»Sehen Sie Rauch?«, fragte Tis Stimme in seinem Ohr.
»Nö.«
»Das ist’s dann also. Schaut jetzt lieber, daß ihr eure Ärsche reinkriegt. Und sobald Sie alles erledigt haben, Leo, hätte ich es gern, daß Sie einmal in den Navigationsraum kommen.«
Etwas im Klang von Tis Stimme ließ Leo frösteln. »So? Was steht an?«
»Es nähert sich ein Sicherheitsshuttle von Rodeo. Ihr alter Kumpel Van Atta ist an Bord und befiehlt uns aufzugeben. Ich glaube, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Sie behalten immer noch die Funkstille bei, hoffe ich?«
»O ja, sicher. Aber das hält mich ja nicht davon ab zuzuhören, oder? Es gibt eine Menge Geschnatter von der Sprungstation — aber das beunruhigt mich nicht so sehr wie das, was von hinten kommt. Ich … hm … glaube, Van Atta wird nicht gut mit Enttäuschungen fertig.«
»Ist er gereizt?«
»Mehr als gereizt, glaube ich. Diese Sicherheitsshuttles sind bewaffnet, wie Sie wissen. Und im Normalraum viel schneller als dieses Monstrum. Daß ihre Laser bloß als ›leichte Waffen‹ klassifiziert sind, bedeutet nicht, daß es nicht gerade gesund ist, sich in ihrer Nähe zu befinden. Ich würde lieber springen, bevor sie in Schußweite sind.«
»Verstanden.« Leo winkte seine Mannschaft zur Eingangsluke in das Rüstmodul. Jetzt also spitzte es sich endlich zu. Für die langerwartete physische Konfrontation mit Galac-Tech-Leuten, die versuchten, das Habitat wieder in Besitz zu nehmen, hatte sich Leo in seinen Gedanken ein Dutzend Verteidigungsmethoden ausgedacht, fest installierte Strahlenschweißbrenner zum Beispiel, oder Sprengminen. Aber seine ganze Zeit war durch den Vortex-Spiegel in Anspruch genommen worden, und folglich waren jetzt nur die dringendsten Waffen verfügbar, wie die Strahlenschweißbrenner, und selbst die waren bei einem Enterkampf innerhalb des Habitats nutzlos. Er konnte sich direkt vorstellen, wie einer sein Ziel verfehlte und eine Wand zu einem benachbarten Krippenmodul durchschnitt. Im Einzelkampf in der Schwerelosigkeit mochten die Quaddies manche Vorteile haben, aber Waffen machten sie wieder zunichte, weil sie für die Verteidiger gefährlicher waren als für die Angreifer. Es hing alles davon ab, welche Art von Angriff Van Atta startete. Und Leo verabscheute es, von Van Atta abhängig zu sein.
Van Atta fluchte ein letztesmal in den Kommunikator, dann versetzte er der AUS-Taste einen wütenden Hieb.
Schon vor Stunden waren ihm die Schimpfwörter ausgegangen, und er war sich bewußt, daß er sich wiederholte. Er wandte sich von der Kommunikationskonsole ab und blickte finster im Steuerraum des Sicherheitsshuttles umher.
Pilot und Copilot waren vorne mit ihrer Arbeit beschäftigt. Bannerji, der die Truppe befehligte, und Dr. Yei — wie hatte die sich überhaupt in die Expedition eingeschlichen? — saßen an ihre Beschleunigungssessel gegurtet, Yei auf dem Platz des Technikers, Bannerji an der Waffenkonsole auf der anderen Seite des Mittelgangs.
