»Aber es wird doch sowieso einige Tage dauern, oder?«, sagte Yei und blickte ihn gespannt an. »Selbst wenn es ihnen gelingt, das Habitat an den Superjumper anzufügen, dann können sie es nicht herumschwingen und wie einen Schnellkurier beschleunigen. Es würde nie die Belastung aushalten, es würde zuviel Treibstoff verbrauchen — es ist noch jede Menge Zeit. Wäre es nicht besser, eine Genehmigung einzuholen, um sicherzugehen? Wenn dann etwas schiefginge — dann wäre es nicht Ihre Schuld.«
»Nun …« Van Atta wurde noch langsamer. Wie typisch für Yeis windelweiche, schwächliche Unentschlossenheit. In seiner Vorstellung konnte er sie fast hören: Jetzt setzen wir uns mal alle hin und diskutieren die Sache wie vernünftige Leute … Es war ihm zuwider, sich von ihr beeinflussen zu lassen; jedoch war an dem, was sie sagte, durchaus etwas dran: Sich nach jeder Seite abzusichern war eine elementare Regeln für das Überleben sogar des Tüchtigsten.
»Nun … nein, verflucht! Was ich verdammt sicher garantieren kann, ist, daß Galac-Tech dieses ganze Fiasko geheimhalten möchte. Das Allerletzte, was die wollen, sind eine Menge Gerüchte darüber, daß ihre netten Mutanten durchgehen. Es ist besser für uns alle, daß diese Geschichte ausschließlich im Lokalraum von Rodeo erledigt wird.« Er wandte sich an Bannerji. »Das hat die höchste Priorität, dann — Sie und Ihre Leute müssen dieses Sprungschiff zurückholen, oder es zumindest betriebsunfähig machen.«
»Das«, bemerkte Bannerji, ohne ihn auch nur anzublicken, »wäre Vandalismus. Außerdem, wie schon zuvor ausgeführt wurde — der Sicherheitsdienst von Shuttlehafen Drei untersteht nicht Ihrem Befehl, Mr. Van Atta.« Er warf seiner Chefin einen bedeutsamen Blick zu. Chalopin stand da, hörte zu und zog nervös an einer Haarsträhne, die sich aus ihrer eleganten Frisur gelöst hatte.
»Das ist wahr«, pflichtete sie ihm bei. »Das Habitat mag Ihr Problem sein, Mr. Van Atta, aber diese Entführung des Sprungschiffes unterliegt ohne Zweifel meiner Jurisdiktion, ohne Rücksicht auf etwaige Verbindungen. Und dort oben ist auch immer noch ein Frachtshuttle angedockt, das mir gehört, obwohl die Transferstation gemeldet hat, daß man seine Crew aus einem Rettungspod geholt hat.«
Van Atta stand da, wütend und blockiert. Blockiert von den verdammten Frauen. Plötzlich erkannte er, daß es Yeis Absicht gewesen war, Chalopin zu beeinflussen, und das war ihr auch gelungen. »Das ist es dann also«, zischte er schließlich. »Wir reichen die Sache weiter an die Zentrale. Und dann werden wir ja sehen, wer hier das Sagen hat.«
Dr. Yei schloß für einen Moment erleichtert die Augen. Auf Anweisung von Chalopin begann ein Nachrichtentechniker, sein System für die Übertragung einer verschlüsselten Notfallnachricht an die Distriktszentrale vorzubereiten; diese Nachricht würde mit Lichtgeschwindigkeit zur Wurmlochstation gefunkt werden, dort würde man sie aufzeichnen und mit dem nächsten verfügbaren Sprungschiff durch das Wurmloch transportieren, und dann wieder über Funk an ihren Bestimmungsort übertragen.
»Was machen Sie inzwischen«, fragte Van Atta Chalopin, »mit Ihrer«, er dehnte das Wort sarkastisch, »Entführung?«
»Wir werden vorsichtig vorgehen«, erwiderte sie gleichmütig. »Wir glauben, daß schließlich eine Geisel dabei ist.« »Wir sind auch nicht sicher, ob das gesamte Galac-Tech-Personal schon vom Habitat herunter ist«, warf Dr. Yei ein.
Van Atta knurrte, aber er konnte ihr nicht widersprechen. Aber wenn da noch Planetarier an Bord festgehalten wurden, dann mußte das höhere Management doch sicher die Notwendigkeit einer schnellen und energischen Reaktion erkennen. Er mußte als nächstes die Transferstation anrufen und sich die endgültige Zahl durchgeben lassen. Wenn all diese unentschlossenen Idioten ihn zwingen sollten, die nächsten paar Tage untätig herumzuhocken, dann konnte er wenigstens seine Aktionspläne für die Zeit festlegen, wo er wieder freie Hand hatte.
