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»Du hast gut gelernt junger Nachtelf«, rumpelte eine Stimme, die wie die eines Bären klang. »Besser als selbst ich es erwartet hatte …«

Schweiß lief Malfurions Gesicht herab. Sein Mentor hatte darauf bestanden, dass er diesen monumentalen Schritt seiner Lehre am helllichten Tage versuchte, dann also, wenn die Kraft seines Volkes am schwächsten war. Wäre es zur Nacht gewesen, dessen war sich Malfurion sicher, wäre er stärker gewesen. Aber wie Cenarius gesagt hatte: Das war nicht Sinn der Sache. Was sein Mentor ihn lehrte, war nicht die Zauberei der Nachtelfen, sondern fast ihr genaues Gegenteil.

Und in so vielerlei Hinsicht war Malfurion bereits das genaue Gegenteil seines Volkes geworden. Trotz der Neigung der Nachtelfen zu extravaganter, prächtiger Garderobe war Malfurions Kleidung überaus zurückhaltend gewählt: ein Stoffhemd, ein einfaches Wams, eine Hose aus Leder, kniehohe Stiefel … Wären seine Eltern nicht schon vor vielen Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen, sie wären in der Zwischenzeit gewiss aus Scham über ihren Sohn gestorben.

Sein schulterlanges, dunkelgrünes Haar umrahmte ein schmales Gesicht, das an einen Wolf erinnerte. Malfurion war zu einer Art Ausgestoßenem unter seinen eigenen Leuten geworden. Er stellte Fragen, erklärte, dass alte Traditionen nicht unbedingt die besten seien, und meinte sogar einmal, dass der von allen geliebten Königin Azshara die Sorgen ihrer Untertanen vielleicht nicht immer vorrangig am Herzen lagen. Seine Äußerungen und sein Verhalten hatten ihm viele verächtliche Blicke, aber nur wenige Freunde eingetragen.

Tatsächlich hätte Malfurion, hätte man ihn danach gefragt, nur drei wirkliche Freunde benennen können. Zunächst einmal wäre da sein eigener Zwillingsbruder gewesen, der ebenso rebellische Illidan. Obwohl Illidan sich den Traditionen und der Zauberei der Nachtelfen nicht in der Weise verweigerte wie Malfurion, neigte auch er dazu, die Autorität der Älteren in Frage zu stellen – was kein wesentlich geringeres Vergehen war.

»Was hast du gesehen?«, fragte Illidan eifrig. Er saß neben Malfurion im Gras und hätte seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich gesehen, wären nicht das mitternachtsblaue Haar und die bernsteinfarbenen Augen gewesen. Als Kinder des Mondes hatten fast alle Elfen silberne Augen. Jene wenigen Ausnahmen, die mit Augen wie Bernstein geboren wurden, betrachtete man als zu großen Taten bestimmt.

Doch falls Illidan tatsächlich einmal große Taten vollbringen wollte, musste er zunächst einmal lernen, Temperament und Ungeduld zu zügeln. Er war mit seinem Zwillingsbruder gekommen, um den neuen Weg zu studieren, der die Kräfte der Natur benutzte – ihr Mentor nannte ihn den »Pfad des Druiden« – und hatte geglaubt, er werde sich als gelehriger Schüler erweisen. Stattdessen verwob er Zauber oft falsch und konzentrierte sich selten genug, um seine Trance ausreichend lange aufrechtzuerhalten. Dass er ziemlich geschickt war, was traditionelle Zauberei betraf, befriedigte Illidan nicht. Er hatte den Pfad des Druiden erlernen wollen, weil solch einzigartige Fähigkeiten ihn in den Augen seines Volkes zu etwas wahrhaft Besonderem gemacht hätten. Vielleicht hätte er sich damit endlich dem Potenzial angenähert, von dem man seit seiner Geburt sprach.

»Ich sah …«, begann Malfurion und stockte. Wie sollte er es seinem Bruder erklären? Malfurion legte die Stirn kraus. »Ich sah in die Herzen der Bäume, ihre Seelen. Und auch nicht einfach ihre Seelen. Ich sah … Ich glaube, ich sah in die Seele des gesamten Waldes!«

»Wie wundervoll!«, rief eine weibliche Stimme neben ihm.

Malfurion versuchte zu verhindern, dass seine Wangen sich ins Schwarze verdunkelten, der Art wie Nachtelfen erröteten. In letzter Zeit fühlte er sich in Gegenwart seiner anderen Begleitung beständig unbehaglicher … und doch konnte er sich auch nicht vorstellen, zu weit von ihr entfernt zu sein.

