Der Orc tat einen letzten wackligen Schritt, dann fiel er nach vorn. Selbst jetzt noch versuchte Brox, auf seine Feinde zuzukriechen. Er war entschlossen, ihnen den Sieg nicht zu leicht zu machen.
Ein dritter Schleier legte sich über ihn … und Brox wurde von Schwärze umfangen. Drei Nächte … drei lange Nächte, und noch immer zeitigen unsere Bemühungen kein Ergebnis …
Xavius war unzufrieden.
Drei der Hochgeborenen traten zurück von ihrem Zauberwerk und wurde sofort durch jene ersetzt, die ihre Kräfte durch ein wenig dringend benötigten Schlaf wieder hatten auffrischen können. Xavius’ künstliche schwarze Augen wandten sich den dreien zu, die ihre Schicht gerade beendet hatten. Einer von ihnen bemerkte sein dunkles Starren und zuckte zusammen. Die Hochgeborenen mochten die Höchsten der Diener Azsharas sein, aber Lord Xavius war der Höchste – und Gefährlichste – der Hochgeborenen.
»Morgen Nacht … morgen Nacht erhöhen wir das Energiefeld um das Zehnfache«, erklärte er, und die roten Streifen in seinen Augen loderten auf.
Unfähig, sich seinem Blick zu stellen, brachte einer der anderen Hochgeborenen trotzdem den Mut auf zu sagen: »Mit allem gebührenden Respekt, Lord Xavius, aber damit riskieren wir zu viel! Solch eine zusätzliche Energieerhöhung könnte alles gefährden, was wir bereits erreicht haben.«
»Und was haben wir erreicht, Peroth’arn?« Xavius hohe Gestalt ragte bedrohlich über den anderen in Roben gekleideten Männern auf, und sein Schatten schien sich in dem wahnwitzigen Licht des Zaubers nach eigenem Willen zu bewegen. »Was haben wir erreicht?«
»Nun, wir gebieten über eine größere Macht als Nachtelfen je zuvor in ihren Händen gehalten haben.«
Xavius nickte. Dann runzelte er die Stirn. »Ja, und mit dieser Macht können wir ein Insekt mit einem Hammer zerquetschen, der so groß ist wie ein Berg! Ihr seid ein kurzsichtiger Narr, Peroth’arn! Seid froh, dass ich Eure Fähigkeiten für dieses Projekt benötige.«
Mit krampfhaft fest verschlossenem Mund senkte der andere Nachtelf dankbar den Kopf.
Der Berater der Königin blickte verächtlich auf den Rest der Hochgeborenen. »Für das, was wir vorhaben, benötigen wir die absolute Macht über die Quelle! Wir müssen die Fähigkeit erlangen, das Insekt zu töten, ohne dass es überhaupt seinen Tod bemerkt – bis es längst geschehen ist! Wir benötigen eine solche Präzision, ein solches Feingefühl, dass es keine Frage mehr ist, ob wir unser Endziel auch perfekt ausführen werden! Wir –«
»Predigst du wieder, mein lieber Xavius?«
Die melodische Stimme hätte jeden anderen Hochgeborenen so verzaubert, dass er sich selbst getötet hätte, wäre dies der Wille der Sprecherin gewesen. Nicht so Xavius mit den Onyxaugen. Mit einer achtlosen Geste schickte er die müden Zauberer fort, dann wandte er sich der einen Person im Palast zu, die ihm nicht den ihm gebührenden Respekt zollte.
Sie glitzerte, als sie eintrat, eine Vision der Vollkommenheit, die durch Xavius’ magische Augen noch verstärkt wurde. Sie war die Pracht und die Herrlichkeit der Nachtelfen, ihre geliebte Herrin. Wenn sie atmete, machte sie die Menge atemlos. Wenn sie die Wange eines ihrer Lieblingskrieger berührte, dann zog er aus und kämpfte bereitwillig gegen Drachen und mehr, mochte dies auch seinen sicheren Tod bedeuten.
Die Königin der Nachtelfen war groß für eine Frau, größer sogar als viele Männer. Nur Xavius überragte sie noch. Doch trotz ihrer Größe bewegte sie sich wie der Wind. Stille Eleganz wiegte in jedem ihrer Schritte. Keine Katze ging so leise wie Azshara, und keine Katze ging mit solcher Selbstsicherheit.
Ihre tief violette Haut war so glatt wie das hauchfeine Seidengewand, das sie trug. Ihr Haar, lang, dicht, üppig und vom Silber des Mondlichts, floss in Kaskaden um ihre Schultern und ihren wohlgeformten Rücken herab. Im Unterschied zu ihrem letzten Besuch, bei dem sie Gewänder getragen hatte, die zu ihren Augen passten, präsentierte sie nun ein wallendes Gewand von der gleichen wundersamen Farbe wie ihr luxuriöses Haar.
