Im Licht der magischen Klinge verwandelte sich der hochmütige Ausdruck auf dem Gesicht des Soldaten in Überraschung. Trotzdem stellte er sich Rhonins Schwert mit seinem eigenen.
Rote und silberne Funken sprühten. Rhonins ganzer Leib erzitterte. Der Nachtelf stürzte beinahe aus dem Sattel. Der Panther brüllte, doch wegen seines Reiters konnte er den Feind nicht mit seinen rasiermesserscharfen Krallen erreichen.
Wieder trafen sich die Klingen. Rhonin mochte ein Zauberer sein, doch er hatte im Laufe seines Lebens gelernt, dass es nützlich war, auch das Schwert zu beherrschen. Vereesa hatte ihn so gut trainiert, dass er selbst gegen erfahrene Krieger bestehen konnte … und mit der Elfenklinge hatte er gute Chancen, gegen jeden Gegner den Sieg davonzutragen, der ihm im Zweikampf gegenübertrat.
Aber nicht gegen eine ganze Bande auf einmal. Während er noch den Nachtelf und seine Bestie auf Abstand hielt, trafen drei weitere Reiter ein, von denen zwei ein Netz zwischen sich führten. Krasus hörte ein Geräusch hinter sich und blickte über die Schulter, wo noch drei andere Reiter erschienen, die ebenfalls ein großes Netz schleppten.
Wie sehr er es auch versuchte, er brachte die Worte der Macht nicht über seine Lippen. Er, der Drache, war hilflos.
Rhonin sah das erste Netz und wich zurück. Er hielt sein Schwert bereit, falls die Nachtelfen versuchten sollten, ihn damit einzufangen. Der Anführer trieb sein Reittier vorwärts und zog Rhonins Aufmerksamkeit auf sich.
»Hinter dir!«, rief Krasus, der wieder von Schwäche überwältigt wurde. »Das ist noch ein …«
Ein schwerer Stiefel trat dem geschwächten Magier gegen den Kopf. Krasus behielt das Bewusstsein, aber er konnte sich nun vollends nicht mehr konzentrieren.
Durch verschleierte Augen musste er zusehen, wie sich die dunklen Gestalten der Elfen um seinen Gefährten sammelten. Rhonin wehrte zwei Schwerter ab, trieb eine der Großkatzen zurück … und dann erwischte ihn das Netz von hinten.
Es gelang ihm, einen Teil davon zu zerschneiden, aber dann fiel das zweite Netz auf ihn, und Rhonin verfing sich vollends in den Maschen. Der junge Magier wollte den Mund zu einem weiteren Zauber öffnen, aber der Anführer der Nachtelfen stürmte vor und rammte ihm die Faust hart gegen den Kiefer.
Der menschliche Zauberer brach zusammen.
Wutentbrannt gelang es Krasus, sich teilweise von seiner Benommenheit zu befreien. Er murmelte ein paar magische Worte und zeigte auf den Anführer.
Dieses Mal funktionierte sein Zauber, aber er ging fehl. Der goldene Blitz traf nicht das Ziel, das der Drachenmagier ins Auge gefasst hatte, sondern nur einen Baum neben einem der anderen Jäger. Drei große Äste brachen weg und stürzten auf den Mann. Sie begruben ihn und seinen Panther unter sich.
Der Anführer der Nachtelfen starrte finster in Krasus’ Richtung. Der Drachenmagier versuchte vergeblich, sich zu schützen, als Fäuste und Stiefel auf ihn einprasselten … und er schließlich das Bewusstsein verlor.
Er sah zu, wie seine Untergebenen auf die seltsame Gestalt einprügelten, die einen der ihren mehr durch Zufall als mit Absicht getötet hatte. Auch nachdem ihr Opfer längst bewusstlos geworden war, ließ er seine Krieger weiter ihre Wut an dem bewegungslosen Körper austoben. Die Panther fauchten und knurrten, witterten Blut, und ihre Reiter hatten Mühe, sie davon abzuhalten, sich ebenfalls dem Gewaltausbruch anzuschließen.
Als er zu dem Schluss kam, dass sie die Grenze erreicht hatten, dass jeder weitere Schlag das Leben des Gefangenen gefährden würde, befahl er seinen Männern aufzuhören.
»Lord Xavius will sie lebend«, schnappte der narbengesichtige Elf. »Wir wollen ihn doch nicht enttäuschen, oder?«
Die anderen erstarrten, und plötzlich zeichnete sich Furcht auf ihren Gesichtern ab. Eine berechtigte Furcht, dachte er grinsend, denn Lord Xavius neigte dazu, Nachlässigkeit mit dem Tode zu ahnden … mit einem schmerzhaften, langsamen Tod.
