Der Steuerraum auf der D-620 war gerammelt voll. Ti regierte von seinem Pilotensessel aus, wo er unter seinem Kopfaggregat thronte; Silver bediente den Kommunikator; und Leo — hatte die Stelle des Chefingenieurs inne, wie er vermutete. Die Befehlskette wurde zu diesem Zeitpunkt ziemlich verschwommen.
Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und seine Kehle war wie zugeschnürt, als alle Handlungsfäden sich ihrem Schnittpunkt, dem ›Punkt ohne Umkehr‹, näherten.
»Das Sicherheitsshuttle hat aufgehört zu senden«, berichtete Silver.
»Das ist eine Wohltat«, sagte Ti. »Du kannst jetzt den Ton wieder aufdrehen.« »Keine Wohltat«, sagte Leo. »Wenn sie aufgehört haben zu reden, dann bereiten sie sich vielleicht auf einen Beschuß vor.« Und es war zu spät, zu nahe am Sprungpunkt, um eine Mannschaft mit einem Strahlenschweißbrenner nach draußen zu schicken und zurückzufeuern.
Ti verzog verzweifelt den Mund. Er schloß die Augen; die D-620 schien sich schrägzulegen, während sie unter der Beschleunigung dahinrumpelte. »Wir sind fast in der Position zum Sprung«, sagte er.
Leo spähte auf den Monitor. »Sie sind fast in Schußweite.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Sie sind in Schußweite.«
Ti gab ein Quieken von sich und zog sein Kopfaggregat herunter. »Ich bringe das Necklin-Feld hoch …«
Silvers Hand tastete nach Leos. Er war überwältigt von einem Verlangen, um Verzeihung zu bitten, bei Silver, bei den Quaddies, bei Gott … er wußte nicht, bei wem noch. Ich habe euch in diese Lage gebracht … es tut mir so leid … »Wenn du einen Kanal aufmachst, Silver«, sagte Leo verzweifelt, den Kopf voller Panik — alle diese Kinder! — »wir können uns immer noch ergeben …«
»Niemals«, sagte Silver. Ihr Griff um seine Hand wurde fester, und ihre blauen Augen begegneten seinem Blick. »Und ich wähle für alle, nicht nur für mich. Wir springen.«
Leo knirschte mit den Zähnen und nickte knapp. Die Sekunden pulsierten in seinem Hirn, synkopiert vom Hämmern seines Herzens. Das Sicherheitsshuttle auf dem Monitor wurde größer.
»Warum feuern sie nicht?«, fragte Silver.
»Feuer!«, befahl Van Atta. Bannerjis helles Computerschema richtete sich aus, Zahlen leuchteten auf, Lichter konvergierten. Dr. Yei war nicht länger auf ihrem Platz, wie Van Atta bemerkte. Vielleicht versteckte sie sich in der Toilette. Diese Dosis realen Lebens und realer Konsequenzen war zweifellos zu viel für sie. Genau wie einer dieser schlappschwänzigen Politiker, dachte Van Atta sarkastisch, die die Leute in ein Desaster hineinschwatzen und dann verschwinden, wenn das Schießen beginnt … »Feuer!«, wiederholte er zu Bannerji, als der Computer Feuerbereitschaft zeigte und auf sein Ziel fixiert war.
Bannerjis Hand bewegte sich auf den Feuerschalter zu, zögerte dann. »Haben Sie eine Arbeitsanweisung dafür?«, fragte er plötzlich.
»Was soll ich haben?«, sagte Van Atta.
»Eine Arbeitsanweisung. Mir fällt ein, daß dies praktisch als Maßnahme zur Beseitigung von Problemmüll betrachtet werden kann. Dazu ist eine Arbeitsanweisung notwendig, unterschrieben vom Anforderer — das sind Sie —, meiner Vorgesetzten — das ist Administratorin Chalopin — und dem Firmenbeauftragten für Problemmüll.«
»Chalopin hat Sie mir überstellt. Das macht es offiziell, Mister!«
»Aber nicht vollständig. Die Firmenbeauftragte für Problemmüll ist Laurie Gompf, und sie ist drunten auf Rodeo. Sie haben nicht ihre Vollmacht. Die Arbeitsanweisung ist unvollständig. Tut mir leid, Sir.« Bannerji verließ die Waffenkonsole, ließ sich auf den freien Technikersitz plumpsen und verschränkte die Arme. »Ich möchte nicht meinen Job aufs Spiel setzen, indem ich eine Maßnahme zur Beseitigung von Problemmüll ohne ordnungsgemäße Anweisung durchführe. Das Gutachten über die Auswirkungen auf die Umwelt müßte auch beigefügt sein.«
»Das ist Meuterei!«, brüllte Van Atta.