Selbst Xavius begehrte sie heimlich, doch auf seine sehr eigene Art. Sein Ehrgeiz beherrschte ihn weit mehr, als ihre weiblichen Schliche es jemals vermocht hätten. Trotzdem fand er großen Nutzen in ihrer Präsenz, genauso wie er wusste, dass sie großen Nutzen in der seinen fand. Sie teilten einen gemeinsamen Ehrgeiz, doch am Ziel ihrer Wünsche würde unterschiedliche Belohnung auf sie warten.
Wenn das Ziel schließlich erreicht war, würde Xavius Azshara zeigen, wer in Wahrheit regierte.
»Licht des Mondes«, begann er, und ein Ausdruck des Gehorsams lag auf seinem Gesicht. »Ich predige über Eure Reinheit, Eure Makellosigkeit! Ich erinnere diese anderen an ihre Pflichten – nein, an ihre Liebe – Euch gegenüber. Daher sollten sie nicht wünschen, Euch zu enttäuschen …«
»Denn sie würden auch dich enttäuschen, mein liebster Berater.« Hinter der hinreißenden Königin trugen zwei Kammerzofen die Schleppe ihres langen, durchscheinenden Gewandes. Sie hoben die Schleppe auf die Seite, als Azshara sich auf dem besonderen Sessel niederließ, den sie von den Hochgeborenen hatte aufstellen lassen, damit sie ihre Bemühungen bequem verfolgen konnte. »Und ich glaube, sie fürchten dich mehr, als sie mich lieben.«
»Kaum, meine Herrin!«
Die Königin setzte sich so in Position, dass sie die Bemühungen ihrer Zauberer im Auge behalten konnte und ihre perfekte Figur auf vorteilhafte Weise betont wurde.
Xavius blieb durch ihr Manöver unbewegt. Er würde sie besitzen – und alles andere, was er begehrte –, wenn sie erst mit ihrer großen Mission Erfolg hatten.
Ein plötzlicher Blitz blendenden Lichts zog ihrer beider Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Zauberer. Im Zentrum des von den Hochgeborenen geschaffenen Kreises bildete sich eine wütende Energiekugel ständig neu. Die Myriaden von Formen und Farben, die über ihre Oberfläche spielten, besaßen eine hypnotische Wirkung, vor allem da sie oft ein Tor in das Anderswo zu öffnen schienen. Xavius verbrachte lange Stunden damit, allein in die Schöpfung der Nachtelfen zu blicken und mit seinen magischen Augen zu schauen, was keiner der anderen sehen konnte.
Während er jetzt hinblickte, runzelte der Berater die Stirn. Er kniff die Augen zusammen und studierte die endlosen Tiefen im Innern der Sphäre. Einen winzigen Augenblick lang hätte er schwören können, dass er etwas gesehen hatte, das …
»Ich glaube, du hörst mir nicht zu, mein liebster Xavius! Ist so etwas möglich?«
Es gelang ihm, sich wieder zu fangen. »Ebenso wie es möglich ist, dass man lebt, ohne zu atmen, Tochter des Mondes … Aber ich gestehe, ich war abgelenkt genug, dass ich Euch vielleicht nicht richtig verstanden habe. Ihr spracht noch einmal etwas über …«
Ein kurzes, kehliges Kichern brach aus Königin Azshara heraus, aber sie widersprach ihm nicht. »Was gibt es da zu verstehen? Ich habe einfach nur noch einmal erklärt, dass wir mit absoluter Gewissheit triumphieren werden! Bald besitzen wir die Macht und die Fähigkeit, unser Land von seiner Unvollkommenheit zu reinigen und hier das perfekte Paradies zu schaffen …«
»So wird es sein, meine Königin, so wird es sein. Wir stehen kurz vor der Geburt eines großen goldenen Zeitalters. Das Reich – Euer Reich – wird gereinigt werden. Die Welt wird ewige Herrlichkeit erleben!« Xavius erlaubte sich ein leichtes Lächeln. »Und die niedrigen, unreinen Völker, die in der Vergangenheit verhindert haben, dass ein solches perfektes Zeitalter entstehen konnte, werden nicht mehr existieren.«
Azshara belohnte seine Worte mit einem zufriedenen Lächeln, dann sagte sie: »Es freut mich, dass du so sprichst. Ich hatte heute wieder mehr Bittsteller, mein liebster Berater. Sie kamen in Furcht vor der aufgewühlten Quelle und fragten mich um Rat, was die Ursachen dieses Aufruhrs betrifft, und ob Gefahr bestünde. Natürlich habe ich ihre Anfragen an dich weitergeleitet.«