Und oft wählte er die bereitwillige Hand von Varo’then, um diesen Tod zu schenken.
»Wir waren vorsichtig, Hauptmann Varo’then«, erklärte einer der Soldaten rasch. »Sie werden beide die Reise überleben …«
Der Hauptmann nickte. Es erstaunte ihn noch immer, wie der Berater der Königin überhaupt die Präsenz dieser ungewöhnlichen Fremden entdeckt hatte. Als er den treuen Varo’then zu sich gerufen hatte, hatte Lord Xavius nur erklärt, es habe eine seltsame Manifestation gegeben und er wolle, dass der Hauptmann sie untersuche. Er solle jede ungewöhnliche Person mitbringen, die er in der Umgebung des Phänomens anträfe. Varo’thens stets scharfe Augen hatten das leichte Runzeln auf der Stirn des Beraters der Königin bemerkt, den einzigen Hinweis darauf, dass ihn diese unbekannte »Manifestation« mehr verstörte, als er es zugeben wollte.
Varo’then betrachtete die Gefangenen, während ihre gefesselten Körper rücksichtslos über einen der Panther geworfen wurden. Was auch immer der Berater erwartet hatte, es war sicher nicht dieses Paar hier gewesen. Der Schwache, dem der letzte Zauber gelungen war, hatte eine vage Ähnlichkeit mit einem Nachtelf, aber seine Haut war bleich, fast weiß. Der andere, offensichtlich ein jüngerer und viel talentierterer Magier … nun, Varo’then wusste nicht, was er von ihm halten sollte. Auch er hatte eine leichte Ähnlichkeit mit den Nachtelfen, aber er gehörte offensichtlich einem anderen Volk an. Der erfahrene Soldat hatte noch nie eine Kreatur wie diese gesehen.
»Egal. Lord Xavius wird das schon klären«, murmelte Varo’then leise. »Und wenn er ihnen alle Gliedmaßen ausreißen oder sie lebendig häuten muss, um die Wahrheit zu ergründen.«
Und für welche Methode der Berater sich auch entscheiden mochte, der gute, treue Hauptmann Varo’then würde zur Stelle sein, um ihm dabei mit ganzer Erfahrung zur Hand zu gehen.
6
Es war ein von tiefen Sorgen geplagter Malfurion, der in sein Haus in der Nähe der Tosenden Fälle zurückkehrte, das gleich hinter der großen Nachtelfen-Siedlung Suramar lag. Er hatte diesen Ort wegen der Ruhe und der ungestörten Natur in der Umgebung der Fälle gewählt. Er kannte keinen anderen Ort, der so friedlich war, außer vielleicht Cenarius’ versteckten Hain.
Malfurions schlichtes Zuhause, ein niedriges, rundliches Domizil, aus Bäumen und Erde geformt, bot einen starken Kontrast zu den Häusern der meisten Nachtelfen. Dem jungen Mann lag nichts an den grellen Farbphalanxen, die von der Tendenz seines Volkes zeugten, einander ausstechen zu wollen. Die Farben seines Zuhauses waren jene der Erde und des Lebens – das Grün des Waldes, das satte, fruchtbare Braun – und die Farbtöne, die ihnen am nächsten standen. Er versuchte, sich an seine Umgebung anzupassen, und nicht die Natur zu zwingen, sich ihm anzupassen, wie es das Trachten seines Volkes war.
Doch nichts an seinem Haus konnte Malfurion in dieser Nacht auch nur das geringste Gefühl des Trostes vermitteln. Noch immer zeichneten sich die Gedanken und Bilder, die er erfahren hatte, als er den Grünen Traum beschritt, extrem klar in seinem Geist ab. Er hatte Türen in seiner Vorstellungskraft geöffnet, von denen er sich nun verzweifelt wünschte, er könne sie wieder schließen. Doch er wusste, dass dies unmöglich war.
»Die Visionen, die du im Grünen Traum siehst, sie können vieles bedeuten«, hatte Cenarius ihm erklärt. »Selbst das, von dem du glaubst, dass es real ist – wie zum Beispiel dein Bild von Zin-Azshari –, ist es möglicherweise nicht, denn das Traumland spielt seine eigenen Spiele mit unserem begrenzten Geist …«
Malfurion wusste, dass der Halbgott nur versucht hatte, ihn zu beruhigen. Er war überzeugt, dass das, was er gesehen hatte, die Wahrheit gewesen war. Er hatte bemerkt, dass Cenarius sich ebenso viele Sorgen wegen der tollkühnen Zauberei in Azsharas Palast machte wie sein Schüler.