmaske, hoffte Van Atta, oder noch besser mit einem Druckanzug — obwohl Van Atta sich nicht sicher war, ob er Graf einen Druckanzug wünschte, wenn er tatsächlich diesen verdammten Schlamassel angerichtet hatte. Soll er doch eine Atemmaske haben und zur Strafe einen schlimmen Fall von Luftdruckkrankheit. Dieser Idiot Graf.
Das war also Grafs berühmter Ruf auf dem Gebiet der Sicherheit. Das Ganze mochte ein Gutes haben, denn jetzt würde der Ingenieur Van Atta diese Geschichte mit der Sicherheit nicht mehr vorhalten können. Ein bißchen Bescheidenheit würde ihm guttun.
Und doch — die Situation war so verdammt anormal. Es dürfte eigentlich gar nicht möglich sein, daß es im ganzen Habitat gleichzeitig einen Druckabfall gab. Da gab es mehrere Stufen von Ersatzsystemen, Sperren, unabhängig funktionierende Schotts — ein Unfall, der das ganze System umfaßte, brauchte … brauchte Vorausschau und Planung.
Van Atta gab ein leises Zischen von sich und verkrallte sich in einen plötzlichen Zustand wütender Konzentration. Seine Augen weiteten sich. Ein geplanter Unfall — konnte das sein, war das etwa möglich …?
Graf, das Genie. Ein Unfall, ein Unfall, ein perfekter Unfall, genau der Unfall, den er sich so gewünscht hatte, aber er hatte seinen Wunsch nie laut auszusprechen gewagt. War es das? Das mußte es sein! Eine tödliche Katastrophe für die Quaddies, jetzt im letzten Augenblick, wo alle beisammen waren und es auf einen Streich verwirklicht werden konnte?
Ein Dutzend Anhaltspunkte verrieten jetzt ihren Sinn. Der Nachdruck, mit dem Graf darauf bestanden hatte, daß er alle Einzelheiten der Planung des Abbaus selbst erledigte, seine Geheimnistuerei, seine Besorgtheit um den jeweils neuesten Stand des Evakuierungszeitplans — sein Rückzug von sozialen Kontakten, den Yei mit Mißfallen beobachtet hatte, sein zwanghafter Arbeitsplan, der allgemeine Eindruck eines Mannes, den ein geheimes Vorhaben bis zur Erschöpfung vorantrieb — all das kulminierte in diesem Ereignis.
Natürlich war es geheim. Jetzt, da er selbst den Plan durchschaut hatte, konnte Van Atta ihm nur beipflichten. Die Dankbarkeit der Galac-Tech-Hierarchie gegenüber Graf dafür, daß er sie von dem Quaddie-Problem befreit hatte, müßte sich indirekt ausdrücken, in besseren Aufträgen, schnellerer Beförderung — er würde sich eine geeignet indirekte Methode ausdenken müssen, diese Dankbarkeit zu übermitteln.
Auf der anderen Seite — warum sollte er mit ihm teilen? Van Attas Lippen verzogen sich zu einem fuchsischen Grinsen. Hier handelte es sich kaum um eine Situation, für die Graf Anerkennung fordern konnte, wo sie ihm letztlich zustand. Graf war raffiniert gewesen — aber nicht raffiniert genug. Nach dem Unfall mußte es der Form halber ein Opfer geben. Alles, was er zu tun hatte, war, seinen Mund zu halten und … Van Atta mußte seine Aufmerksamkeit wieder seiner gegenwärtigen Situation zuwenden.
»Ich muß nach meinen Quaddies schauen!« Die junge Frau schaute wild drein. Sie gab ihre Bemühungen an der Kommunikatoreinheit auf und begann sich in Richtung der luftdichten Türen zu bewegen.
»Ja«, ein anderer Mann schloß sich ihr an, »und ich muß Wyzak finden, er ist immer noch nicht hier. Er wird Hilfe brauchen. Ich gehe mit Ihnen …«
»Nein!«, rief Van Atta eindringlich und hätte fast hinzugefügt: Sie werden alles verderben! »Sie müssen auf die Entwarnung warten. Ich möchte keine Panik haben. Wir bleiben einfach ruhig sitzen und warten auf Anweisungen.« Die Frau gab nach, aber der Mann fragte skeptisch: »Anweisungen von wem?«
»Graf«, sagte Van Atta. Ja, es war nicht zu früh, um damit zu beginnen, Zeugen klarzumachen, wo die praktische Verantwortung lag. Er zügelte seinen erregt beschleunigten Atem und bemühte sich um eine Ausstrahlung standhafter Ruhe. Allerdings durfte er nicht zu ruhig wirken — er mußte so überrascht wirken wie alle anderen — nein, überraschter als alle anderen —, wenn das volle Ausmaß der Katastrophe offenkundig wurde.