Und er war sich sicher, daß er früher oder später wieder freie Hand haben würde. Apmads unterschwelliger Horror vor den Quaddiemutanten war ihm nicht entgangen. Wenn die Nachricht von diesem Schlamassel schließlich auf ihrem Schreibtisch landete, dann würde sie drei Meter hoch in die Luft springen, Geiseln hin oder her — Van Atta kniff die Augen zusammen. »He«, sagte er plötzlich, »wir sind nicht so hilflos, wie Sie meinen. Dieses Spiel können zwei spielen — ich habe auch eine Geisel!«
»Sie?«, sagte Dr. Yei verdutzt. Dann griff sie sich an den Hals. »Ganz recht. Und wenn ich daran denke, daß ich das fast vergessen hätte. Dieser vierarmige Kriecher Tony ist hier unten!«
Tony war Grafs Lieblingsschüler — und das Herzblatt dieses kleinen Weibstücks Ciaire, und die war bestimmt eine Rädelsführerin — wenn sie das Ganze nicht zu seinen Gunsten umdrehen konnte, dann war er total blöd. Er drehte sich auf dem Absatz um. »Kommen Sie, Yei! Die kleinen Affen werden jetzt unsere Anrufe beantworten!«
Sprungpiloten mochten ja schwören, daß ihre Schiffe schön waren, dachte Leo, als die D-620 lautlos in Sicht kam, aber in Wirklichkeit ähnelte der Superjumper nichts so sehr wie einem mutierten mechanischen Tintenfisch. Ein schotenähnlicher Abschnitt an der Vorderseite enthielt den Steuerraum und die Mannschaftsquartiere, die vor den Materialrisiken während der Beschleunigung durch einen sphäroiden laminierten Schild und vor den Gefahren der Strahlung durch einen unsichtbaren Magnetkegel geschützt wurden. Hinter sich her zog das Schubschiff vier enorm lange, ineinander geklammerte Arme. Zwei enthielten normale Raumtriebwerke, die zwei anderen das Hauptstück der Zweckbestimmung des Schiffes, die Necklinfeldgeneratorstäbe, die das Schiff während eines Sprungs durch den Wurmlochraum wirbelten. Zwischen den vier Armen gab es einen riesigen leeren Raum, der normalerweise von den Frachtbehältern besetzt war. Das bizarre Schiff würde vernünftiger aussehen, sobald dieser Raum mit Habitatmodulen angefüllt wäre, dachte Leo. Dann würde sogar er nachgeben und es schön nennen.
Mit einem Rucken seines Kinns rief Leo ein Vid der Energie- und Versorgungsebenen seines Arbeitsanzuges auf, das auf der Innenseite seiner Gesichtsscheibe projiziert wurde. Er würde gerade noch Zeit haben, um zu sehen, wie das erste Modulbündel an seinen Platz geschoben und befestigt wurde, bevor er gezwungen sein würde, eine Pause zu machen und seinen Anzug nachzuladen. Eigentlich war er schon vor Stunden reif für eine Pause gewesen. Er blinzelte sich Augenflüssigkeit und Wasser aus den juckenden, ohne Zweifel blutunterlaufenen Augen und wünschte sich, er könnte sie reiben, und dann saugte er einen weiteren Mundvoll heißen Kaffee aus seinem Trinkrohr. Er hätte auch gern frischen Kaffee gehabt. Das Zeug, das er jetzt trank, war schon genau so lange hier draußen wie er selbst, schmeckte schon abscheulich chemisch und wurde trübe und grünlich. Die D-620 kam nahe an das Habitat heran, hatte ihre Geschwindigkeit präzise dem Habitat angepaßt, und schaltete ihre Antriebsaggregate ab. Die Fluglichter gingen aus, die Parklichter, die anzeigten, daß man sich dem Schubschiff sicher nähern konnte, leuchteten auf. Flutlichtaggregate erleuchteten plötzlich den weiten Frachtraum, als wollten sie sagen: Willkommen an Bord.
Leos Blick wanderte zum Mannschaftsbereich, der im Vergleich zu den gebogenen Armen zwergenhaft wirkte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich ein Personalpod von der Steuerbordseite des Superjumpers löste und zu den Modulen des Habitats herüberkam. Jemand auf dem Heimweg — Silver? Ti? Er mußte so bald wie möglich mit Ti reden. In seinem Bauch löste sich ein Knoten, den er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Silver ist sicher zurück. Er raffte sich auf; alle waren zurück. Aber noch nicht sicher. Er aktivierte die Düsen seines Anzugs und holte seine Quaddiemannschaft ein. Dreißig Minuten später entspannte sich Leo, als das erste Modulbündel reibungslos an seinen Platz in der Umarmung der D-620 glitt. In einer Angstvision, die auch durch mehrfache Überprüfung seiner Zahlen nicht vertrieben werden konnte, hatte er befürchtet, daß irgend etwas nicht paßte und dann endloser Aufschub wegen Korrekturen folgte. Die Tatsache, daß sie außer wiederholten Aufforderungen zur Kommunikation noch nichts vom Planeten gehört hatten, beruhigte ihn nicht sonderlich. Das Galac-Tech-Management auf Rodeo mußte schließlich irgendwann reagieren, und es gab nichts, was er gegen diese Reaktion unternehmen konnte, solange sie sich nicht manifestierte. Rodeos offensichtliche Lähmung konnte nicht mehr viel länger dauern.