»Nein, ist es nicht«, widersprach Bannerji freundlich. »Wir sind hier nicht beim Militär.«
Van Atta starrte wütend mit rotem Gesicht auf Bannerji, der seine Fingernägel studierte. Mit einem Fluch schwang sich Van Atta auf den Sitz vor der Waffenkonsole und aktivierte sie. Er zögerte, während ihm die technischen Parameter der Superjumper der D-Klasse durch den Kopf rasten. Wo auf dieser komplexen Struktur mochte wohl ein Treffer nicht nur die Stäbe außer Betrieb setzen, sondern auch die Haupttriebwerke hochgehen lassen? Verbrennung, in der Tat! Und der Tod der vier oder fünf Planetarier an Bord konnte, falls nötig, Bannerji in die Schuhe geschoben werden — ich habe mein Bestes getan, gnädige Frau — wenn er seine Aufgabe erfüllt hätte, so wie ich es zuerst von ihm verlangt hatte …
Das Schema drehte sich auf dem Vid-Display. Es mußte einen Punkt in der Struktur geben — ja. Da und da. Wenn er sowohl diesen Steuernexus und diese Kühlerleitungen wegpusten könnte, dann wäre das Ergebnis — wahrscheinlich eine Beförderung, sobald der Staub sich gelegt hatte. Apmad würde ihn abküssen. Wie einen heldenhaften Arzt, der auf sich allein gestellt eine Pest genetischer Scheußlichkeiten davon abhielt, sich über die Galaxis zu verbreiten…
Das Zielschema richtete sich wieder aus. Van Attas schwitzende Hand umfaßte den Feuerknopf. Noch einen Augenblick — bloß noch einen Augenblick…
»Was machen Sie damit, Dr. Yei?«, fragte Bannerjis Stimme verdutzt.
»Ich setze Psychologie ein.«
Van Attas Hinterkopf schien mit einem gräßlichen Knacksen zu explodieren. Er fiel vorwärts, schlug mit dem Kinn auf die Konsole auf und knallte auf die Tastatur, woraufhin sein Zielprogramm auf dem Vid sich in ein konfettibuntes Durcheinander verwandelte. Er sah Sterne innerhalb des Shuttles, verschwommene Purpurflecken und grüne Pünktchen — keuchend richtete er sich wieder auf.
»Dr. Yei«, protestierte Bannerji, »wenn Sie versuchen, einen Mann k.o. zu hauen, dann müssen Sie viel härter zuschlagen.«
Yei zuckte ängstlich zurück, als Van Atta von seinem Sitz hochschoß. »Ich wollte nicht riskieren, ihn zu töten …«
»Warum nicht?«, murmelte Bannerji.
Wütend schlossen sich Van Attas Hände um Yeis Handgelenk. Er entriß ihr den Schraubenschlüssel. »Sie können wirklich nichts richtig machen, oder?«, knurrte er.
Sie keuchte und weinte. Fors, schon in seinem Raumanzug, aber noch ohne Helm, steckte erneut den Kopf vom hinteren Abteil herein. »Was, zum Teufel, ist hier los?«
Van Atta schob ihm Yei zu. Bannerji, der sich voller Unbehagen auf seinem Sitz wand, war offensichtlich nicht zu trauen. »Halten Sie dieses verrückte Miststück fest. Sie hat gerade versucht, mich mit einem Schraubenschlüssel umzubringen.«
Mit einem Zischen ließ sich Van Atta wieder auf den Sitz vor der Waffenkonsole fallen und rief erneut das Zielprogramm auf. Die D-620-Habitat-Konfiguration zeichnete sich deutlich auf dem Vid ab, das kalte und ferne Sonnenlicht ließ ihre Struktur silbern erglänzen. Die Zielfäden des Schemas konvergierten und schlossen die Konfiguration ein.
Die D-620 zitterte, rotierte und verschwand.
Die Laser feuerten, Lanzen von Licht schossen in den leeren Raum.
Van Atta brüllte auf und schlug mit den Fäusten auf die Konsole. Von seinem Kinn rannen Bluttropfen. »Sie sind entkommen. Sie sind entkommen. Sie sind entkommen …«
Yei kicherte.
Leo hing schlaff in seinen Sitzgurten. Aus seiner Kehle stieg ein Gelächter auf. »Wir haben es geschafft!«
Ti schob seinen Steuerhelm hoch und saß nicht weniger schlaff da, sein Gesicht war bleich und von Linien durchzogen — Wurmlochsprünge erschöpften einen Piloten. Leo hatte ein Gefühl, als wäre er soeben von innen nach außen gestülpt worden, er würgte, aber das Ekelgefühl verging schnell.