Mit den Brüdern war Tyrande Whisperwind gekommen, ihre beste Freundin seit früher Kindheit. Die drei waren zusammen aufgewachsen und unzertrennlich in jeder Hinsicht gewesen, bis Tyrande vergangenes Jahr die Gewänder einer Novizin im Tempel der Mondgöttin Elune angelegt hatte. Dort lernte sie, den Geist der Göttin in sich zu erwecken und die Fähigkeiten zu nutzen, die allen Priesterinnen verliehen wurden, damit sie das Wort ihrer Herrin verbreiten konnten. Sie war es gewesen, die Malfurion zu seiner Entscheidung ermutigt hatte, als er darüber nachdachte, sich von der Zauberei der Nachtelfen ab- und einer anderen, irdischeren Macht zuzuwenden. Tyrande erkannte im Pfad des Druiden eine Lehre, die den Lehren ihrer eigenen Gottheit verwandt war.

Doch aus dem mageren, blassen Mädchen, das die beiden Brüder mehr als einmal beim Rennen und bei der Jagd geschlagen hatte, war, seit Tyrande sich dem Tempel angeschlossen hatte, eine schlanke, doch wohl gerundete Schönheit geworden, deren glatte Haut jetzt in einem weichen, hellen Violett schimmerte, während ihr dunkelblaues Haar von Silber durchzogen war. Das scheue Gesicht war voller, weiblicher und überaus anziehend geworden.

Vielleicht sogar zu betörend.

»Hmpf!«, kommentierte Illidan, nicht sonderlich beeindruckt. »War das alles

»Es war ein Anfang – ein akzeptabler Anfang«, kam es dunkel aus dem Mund ihres Lehrers. Sein riesiger Schatten fiel über die drei jungen Nachtelfen und brachte sogar Illidans sonst so zügelloses Mundwerk zum Schweigen.

Obwohl sie selbst alle mehr als sieben Fuß groß waren, wirkte das Trio vor Cenarius wie eine Versammlung von Zwergen, denn ihr Lehrer maß weit über zehn Fuß. Sein Oberkörper erinnerte an den eines Nachtelfs, obwohl ein Hauch des smaragdgrünen Waldes seine dunkle Haut färbte und er eine viel breitere und muskulösere Statur aufwies als seine beiden männlichen Schüler. Aber jenseits des Oberkörpers endete jede Ähnlichkeit. Cenarius war kein einfacher Nachtelf. Er war nicht einmal sterblich.

Cenarius war ein Halbgott.

Seine Ursprünge kannte nur er selbst, aber er war ebenso ein Teil des großen Waldes, wie dieser ein Teil von ihm. Als die ersten Nachtelfen aufgetaucht waren, hatte Cenarius bereits lange hier gelebt. Er behauptete, mit ihnen verwandt zu sein, doch hatte er niemals erklärt, in welcher Weise.

Die Wenigen, die zu ihm kamen, um von ihm zu lernen, verließen ihn stets berührt, sogar verändert. Andere verließen ihn überhaupt nicht und wurden so von seinen Lehren verwandelt, dass sie sich entschieden, ihr eigenes Volk zu verlassen und sich stattdessen dem Halbgott zum Schutze seines Reiches anzuschließen. Sie waren nicht länger Elfen, sondern Waldwächter, deren Leiber für immer umgeformt waren.

Eine dicke, moosgrüne Mähne floss von seinem Kopf herab, während Cenarius seine Schüler mit freundlichen Augen aus purem Gold betrachtete. Er klopfte Malfurion sanft mit Händen auf die Schulter, die in Krallen aus knorrigem, altem Holz endeten – Klauen, die in der Lage waren, einen Nachtelf mühelos in Stücke zu reißen. Dann trat Cenarius zurück … auf seinen vier Beinen.

Der Oberkörper des Halbgottes mochte dem eines Nachtelfen gleichen, aber die untere Hälfte war die eines riesigen, prächtigen Hirsches. Cenarius bewegte sich so flink und behände wie jeder der drei anderen. Er hatte die Geschwindigkeit des Windes, die Stärke der Bäume. In ihm spiegelte sich das Leben und die Vitalität des Landes. Er war zugleich sein Kind und sein Vater.

Und wie ein Hirsch trug auch er ein Geweih – riesige, großartige Sprossen, die Schatten auf sein gestrenges, aber auch väterliches Gesicht warfen, das von einem langen, dichten Bart umrahmt wurde. Das Geweih erinnerte daran, dass jede Blutsverwandtschaft zwischen Halbgott und Nachtelf weit, weit in der Vergangenheit liegen musste.

»Ihr habt eure Sache alle gut gemacht«, fügte er mit einer Stimme hinzu, die stets wie ferner Donner klang. Blätter und Zweige, die buchstäblich seinem Bart entsprossen, brachten das Haar der Gottheit in Bewegung, wann immer sie sprach. »Geht jetzt. Bewegt euch wieder eine Zeit lang unter eurem eigenen Volk. Es wird euch gut tun.«