Er richtete sich aufs Warten ein. Die Minuten zogen sich hin. Eine letzte Gruppe keuchender Zufluchtsuchender kam durch die Tür herein; das Tempo des habitatweiten Druckabfalls mußte sich verlangsamen. Einer der Administratoren von der Inventurkontrolle präsentierte ihm das Ergebnis einer ungebetenen Zählung der Anwesenden.
Van Atta verfluchte insgeheim die Initiative des Zählers, obwohl er das Resultat mit Dank entgegennahm. Der Beweis, daß nicht alle anwesend waren, könnte ihn zu Aktionen zwingen, die er nicht zu unternehmen wünschte.
Nur elf Mitglieder des planetarischen Personals hatten es nicht geschafft. Ein notwendiger Preis, den man zahlen muß, versicherte sich Van Atta nervös. Einige steckten sicher in anderen Winkeln, wo noch Druck herrschte, oder er konnte zumindest später behaupten, daß er das geglaubt hatte. Ihre tödlichen Fehler konnten Graf angelastet werden.
Eine Gruppe an der Tür bereitete sich auf einen Ausbruch vor. Van Atta holte Luft und zögerte; er war sich momentan unsicher, wie er sie aufhalten sollte, ohne alles zu verraten. Aber eine Frau stieß einen verzweifelten Schrei aus: »Aus unserem Korridor ist jetzt die ganze Luft raus! Ohne Druckanzüge kommen wir nicht durch!« Erleichtert atmete Van Atta aus. Er bahnte sich den Weg zu einem der Ausguckfenster des Moduls; es umrahmte einen langweiligen Ausblick auf starr am Himmel stehende Sterne. Das Fenster auf der anderen Seite ermöglichte eine Sicht schräg nach hinten auf das Habitat. Eine Bewegung fiel ihm ins Auge, und in einem Versuch, die Details zu erkennen, preßte er seine Nase an das kalte Glas.
Silbern blitzten die Arbeitsanzüge von Gestalten, die über die Außenfläche des Habitats hüpften. Geflüchtete? Oder eine Reparaturmannschaft? War seine erste Hypothese von einem echten Unfall am Ende doch richtig? Nicht gut, aber in jedem Fall war der Schwarze Peter noch bei Graf.
Aber da draußen waren Quaddies, verdammt, Quaddies, die überlebt hatten. Graf hatte seinen Anschlag also nicht vollständig durchführen können. Bloß zwei überlebende Quaddies wären von Apmads Standpunkt aus gesehen genau so schlimm wie tausend, falls der eine männlich und die andere weiblich war. Vielleicht bestand die Mannschaft nur aus männlichen Schimpansen.
Da war unter den herumflitzenden Figuren Graf selber! Sie trugen allerlei Werkzeug mit sich. Die Verzerrung seiner schiefen Sicht durch das Fenster hinderten ihn daran zu erkennen, was sie genau bei sich hatten. Er verdrehte und reckte den Hals, bis er ihm wehtat. Dann entzog eine Biegung des Habitats die Mannschaft seinen Blicken. Ein Schubschiff glitt in Sicht und verschwand in einem eleganten Bogen über dem Vortragsmodul. Noch mehr Davongekommene? Quaddies oder Planetarier? »He«, eine aufgeregte Stimme aus dem Vortragsmodul unterbrach seine verzweifelten Beobachtungen. »Wir haben Glück, Leute. Dieser ganze Schrank ist voll mit Atemmasken. Das müssen dreihundert sein.« Van Atta wandte den Kopf, um den fraglichen Schrank zu betrachten. Beim letztenmal, als er sich in diesem Modul aufgehalten hatte, war dieser Lagerplatz mit audiovisuellem Gerät gefüllt gewesen. Wer, zum Teufel, hatte diesen Austausch veranlaßt, und warum …? Ein heftiger Schlag dröhnte durch das Modul, mit einem eigentümlichen scharfen Widerhall, wie wenn man seinen Kopf in einen Metalleimer hält, während ein anderer mit einem Hammer daraufschlägt. Und zwar mit aller Macht. Es gab Geschrei und Gekreisch. Die Lichter gingen aus, dann kamen sie wieder mit einem Viertel ihrer vorherigen Leuchtkraft. Sie waren jetzt an die Notstromversorgung des Moduls angeschlossen. Der Strom vom Habitat war abgeklemmt.