»Das ist’s dann also«, fauchte Van Atta. »Sind wir schon in Schußweite für die Laser?«
Bannerji blickte auf eine Anzeige. »Noch nicht ganz.«
»Bitte«, sagte Dr. Yei, »lassen Sie mich es nur noch einmal versuchen, mit ihnen zu reden …«
»Wenn die den Klang Ihrer Stimme halb so überhaben wie ich, dann werden sie nicht antworten«, knurrte Van Atta. »Sie haben Stunden damit verbracht, mit ihnen zu reden. Akzeptieren Sie es — die hören nicht mehr zu, Yei. Soviel zum Thema Psychologie.«
Fors, der Sergeant von der Sicherheit, streckte den Kopf vom hinteren Abteil herein, wo er mit seinen sechsundzwanzig Kameraden vom Galac-Tech-Sicherheitsdienst saß. »Wie steht’s, Captain Bannerji? Sollen wir schon die Raumanzüge fürs Entern anlegen?«
Bannerji schaute Van Atta fragend an. »Nun, Mr. Van Atta? Welcher Plan soll es sein? Es scheint, daß wir alle Szenarien abhaken können, die davon ausgingen, daß sie sich ergeben.«
»Sie haben das Problem ganz richtig kapiert.« Van Atta brütete vor dem Kommunikator, der auf seinem Vid nur ein graues leeres Zischen von sich gab. »Sobald wir in Schußweite sind, beginnen Sie also auf sie zu feuern. Machen Sie zuerst die Arme mit den Necklinstäben unbrauchbar, dann die normalen Raumtriebwerke. Dann sprengen wir ihnen ein Loch in die Seite, marschieren rein und räumen auf.«
Sergeant Fors räusperte sich. »Sie sagten, da wären tausend von diesen … ah … Mutanten an Bord, nicht wahr, Mr. Van Atta? Wie steht es mit dem Plan, das Entern zu überspringen und einfach das ganze Raumfahrzeug in Schlepptau zu nehmen, zurück dorthin, wo Sie es haben wollen? Sind nicht die Chancen fürs Entern ein bißchen ungleich verteilt?«
»Beschweren Sie sich bei Chalopin. Sie hat sich gesträubt, Hilfe vom eigentlichen Sicherheitdienst draußen anzufordern. Aber die Chancen stehen nicht so, wie es scheint. Die Quaddies sind Waschlappen. Die Hälfte von ihnen sind Kinder unter zwölf, um Himmels willen. Gehen Sie einfach rein und betäuben Sie alles, was sich bewegt. Was meinen Sie, Fors, wie vielen fünfjährigen Mädchen sind Sie gewachsen?« »Ich weiß nicht, Sir«, Fors blinzelte. »Ich habe mir nie vorgestellt, mit fünfjährigen Mädchen kämpfen zu müssen.« Bannerji trommelte mit seinen Fingern auf seiner Waffenkonsole und blickte Yei an. »Ist auch das Mädchen mit dem Baby an Bord, das ich an jenem Tag im Lager fast erschossen habe, Dr. Yei?«
»Ciaire? Ja«, erwiderte sie ruhig.
»Aha.« Bannerji wich ihrem intensiven Blick aus und rutschte auf seinem Sitz herum.
»Hoffen wir, daß Sie diesmal besser zielen, Bannerji«, sagte Van Atta. Bannerji ließ ein Computerschema eines Superjumpers auf seinem Vid rotieren und stellte Berechnungen an. »Sind Sie sich bewußt«, sagte er langsam, »daß bei dem tatsächlichen Geschehen einige unkontrollierbare Faktoren eine Rolle spielen — die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß wir am Ende ein paar Extralöcher in die bewohnten Module schießen, während wir es auf die Necklinstäbe abgesehen haben?«
»Das geht alles in Ordnung«, sagte Van Atta. Bannerji verzog zweifelnd die Lippen. »Hören Sie, Bannerji«, fügte Van Atta ungeduldig hinzu, »die Quaddies sind … äh … haben sich zum Freiwild gemacht, indem sie kriminell wurden. Das sind Kriminelle auf der Flucht.«
Dr. Yei fuhr sich heftig mit den Händen übers Gesicht. »Lord Krishna«, stöhnte sie. Sie zeigte ihm ein eigenartiges, verkniffenes Lächeln. »Ich habe mich gefragt, wann Sie das sagen würden. Ich hätte darauf wetten sollen — hätte einen Wettpool eröffnen sollen …« Van Atta wurde ungehalten. »Wenn Sie Ihre Arbeit richtig gemacht hätten«, erwiderte er nicht weniger verkniffen, »dann wären wir jetzt nicht hier. Ich möchte das später wirklich dem Management darlegen, glauben Sie mir. Aber ich muß mich nicht mehr mit Ihnen streiten. Für alles, was ich zu tun beabsichtige, habe ich eine entsprechende Vollmacht.«
»Die Sie mir nicht gezeigt haben.«
»Chalopin und Captain Bannerji haben sie gesehen. Wenn es nach mir geht, dann werden Sie dafür gekündigt, Yei.« Sie sagte nichts, nahm aber die Drohung mit einer kurzen ironischen Neigung des Kopfes zur Kenntnis. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verschränkte die Arme, anscheinend endlich zum Schweigen gebracht. Gottseidank, dachte Van Atta bei sich. »Legen Sie Ihre Anzüge an, Fors«, sagte er zu dem Sicherheitssergeanten.